Er gilt als der Mann der vielen Rollen. Kaum ein anderer deutscher Schauspieler ist so arbeitswütig und vielseitig wie Devid Striesow. In seinem neuesten Film Roxy (Regie: Dito Tsintsadze) spielt er den Taxifahrer Thomas Brenner, der eine erstaunliche Entwicklung durchmacht: vom unscheinbaren Ordnungsliebhaber zum aktiven Strippenzieher, der sich ins Halbweltmilieu von Oligarchen und Geheimdiensten vorwagt und bislang verborgene Facetten seiner Persönlichkeit entdeckt. Zuvor lief sein Leben wie eine Modelleisenbahn: immer dieselben Strecken, stets der gleiche Tagesablauf. Aber dann tritt der mit Geld um sich werfende Levan (Vakho Chachanidze) in Thomas‘ Leben, inklusive der attraktiven Liza (Camilla Borghesani) und dem achtjährigen Sohn Vova (Raphael Zhambakiyev). Offensichtlich auf der Flucht, spannt Levan den Taxifahrer ein, um sich zu verstecken und gefälschte Pässe zu bekommen. Zum Filmstart von Roxy am 25. Januar 2024 sprachen wir mit Devid Striesow über seine Beziehung zu Hunden, über die Bandbreite seiner Rollen und über seine Vorliebe für ambivalente Figuren.
Was war Ihre erste Reaktion, als Ihnen die Rolle des Taxifahrers Thomas Brenner angeboten wurde?
Das kann ich nicht mehr sagen, weil wir sieben Jahre gebraucht haben, um den Film auf die Beine zu stellen. Die Produktion dauerte acht Jahre, ich kam dann vor sieben Jahren ins Boot. Wir haben damals schon einen Teaser gedreht, um Geldgeber für das Projekt zu interessieren. Schon diese Zusammenarbeit mit Regisseur Dito Tsintsadze war toll. Der Dreh des Teasers war unkonventionell, verrückt und wahnsinnig humorvoll. Das hat mich dazu bewogen, sieben Jahre die Stange zu halten. Ich wollte das unbedingt spielen und in dieser Konstellation drehen.
Was hat Sie an der Rolle am meisten gereizt?
Dass er ein Mann ohne Gesicht ist, der in der Ecke steht und sich die Szenen genau betrachtet und dabei natürlich eigene Gedanken hat. Es ist die Herausforderung, mit wenig Mitteln viel zu spielen, und zwar so, dass das Publikum die Reise der Figur mitmacht. Das war ein großer Reiz und es fühlte sich alles richtig an. Dito hat mir sehr geholfen und mir Mut gemacht, die Ruhe zu bewahren, den Szenen einfach beizuwohnen und mir sozusagen meine eigenen Gedanken in dem Moment zu machen.
Ich fand, ein Teil des Humors kam auch daher, dass Sie die Angst vor dem Kampfhund namens „Roxy“ so glaubwürdig verkörpern. Dann habe ich gelesen, dass Sie mal eine Bulldogge hatten. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Ich hatte elf Jahre eine englische Bulldogge. Das war ein ganz toller Hund. Ich hatte immer Hunde, durchgehend seit ich Kind war. Und um das gleich mal klarzustellen: Der „Aron“, der als „Roxy“ eingesetzt wurde, ist ein unglaublich verträglicher, liebenswerter und schwerer Rüde, der eigentlich froh ist, wenn er seine Ruhe hat.
Wie haben Sie sich der Rolle angenähert? Es gibt einen Spruch über Sie, dass Sie sich an Ihre Rollen quasi heranalbern würden.
Ich würde das anders ausdrücken: Ich nähere mich meinen Rollen spielerisch, so wie es der Beruf des Schauspielers ja auch impliziert. In diesem Fall musste ich sehr reduzieren. Ich stellte mir vor, wie es ist, wenn jemand, der viele Jahre im gleichen Trott Taxi fährt und zu Hause auf seine Ordnung achtet, auf einmal diesen Leuten aus einer ganz anderen Welt begegnet. Dem habe ich mich gestellt, den sehr ungewöhnlichen Begegnungen mit ungewöhnlichen Menschen. Das war die Herausforderung.
Am Set wurde auch improvisiert. Hat das die Rolle noch einmal verändert?
Nein, es wurde innerhalb der Rolle improvisiert. Das betraf auch vor allem die Dinge, die sich die russischen und georgischen Kollegen haben einfallen lassen. Ich als betrachtender Teil habe mich überraschen lassen von dem, was die sich ausdachten.
Ihre letzte große Rolle war der Psychiater Richard Meyerhoff in Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war von Sonja Heiss. Sie haben mal gesagt, Sie würden versuchen, sich nicht zu wiederholen. Der Meyerhoff ist eher ein gemütlicher Mensch, während der Thomas Brenner auf eine Reise geht, wo es ungemütlich wird. Wie sehen Sie die beiden Rollen im Vergleich?
