Eines der vielen Themen, die in den letzten Jahren für hitzige Diskussionen gesorgt haben, ist das der Transgeschlechtlichkeit. Schließlich ist in einer Zeit, in der vieles so unsicher geworden ist, die Vorstellung zweier eindeutiger Geschlechter so etwas wie ein Grundpfeiler, auf dem Weltbilder aufgebaut sind. Während auf der einen Seite Transphobie zugenommen hat, zumindest aber lauter geworden ist, gibt es zahlreiche Filme, die sich dieses Themas annehmen und für mehr Verständnis werben. Ob es nun Spielfilme sind wie Oskars Kleid und 20.000 Arten von Bienen, diverse Fernsehproduktionen oder der Doku-Essay Orlando, meine politische Biografie, an Diskussionsbeiträgen mangelt es nicht. Mit Life Is Not a Competition, But I’m Winning kommt nun ein weiterer hinzu, der einen besonders umkämpften Teilbereich anspricht: Sport.
Eine Frage des Geschlechts
Darf eine Transfrau in der Frauenkategorie antreten oder sollte sie bei den Männern bleiben? Darüber wird nicht nur am Stammtisch gesprochen, auch große sportliche Organisationen führen solche Diskussionen und tun sich ein wenig schwer damit. Aber es kann noch komplizierter sein, wie Life Is Not a Competition, But I’m Winning am Beispiel Stella Walsh zeigt. Die war 1932 eine Sensation, wurde bei Olympiasiegerin im 100-Meter-Lauf. Später stellte sich jedoch bei einer Obduktion heraus, dass sie keine Gebärmutter hatte. Damit war sie für die Verantwortlichen keine echte Frau mehr, die Siege wurden ihr posthum aberkannt. Intersexuelle Menschen, die auch biologisch nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zuzuordnen ist, stellen eine besondere Herausforderung dar.
Life Is Not a Competition, But I’m Winning nimmt solche Einzelbeispiele für Transgeschlechtlichkeit und Intersexualität, um ganz allgemein über Geschlechterbilder im Sport zu sprechen. Denn während sich Trainingsmethoden immer weiterentwickeln, Sportarten moderner werden, ist die Vorstellung von Mann und Frau bei vielen noch auf dem überlieferten Stand. Regisseurin Julia Fuhr Mann hält diese Schwierigkeiten fest, anhand historischer wie aktueller Beispiele. Dabei ist der Film nicht einfach nur eine neutrale Dokumentation des Status Quo, sondern will diesen auch herausfordern. Wie diverse andere Beiträge in dem thematischen Umfeld ist das hier eine Aufforderung, sich zu öffnen und sich von starren Vorschriften zu lösen. Das Berichten über Diskriminierung ist immer auch Kritik.
Zwischen persönlich und universell
Wobei Mann darauf verzichtet, ständig mit einem erhobenen Zeigefinger herumzulaufen. Ihr Vorgehen ist weniger die plumpe Moralisierung, wie man sie in manchen Dokus findet. Sie mag es essayistischer, wenn es um ganz grundsätzliche Fragen zum Sport geht. Immer wieder zitiert Life Is Not a Competition, But I’m Winning den bekannten Satz, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, wandelt ihn aber ab und leitet daraus spannende Fragen ab. Was ist mit denjenigen, die gar nicht erst bei Wettkämpfen teilnehmen können? Und was heißt Siegen überhaupt? Immer wieder wechselt der Film auf diese Weise vom Konkreten zum Allgemeinen, vom Persönlichen zum Universellen, wechselt Anekdoten und grundsätzliche Gedanken miteinander ab.
Das Ergebnis ist spannend, inhaltlich wie inszenatorisch, wenn Mann nicht nur im übertragenen Sinn nach neuen Bildern sucht. Der Dokumentarfilm, der auf der Settimana Internazionale della Critica Venedig 2023 Premiere feierte, experimentiert gern auch mal ein bisschen bei der Umsetzung. Klar ist das anspruchsvoller, als es manche gewohnt sind und vielleicht wollen. Gleichzeitig macht es den Film zugänglicher, wenn er sich nicht in reine Selbstmitleidsorgien versteift, sondern energiegeladen an die Sache herangeht. Die wirklich schwierigen Fragen beantwortet Life Is Not a Competition, But I’m Winning dabei nicht. Aber es ist doch eine Einladung, über all das nachzudenken und vielleicht auch einmal etwas neu und anders zu begreifen, als es alte Traditionen vorschreiben.
OT: „Life Is Not a Competition, But I’m Winning“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Julia Fuhr Mann
Drehbuch: Julia Fuhr Mann
Kamera: Caroline Spreitzenbart
Venedig 2023
Filmfest Hamburg 2023
Queer Film Festival München 2023
Around the World in 14 Films 2023
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