The Dive (Kinostart: 7. Dezember 2023) erzählt die Geschichte der zwei Schwestern Drew (Sophie Lowe) und May (Louisa Krause), die gemeinsam im Meer tauchen gehen wollen, so wie sie es schon viele Male getan haben. Doch dieses Mal endet der Tauchgang in einer Katastrophe, als May unter einem Felsen eingeklemmt wird und nicht mehr herauskommt. Nun liegt es an Drew, ihre Schwester zu befreien. Viel Zeit bleibt ihr dafür nicht, denn der Sauerstoff geht ihr langsam aus. Wir haben uns mit Regisseur Maximilian Erlenwein bei der Premiere des atemlosen Thrillers beim Filmfest München 2023 getroffen. Im Interview unterhalten wir uns über die Herausforderungen bei den Dreharbeiten und seine eigenen Taucherfahrungen.
Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von The Dive verraten? Wie kam es zu dem Film?
Es gibt ein schwedisches Original namens Breaking Surface – Tödliche Tiefe. Die deutsche Produktionsfirma Augenschein hatte die Remake Rechte und hat mich gefragt ob ich den Stoff neu auf englisch verfilmen möchte. Das Original Drehbuch war dann tatsächlich sehr stark, dennoch stellte ich mir die Frage warum ich ein Remake machen sollte. Braucht es ein Remake überhaupt? Nun bin ich früher aber selbst sehr viel getaucht und ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, einen Unterwasser-Film zu drehen. So ein Drehbuch und so ein Projekt kriegt man dann doch nicht alle Tage auf den Tisch. Das Publikum in eine visuell ganz andere Welt mitnehmen zu können, davon träumt man als Regisseur. Also habe ich zugesagt, aber unter einer Bedingung: Der Film sollte auch zumindest zum Teil im Meer gedreht werden und nicht nur im Studio.
Hat sich sonst noch etwas im Vergleich zum Original verändert?
Ich habe versucht, einen eigenen Zugang zum Drehbuch zu bekommen und habe die Figuren noch einmal neu entwickelt. Außerdem haben wir einen anderen Schauplatz. Breaking Surface spielte im Eis, wir haben die Geschichte in die Hitze verlagert. Das Original lebte sehr von der Dunkelheit. Man sieht dort kaum etwas. Das funktionierte gut als Spannung erzeugendes Prinzip, aber ich wollte die visuelle Größe der Unterwasserwelt auf die Leinwand bringen. Tauchen hat ja etwas sehr meditatives, gerade zu psychedelisches und kann eine gleichzeitig wunderschöne als auch beängstigende Erfahrung sein. Dieses Abtauchen in das Unbekannte kann man auch als große Metapher für das Abtauchen ins eigene Selbst verstehen. Diese Faszination für das Tauchen wollte ich auf den Zuschauer übertragen.
Findest du es insgesamt leichter oder schwieriger, ein Remake zu drehen, im Vergleich zu einem Originalfilm?
Da dies mein erstes Remake ist, kann ich das noch nicht verallgemeinern. Es ist auf jeden Fall anspruchsvoll einen eigenen persönlichen Zugang zu einem Remake zu finden und dem neuen Film damit eine Daseinsberechtigung zu geben.
Du hast gemeint, dass du am Meer drehen wolltest. Wo genau war das?
Im und am Meer haben wir auf Malta und der Nachbarinsel Gozo gedreht.
Warum Malta und Gozo?
