Nachdem Laura Kaehrs Dokumentarfilm Becoming Giulia bereits den Publikumspreis des Zurich Film Festivals 2022 gewinnen konnte, kommt dieser nun auch in die deutschen Kinos. Der Film begleitet die italienische Ballerina Giulia Tonelli, welche als Erste Solistin im Zürcher Ballett tanzt. Über einen Zeitraum von drei Jahren gibt der Film intime Einblicke in Giulias Familienleben, ihre Rolle als Mutter und gleichzeitig professionelle Ballerina sowie schließlich auch, wie sich ihr Leben durch den Beginn der Corona-Pandemie verändert.
Bereits drei Monate nach ihrer Schwangerschaft kehrt Giulia zurück auf die Bühne und tanzt als Hauptbesetzung in Romeo und Julia die Rolle der Julia. Einerseits fühlt sie sich erfüllt und ist glücklich, ihrer Leidenschaft wieder nachzukommen, andererseits muss sie sich auch an die neue Doppelbelastung für ihren Körper und ihren Geist gewöhnen. Zwar gibt es heutzutage mehr junge Tänzerinnen, die gleichzeitig Mutter werden, allerdings wird immer wieder deutlich, dass in dieser Branche dauerhaft Perfektion erwartet wird und beim Planen von Auftritten, Proben und Castings keine Rücksicht auf familiäre Faktoren genommen wird.
Zwischen Professionalität und Privatem
Kaehr zeigt auch, wie unterschiedlich die Arbeitsbedingungen der Tänzer unter den verschiedenen Direktoren sein können. Während Giulia sowohl privat als auch bei der Arbeit ein sehr gutes Verhältnis zu Cathy Marston hat, welche selbst Mutter ist, kommt sie mit dem Führungsstil und der Kritik von Direktor Christian Spuck weniger gut zurecht. Trotzdem zeigt sich hier ihre Professionalität und ihr hoher Anspruch an sich selbst, und dass sie durchaus in der Lage ist, ihre Performance trotzdem abzurufen.
Trotz des hohen Belastungs- und Stresslevels zeigt sich Giulia hier niemals als schwache, verletzliche Frau, die an der Doppelbelastung zwischen ihrer Rolle als Mutter und ihrer Karriere zerbrechen könnte. Ganz im Gegenteil, es wird deutlich, wie bewusst sie diesen Weg gewählt hat und auch, wie ihr Sohn ihr Kraft und Inspiration gibt. Außerdem wird immer wieder gezeigt, wie ihr Mann, aber auch ihre Eltern, sie nicht nur familiär entlasten, sondern auch bei ihren Auftritten unterstützen.
Auch ohne Bezugspunkte zum Ballett interessant
Was die Kameraführung und den Schnitt angeht, schafft es der Film leider nicht, die Ballettauftritte vollumfänglich einzufangen. Durch das gewählte Bildformat sind bei den Tänzern immer wieder nicht nur Hände oder Füße abgeschnitten, sondern streckenweise sogar der Kopf des Tanzpartners. Nur in der letzten Szene des Films wählt man einen weiteren Kamerawinkel und bekommt so einen sehr ästhetischen Abschluss, der den Zuschauern aber gleichzeitig vor Augen führt, was ihnen die letzten 103 Minuten immer wieder vorenthalten wurde.
Becoming Giulia ist nicht der erste Dokumentarfilm, der die Herausforderungen junger Frauen zeigt, die sowohl Mutter werden wollen als auch eine erfolgreiche Karriere anstreben. Allerdings gewährt er erstmals einen Einblick in diese Thematik innerhalb einer Branche, die nach außen hin elegant, künstlerisch und filigran wirken mag. Hinter den Kulissen offenbart sich jedoch eine höchst kompetitive Umgebung, die den Tänzern sowohl körperlich als auch geistig enorm viel abverlangt. Becoming Giulia zeigt Giulia Tonelli als starke Frau und Mutter und bietet nebenbei einen sehr interessanten Einblick in eine Welt, die einem als Außenstehenden normalerweise verborgen bleibt. Auch wenn man keinerlei Bezugspunkte zum Ballett hat, ist dieser Film in seiner Gesamtheit durchaus interessant und sehenswert.
OT: „Becoming Giulia“
Land: Schweiz
Jahr: 2022
Regie: Laura Kaehr
Drehbuch: Laura Kaehr
Musik: Balz Bachmann, Mara Micciché, Julian Sartorius
Kamera: Laura Kaehr, Stéphane Kuthy, Felix von Muralt
Mitwirkende: Giulia Tonelli
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