Was andere achtlos wegwerfen, ist für den kahl geschorenen Mann (Gabriel Montesi) eine Offenbarung. Nichts verrät mehr über die Menschen als der Müll, den sie zurücklassen. Diese Erkenntnisse nutzt er jedoch nicht, um die Menschheit irgendwie voranzubringen. Er tötet sie lieber. Immer wieder lauert er Frauen auf, ermordet sie und entsorgt sie wieder. Nur einmal weicht er davon ab, als er eine Jugendliche (Sara Ciocca) findet, die sich ertränken wollte, deren Leben er aber rettet. Dabei ahnt er nicht, dass er durch seine Tat eine weitere Frau (Michela Cescon) auf seine Spur bringt. Sie hat ihre eigenen Gründe, warum sie sich für Frauen einsetzt, die Gewalt erfahren haben. Und auch wenn ihr niemand glaubt, setzt sie alles daran, den Killer aufzuhalten …
Dritte Regie-Arbeit des italienischen Thriller-Autors
Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeitet Donato Carrisi inzwischen als Autor, ist mit seinen Thrillern zu einigem Ruhm gekommen. Inzwischen macht er aber auch als Regisseur von sich reden, indem er seine eigenen Werke adaptiert. So erschien 2017 Der Nebelmann über einen in Ungnade gefallenen Polizisten, der eine verschwundene Jugendliche sucht. Auch in Diener der Dunkelheit (2019) ging es um vermisste Mädchen. Dieses Mal tauchte eines wieder auf, konnte sich aber an nichts erinnern, was die Ermittlungen schwierig macht. Mit Ich bin der Abgrund, Adaption seines gleichnamigen 2020 veröffentlichten Romans, legt er seine dritte Regiearbeit vor. Erneut geht es um Gewalt gegenüber Frauen. Dieses Mal geht der Täter aber noch einen Schritt weiter und tötet seine Opfer.
Das ist nicht der einzige Faktor, der den Film von seinen Vorgängern unterscheidet. Während bei den obigen Titeln mit dem Polizisten und einem Privatdetektiv recht klassische Ermittlerfiguren nach der Wahrheit suchen, steht bei Ich bin der Abgrund eine einfache Frau im Mittelpunkt. Diese trägt wie die meisten Figuren im Film keinen Namen, offensichtlich wollte Carrisi eine weitergehende Geschichte erzählen. Da geht es nicht um ein Einzelschicksal, sondern das große Ganze, während Themen wie Schuld und Sühne verhandelt werden. Die Protagonistin etwa will durch ihren Einsatz Wiedergutmachung leisten, dass ihr eigener Sohn Frauen gegenüber Frauen gewalttätig war. Der Mörder wiederum wurde als Kind selbst misshandelt, wie in einer besonders beklemmenden Anfangssituation gezeigt wird. Diese zeigt, wie er als Junge beinahe ertrinkt, während die Mutter teilnahmslos danebensitzt.
Atmosphärisch ohne viel Tiefgang
Das Ziel für Carrisi, der ursprünglich Rechtswissenschaft studierte und sich dabei auf Serienmörder spezialisierte, war es offensichtlich, das Wesen des Bösen anzugehen und gleichzeitig aufzuzeigen, wie ein Element ins nächste greift. Jedes Ereignis kann Folgen haben, selbst wenn diese erst Jahre später sichtbar werden. Das klingt ambitioniert. Ganz so weit geht Ich bin der Abgrund dann aber doch nicht. Zum einen ist das Konzept, dass jemand aufgrund von Misshandlungen selbst zu einem Täter wird, nicht viel mehr als ein Genreklischee, dem der Autor nichts hinzuzufügen hat. Zum anderen ist die Geschichte an vielen Stellen doch zu konstruiert. Man hat hier nicht das Gefühl, dass sich der Film auf natürliche Weise von einem Punkt zum nächsten bewegt. Vieles ist ein bloßes Mittel zum Zweck.
Aber auch wenn der Thriller nie so tiefsinnig wird, wie er sich gern verkaufen würde, hat er immer wieder sehenswerte Passagen. Da wären beispielsweise die Bilder, die Carrisi und sein Kameramann Claudio Cofrancesco von der ländlichen Gegend mitgebracht haben und die sehr zur Atmosphäre des Films beitragen. Auch schauspielerisch ist das hier auf einem guten Niveau. Zwar kann der Regisseur anders als bei seinen ersten beiden Filmen nicht auf internationale Stars zurückgreifen. Michela Cescon (Der Mann ohne Gravitation) in der Rolle der von Schuld erfüllten Einzelkämpferin überzeugt aber ebenso wie Gabriel Montesi (Und draußen die Nacht) als Serienmörder, der von seiner Vergangenheit verfolgt wird. Das Niveau der ersten zwei Filme erreicht das hier zwar trotzdem nicht. Für sich genommen ist das jedoch solide.
OT: „Io sono l’abisso“
IT: „I Am the Abyss“
Land: Italien
Jahr: 2022
Regie: Donato Carrisi
Drehbuch: Donato Carrisi
Vorlage: Donato Carrisi
Musik: Vito Lo Re
Kamera: Claudio Cofrancesco
Besetzung: Michela Cescon, Gabriel Montesi, Sara Ciocca, Giordana Faggiano, Sergio Albelli, Lidiya Liberman
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)