Es gibt da verschiedene Gründe. Einer war die Wassertemperatur. Du brauchst eine bestimmte Mindesttemperatur, weil die Leute sonst zu schnell ausfrieren. Es müssen so 28 Grad sein, 29 ist der Sweet Spot. Wärmer darf es aber auch nicht sein. Deswegen war klar, dass wir im Mittelmeer drehen mussten. Klar, Karibik wäre auch gegangen, aber das ging aus Budget-Gründen nicht. Malta bietet sich außerdem an, weil es eine sehr starke Filmindustrie gibt. Viele Hollywood-Produktionen werden dort gedreht, weshalb es starke Teams und die nötige Infrastruktur gibt. Außerdem hast du dort ein unfassbares Unterwasser-Knowhow. Die Tauch-Supervisorin, die wir dort hatten, war unglaublich. Sie war halb Fisch halb Mensch. Und nicht zuletzt hat Malta auch über Wasser schöne Motive, was für den Film wichtig war, da wir die Unterwasserszenen und die Szenen an Land aus Budget-Gründen nah beieinander drehen mussten.
Wie war es denn für dich, unter Wasser zu drehen?
Eine große Herausforderung! Die größte Schwierigkeit ist die Kommunikation. Stell dir vor, du drehst einen Film, kannst aber nicht mit deinem Team kommunizieren. Oder nur eingeschränkt: Du kannst nach einem Take nicht mal kurz deinen Schauspielern gehen und ein paar Worte mit ihnen wechseln, du bist völlig auf die Technik angewiesen, die unter Wasser viel weniger gut funktioniert als über Wasser. Hundert Jahre Filmtechnik wurden eben fürs Trockene entwickelt. Manchmal blieb als einziges Kommunikationsmittel unser sogenannter „Gott“-Lautsprecher. Da schreist du was rein in der Hoffnung das es jemand hört, aber keiner antwortet. Das war schon sehr surreal oft. Aber man wächst als Team rein in so eine Aufgabe und findet Lösungen wie laminierte Storyboards und Kommunikation per Handzeichen.
Wie lange habt ihr denn im Wasser gedreht?
Im Meer dürften das so zehn Tage gewesen sein. Wobei da auch Tage dabei waren, wo wir nichts geschafft haben, weil einfach die Strömung zu stark war. Dann nochmal ca. 12 Tage im Unterwasser Studio.
Kann man denn überhaupt bei solchen Unterwasser-Aufnahmen planen? Du hast gerade die Strömungen erwähnt, das Wasser lässt sich ja nicht wirklich beeinflussen.
Man muss so viel planen, wie es eben geht, inklusive Studium des Wetterberichts. Wir hatten auf dem Boot Mission Briefings und ich habe sehr genaue Storyboards gemacht. Das hat dann nicht unbedingt immer so geklappt, wie ich mir das ausgemalt hatte. Aber es gab es auch Happy Accidents und dann saß ich staunend vor dem Monitor und hab ich über die unverhofft spektakulärsten Bilder gefreut.
Wie muss ich mir den Dreh unter Wasser im Hinblick auf das Team vorstellen? Die Bilder von regulären Filmsets haben wir natürlich vor Augen, wo alle drumherum stehen. Das stelle ich mir unter Wasser schwierig vor.
Es sind tatsächlich erstaunlich viele Taucher im Wasser. Neben Kamera und Darstellern auch viele so genannte „Saftey“- und „Utility Taucher“, die sich um die Sicherheit kümmern und Props und alles was gebraucht wird von der Oberfläche nach unten bringen und umgekehrt.
Vor allem bei einem Film, der von dem Gefühl lebt, dass du ganz allein unter Wasser bist …
Absolut. Es kam auch vor, dass irgendwelche Touristen auf einmal im Hintergrund waren, die wir erst einmal wieder verscheuchen mussten. Da kommen dann die Utility-Taucher zum Einsatz, die sie aus dem Bild rausführen sollen. Nur wissen die dann oft nicht, was genau unser Bildausschnitt ist. Da hast du immer wieder absurde Situationen. Manchmal reicht es schon, dass sie zwei Meter weiter weg schwimmen, weil sie dann schon nicht mehr zu sehen sind. Die Sichtweite unter Wasser kann sich aber sehr schnell verändern. Das bringt uns zum nächsten großen Thema, die „visibility“, also die Sichtweite und die damit einhergehende Textur des Wassers.
