Wer in größeren Städten lebt, hat kaum eine Chance, ihnen zu entkommen: Tauben. Überall schwirren sie herum, treiben einen mit ihrem Gurren in den Wahnsinn, vor allem aber mit ihren Hinterlassenschaften. Gerade die Bevölkerung, die über einen Balkon verfügt, weiß, wie unglaublich nervtötend diese Vögel sein können. Da werden die unterschiedlichsten Abwehrmechanismen ausprobiert, was am Ende aber oft nicht viel bringt. Dafür sind die gern mal als geflügelte Ratten geschmähten Viecher zu hartnäckig. Umso bemerkenswerter ist, was man in dem Dokumentarfilm Kash Kash zu sehen bekommt. In diesem reisen wir nach Beirut und lernen Leute kennen, die Tauben nicht nur nicht hassen. Sie sind sogar begehrte und umkämpfte Tiere, welche den Menschen Hoffnung und Freude geben.
Das Spiel der Tauben
Der Titel des Films bezieht sich dabei auf ein sonderbares Spiel, welches die die Männer dort spielen. Darin geht es darum, konkurrierende Taubenschwärme loszuschicken. Sind diese losgeflogen, versuchen die Männer, die gegnerischen Tauben durch das Werfen von Orangen so zu erschrecken, dass sie die Orientierung verlieren und sich dem eigenen Schwarm anschließen. Auf diese Weise werden kontinuierlich Tauben gewonnen oder verloren. Kash Kash erzählt zu Beginn, wie es zu diesem sonderbaren Spiel gekommen ist. So sollen einer Legende zufolge zwei Könige ihren Streit mit diesem Wettkampf ausgetragen haben, um nicht ihre Männer für Kämpfe opfern zu müssen. An die Geschichte mag man glauben oder nicht, schön ist sie sicherlich.
Wobei Lea Najjar, die mit Alia Haju Regie führte, den Wettkampf der heutigen Männer – Frauen haben bei dem Spiel nichts verloren – nicht wirklich in den Mittelpunkt rückt. Zwar sehen wir Szenen aus einem dieser Matches. Zwischendurch dürfen Hassan, Radwan und Muhammad, die als Taubensammler stellvertretend für die Teilnehmer stehen, sich über das Spiel austauschen. Unter anderem erfahren wir, was sie daran finden und welche Bedeutung das für sie hat. Dabei geht es aber um mehr. An einer Stelle von Kash Kash heißt es beispielsweise, dass einer der drei selbst bei rasant steigenden Preisen für Taubenfutter Geld in sie investieren will, weil ihm dies Freude bringt. Anders als die Frauen, die ihn zuvor offensichtlich enttäuscht haben, weshalb er für diese kein Geld mehr ausgeben will.
Persönliche Geschichten als Spiegel der Gesellschaft
Diese Aussage kann man drollig, befremdlich und traurig finden. Sie zeigt aber gut die Stärke des Films: Kash Kash ermöglicht es dem Publikum, diese Menschen näher kennenzulernen, mehr über sie, ihr Leben und ihre Ansichten zu erfahren. Dabei sind die drei, ebenso ein Mädchen, das zwischendurch auftaucht, zwar Individuen mit jeweils eigenen Geschichten. Sie stehen aber auch für ihr Heimatland und werden zum Spiegel der Gesellschaft und der Umstände. Bei den Gesprächen mit Najjar verraten sie freimütig, was alles los ist, gerade auch bei den politischen Umwälzungen, die seinerzeit in dem Land stattgefunden haben. Aber auch diese sind nur ein Thema unter vielen, werden hier einem Mosaik gleich zu einem großen Bild zusammengesetzt.
Klar hätte man über manches gern mehr erfahren. Wer beispielsweise nichts über die neuere libanesische Geschichte weiß, wird sich mitunter fragen, worum es eigentlich geht. Aber auch so ist der Wechsel von persönlichen und allgemeinen Themen spannend. Der auf diversen Filmfesten gezeigte Dokumentarfilm hat eine Menge zu erzählen. Er hat auch einiges zu zeigen, wenn wir über die Dächer hinwegfliegen oder uns andere Teile der Stadt ansehen. Kash Kash richtet sich damit an ein Publikum, das mehr über andere Kulturen erfahren möchte oder generell Interesse an menschlichen Geschichten hat. Manche werden durch diese Perspektivwechsel im Anschluss vielleicht sogar die verhassten Tauben wieder mit anderen Augen sehen.
OT: „Kash Kash“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Lea Najjar, Alia Haju
Drehbuch: Lea Najjar, Alia Haju
Musik: Farah Kaddour, Samah Boulmona
Kamera: Jonas Schneider
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