Als der Arzt Kai Wülker ermordet aufgefunden wird, steht die Polizei vor einem doppelten Rätsel. Da ist nicht nur die Frage, wer die Tat begangen haben könnte. Irritierend ist zudem, dass am Tatort DNA-Spuren von Jessica Sonntag gefunden wurden, die vor mehr als 15 Jahren spurlos verschwunden ist. Die Kommissarinnen Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann) nehmen daraufhin Kontakt mit der Familie auf. Doch weder die Eltern Evelyn (Judith Engel) und Robert (Holger Daemgen), noch der jüngere Bruder Henrik (Adrian Grünewald) haben Jessica seither gesehen. Ist die junge Frau wieder aufgetaucht? Und wenn ja, was hat sie mit dem Fall zu tun? Aber dafür heißt es erst einmal, herauszufinden, was vor 15 Jahren vorgefallen ist …
Mysteriöser Mord
Auch wenn der Polizeiruf 110 immer im Schatten vom Tatort steht, mit dem er sich den Sendeplatz am Sonntagabend teilt, im Hinblick auf die thematische Abwechslung steht er dem Platzhirsch nicht nach. So gab es zuletzt in Little Boxes eine satirische Auseinandersetzung mit politischer Korrektheit im Universitätsumfeld. Cottbus Kopflos führte uns im Anschluss zum Karneval, als ein Motivwagenbauer ermordet aufgefunden wird. Bei Nur Gespenster verzichtet man auf eine vergleichbare Milieuzeichnung, der 409. Teil des Dauerbrenners geht lieber ins Private. Aber auch dort findet er eine Reihe von Themen, über die man durchaus reden kann.
Dabei dauert es eine Weile, bis wir wirklich dort ankommen. Zunächst scheint der Film sogar ins Komische gehen zu wollen, wenn die Ermittlungen König in einen SM-Klub führt, wo der Verstorbene offensichtlich früher zu Gast war. Das führt letztendlich zu nichts, passt auch nicht so recht zu dem späteren Teil des Films, wo es zunehmend tragisch wird. Aber man weiß anfangs eh nicht so wirklich, was das hier eigentlich sein soll. Polizeiruf 110: Nur Gespenster gibt sich beim Einstieg recht künstlerisch und betont mysteriös, so als wolle der Film tatsächlich irgendwelche Geister heraufbeschwören. Das ist nett anzusehen, zudem ganz atmosphärisch, auch wenn es wenig konkret ist. Zu dem Zeitpunkt ist irgendwie alles noch möglich.
Viel Tragik, wenig Rätsel
Später wird das Ganze fokussierter. So wird klar, dass die Antwort auf das Verbrechen innerhalb von Familie Sonntag zu suchen ist. Das Ergebnis ist etwas zwiespältig. So bekommt ein Publikum, das gern rätselt, relativ wenig zu tun. Sobald klar wird, was die Vorgeschichte der verschwundenen Jugendlichen war, gibt es nur noch sehr wenige Optionen, was genau vorgefallen ist. Außerdem ist Polizeiruf 110: Nur Gespenster schon ein sehr plakativer Film, der sich nicht darum schert, glaubwürdige Figuren zu entwerfen. Da geht es mehr um die Themen, die verhandelt werden sollen. Das darf dann schon mal ganz groß aufgezogen werden, mit Sinn für Theatralik. Wer sich eine ernste Auseinandersetzung mit dem Stoff erhofft, der sich im weiteren Verlauf abzeichnet, wird enttäuscht. Bis auf ein paar Schlagworte ist da nicht zu holen.
Und doch ist der Film nicht so schlecht, wie sich das anhören mag. So gibt es eine Reihe eindrucksvoller Szenen, wenn etwa König ausrastet. Auch Judith Engel in der Rolle der versponnenen Mutter, die durch die Geschichte völlig den Halt zu verlieren droht, kann sich sehen lassen. Eher nervig sind die Passagen, die sich um die Streitigkeiten innerhalb der Polizei drehen. Polizeiruf 110: Nur Gespenster will da unbedingt irgendwelche Konflikte haben, ohne viel dafür tun zu müssen. Auch in der Hinsicht das Drehbuch so seine Mängel. Gesehen haben muss das Ergebnis daher nicht, vor allem wenn man einen reinen Krimi sucht. Als Blick auf eine kaputte Familie ist das jedoch brauchbar, um im Anschluss mal wieder den Glauben an die Menschheit zu verlieren.
OT: „Polizeiruf 110: Nur Gespenster“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Andreas Herzog
Drehbuch: Astrid Ströher
Musik: Chris Bremus
Kamera: Marcus Kanter
Besetzung: Anneke Kim Sarnau, Lina Beckmann, Uwe Preuss, Andreas Guenther, Josef Heynert, Judith Engel, Senita Huskić, Holger Daemgen, Adrian Grünewald, Wolfgang Michael
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