Wir hatten uns im Vorfeld große Sorgen gemacht, das Studio- Footage mit den Aufnahmen im Meer zu kombinieren. Es sollte ja alles nach einer Welt aussehen . Das Geheimnis sind die Partikel im Wasser. Es dürfen nicht zu viele sein, weil du dann gar nichts mehr siehst. Zu wenig geht aber auch nicht, das Wasser muss schon etwas dreckig und damit lebendig und authentisch aussehen. Wenn es zu klar ist, sieht das nach Studio aus. Das ist eine Kunst für sich. Wir haben vor jedem Take im Studio verschieden Substanzen, unter anderem klein gehacktes Gemüse, im Vordergrund und Hintergrund im Wasser verteilt. Aber es dauert jedes mal quälend lange bis sich das Zeug zu genüge verteilt und setzt. Und Zeit hat man unter Wasser leider nicht viel. Wenn das Team erstmal unten ist muss alles so schnell wie möglich gehen.
Ist das mit den Partikeln nicht etwas, das man auch in der Postproduktion noch beeinflussen könnte?
Prinzipiell schon, aber das kostet viel Geld. 2-D Partikel konnten wir uns leisten. Aber die bewegen sich nur an der Oberfläche des Bildes und liegen auf allem drauf und sehen schnell fake aus. 3-D Partikel konnten wir uns nicht leisten, also haben wir so viel es geht „in camera“ hergestellt.
Und wie sieht es mit Tieren im Meer aus? Waren da welche?
Ja klar. Das war einerseits immer willkommen, weil das zur Atmosphäre beiträgt und immer gut aussieht. Aber du hast dann aber auch sehr schnell Anschlussprobleme, wenn du in der einen Einstellung einen Fischschwarm hast, der in der nächsten plötzlich verschwunden ist. Das kannst du ja nicht beeinflussen.
Wie sah es eigentlich mit euren beiden Hauptdarstellerinnen aus? Konnten die schon tauchen?
Sie sind vorher nie getaucht. Wir haben einfach keine Schauspielerinnen gefunden, die schon tauchen konnten. Das hat mich schon nervös gemacht. Wir haben in einem langen Casting Prozess die fantastischen Sophie Lowe und Louisa Krause gefunden, aber sie mussten für den Dreh auf ein sehr hohes Fähigkeit Level kommen. Ich hatte immer Sorgen dass sie mir noch abspringen weil sie das dann doch psychologisch nicht hinkriegen. Viele Menschen fangen das Tauchen an und dann haben sie ein schlechtes Erlebnis und es legt sich ein Schalter um und sie machen es nie wieder. Das ist denen beim Original-Film passiert. Eine der Schauspielerinnen hat drei, vier Wochen vor Dreh einen Nervenzusammenbruch bekommen und hat alles abgesagt. Das hing wie so ein Damokles-Schwert über mir. Sophie und Louisa haben ein halbes Jahr vor Dreh angefangen mit Tauchgängen. Bei denen konnten wir aber nicht dabei sein, weil die eine in den USA war und die andere in England. Also mussten wir Tauchlehrer engagieren. Das ist immer ein Risiko, denn wenn bei den ersten Tauchgängen etwas schiefgeht, hast du ganz schnell ein Mini-Trauma, das nicht mehr weggeht. Wenn du mit einer Angst anfängst, dann bleibt die. Zu unserem Glück haben die beiden aber eine echte Leidenschaft entwickelt und sind zu richtig guten Taucherinnen geworden. Die haben am Ende Sachen gemacht, die hätte ich nicht hinbekommen. Ich habe höchsten Respekt vor Louisa und Sophie.
Du hast das Casting angesprochen. Wie sah das dann aus? Waren Tauchgänge Teil des Castings oder habt ihr nur die Dialogsituationen gemacht?
Wir haben beim Casting die Dialogsituationen geprobt. Später haben wir auch die ersten Tauchgänge filmen lassen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich die beiden im Wasser bewegen. Manche haben ein natürliches Talent und sind dann ganz entspannt, während andere sehr verkrampft sind. Wir hätten da noch die Notbremse ziehen können, das war aber Gott sei Dank alles andere als nötig. Louisa und Sophie waren echte Naturtalente. Durch Covid konnte ich die beiden bis kurz vor dem Dreh gar nicht treffen, wir haben nur Zoom-Castings und Besprechungen gemacht. Das war zusätzlich nervenaufreibend. Normalerweise würde ich das nie machen, aber die Zeit des Castings fiel mitten in die Zeit der Covid- Reiserestriktionen, weshalb wir keine andere Möglichkeit hatten.
Eine ganz andere Frage: Du hast bei Katastrophenfilmen oft Ruhephasen, damit die Figuren und auch das Publikum durchatmen können und du auch ein bisschen die Charakterisierung vorantreiben kannst. Das ist bei The Dive schwierig, wenn du gegen die Zeit rennst. Hast du das als Einschränkung empfunden?
Ich habe diese ticking clock, also diesen Zeitdruck, erst einmal als sichereres dramaturgisches Prinzip gesehen, auf das ich mich verlassen kann. Das hat mir auch die Freiheit gegeben, andere gestalterische Wege einzuschlagen. Mich hat es gereizt nicht nur die Perspektive der handelnden Schwester zu zeigen, sondern auch bei der Schwester zu sein, die völlig handlungsunfähig unter dem Stein eingeklemmt ist und nichts anderes machen kann als zu warten. Sie versucht ihre Gedanken und ihre Atmung zu kontrollieren und so ruhig wie möglich zu werden.
Denkst du, dass du es hinbekommen hättest mit deiner Erfahrung als Taucher?
Wahrscheinlich hätte ich nicht lange überlebt. (lacht) Aber das ist eine solche Extremsituation, da kannst du nicht vorhersagen, wie du dich verhalten würdest. Das macht das auch so reizvoll für einen Film, weil man sich als Zuschauer immer fragst: Wie würde ich reagieren? Würde ich die Nerven behalten? Könnte ich so ruhig bleiben? Wirklich beantworten kann man diese Fragen wahrscheinlich erst, wenn man selbst in einer solchen Situation war.
Hast du für dich durch den Film etwas fürs eigene Tauchen mitnehmen können?
Ich habe das Tauchen tatsächlich für mich noch einmal neu entdeckt. Vor dem Film bin ich zehn Jahre lang nicht mehr getaucht. Man kann das Tauchen für den Film natürlich nicht so ganz mit dem privaten Tauchen vergleichen. In der Vorbereitung für den Dreh gingen mir unter Wasser immer soviel Dinge durch den Kopf, das hatte mit dem meditativen Aspekt des Tauchens, den ich so schätze, wenig zu tun. Aber das empfinde ich manchmal beim Filme machen als seltsames Paradox. Du kommst an die tollsten Orte und siehst und erlebst sie dann aber immer nur durch die Brille des Regisseurs. Anstatt die Schönheit zu genießen, fragst du dich nur: Taugt das jetzt als Drehort? Wo steht wann die Sonne, erzählt der Ort die richtige Geschichte? Da kann man in Momenten ein seltsames Verhältnis zur Natur entwickeln.
Und wie geht es konkret für dich weiter? Woran arbeitest du?
Ich drehe drei Folgen für die zweite Staffel von Die Kaiserin für Netflix. Das ist mal etwas ganz anderes, nicht nur weil das ein ziemlicher Szenenwechsel ist. Es ist auch mal ganz schön, innerhalb eines kreativen Teams zu arbeiten, anstatt wie sonst als Einzelkämpfer unterwegs zu sein. Danach will ich an meinem nächsten Kinofilm arbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch!
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