Das sind zwei ganz unterschiedliche Charaktere. Ich hatte das Glück, dass mir das Drehbuch von Sonja Heiss für den Professor Meyerhoff eine sehr genaue Zeichnung vorgegeben hat. Da lagen die Dinge ziemlich klar. Der Thomas Brenner ist hingegen eine Figur aus einer schwarzen Komödie, dort ist alles überzeichnet und überhöht. Das ist ein ganz anderer Film und eine ganz andere Welt. Trotzdem muss man sich auch in einer schwarzen Komödie zurücknehmen und kann nicht einen Gag nach dem anderen abfeuern.
Kann man sagen, dass bei Ihnen Ambivalenz immer eine Rolle spielt?
Ich mag ambivalente Figuren sehr. Sie haben einfach mehr Futter und sind interessanter zu spielen als Charaktere, die eher eindimensional sind.
Mir ist beim Sehen von Roxy ein früherer Film von Ihnen durch den Kopf gegangen, bei dem Ihre Figur ebenfalls zwei Gesichter zeigt. Das ist der Hochstapler Frank in So glücklich war ich noch nie von Alexander Adolph. Sehen Sie hier Parallelen?
Parallelen nicht, aber ich kann mich noch gut an den früheren Film erinnern. Das ist ein Hochstapler, der zu Hochform aufläuft, indem er alle möglichen Charaktere spielt, um seiner eigenen Bedürftigkeit zu entfliehen. Ich mag die Figur sehr und sie tut das alles ganz bewusst. Der Thomas Brenner ist dagegen jemand, der aus dem Trott aussteigt und ein Leben wittert, zu dem er bisher nicht mal ansatzweise einen Zugang hatte. Das ist das, was er forciert und damit zu einem schlimmeren Verbrecher wird als die Leute, die da schon in Aktion sind.
Wenn man über Sie liest, dann stößt man unweigerlich auf die Formulierung vom „Mann mit den vielen Rollen“. Sind Sie spielwütig oder arbeitswütig?
Nein. Ich kann wunderbar nichts machen. Ich spiele gern viele Charaktere und finde es spannend, möglichst unterschiedliche Personen zu verkörpern. Aber ich bin weder spielwütig noch ein Workaholic oder wie das sonst gern bezeichnet wird. Im Gegenteil, ich habe auch familiäre Pflichten und kann wunderbar Zeit mit der Familie verbringen. Da kommt bei mir kein Arbeitsdruck auf.
Aber früher kam es schon vor, dass Sie mittags beim Drehen waren und abends auf der Bühne standen, oder?
Trotzdem sind dabei wunderbare Filme herausgekommen und auch die Vorstellungen waren hervorragend. Aber es stimmt, so etwas gab es.
Sind Sie in Ihrem Element, wenn Sie viel spielen?
Mir macht es großen Spaß, aber man muss auch aufpassen, dass einen die Kraft nicht verlässt und dass man mit seiner Energie haushält.
Wenn man versucht, ein paar von Ihren großen Rollen Revue passieren zu lassen, dann ist da zum Beispiel die ungeheure Härte in Yella, wo sie einen Unternehmensberater spielen, der sein Ding mit aller Konsequenz und Menschenverachtung durchzieht. Aber es gibt auch den netten Jungen von nebenan, den Kumpeltyp, wie etwa Sie als Hape Kerkeling in Ich bin dann mal weg von Julia von Heinz. Woher nehmen Sie diese enorme Bandbreite?
Es hat etwas damit zu tun, wie man gefordert wird und was an einen herangetragen wird. Dass es mit dem Hape geklappt hat, ist eine tolle Fügung. Abgesehen davon hat mich der Charakter interessiert, der sich da auf den langen Jakobsweg macht. So sind immer wieder Dinge an mich herangetragen worden, die mich auch selbst überrascht haben, wie zum Beispiel der General in Im Westen nichts Neues von Edward Berger, der die Jungs wieder zurück in den Krieg schickt. Was für eine tolle Sache, dass die Leute mir Dinge anvertrauen, die nicht stereotyp sind und nicht nur eine Seite eines Charakters zeigen! Das nimmt dann auch im Theater seinen Lauf, wo ich gerade den Ödipus am Hamburger Schauspielhaus spiele. Darüber freue ich mich genauso wie darüber, dass ich dem Publikum eine Figur wie den Hape schenken darf, an der es seinen Spaß hat.
Welche nächsten Filme kann man von Ihnen sehen?
In der ARD-Mediathek kann man noch Das Fest der Liebe sehen, unsere Improvisationsserie von Jan Georg Schütte mit Charly Hübner, Claudia Michelsen und vielen anderen. In der Arte-Mediathek läuft weiterhin Nackt über Berlin, eine Serie von meinem Freund Axel Ranisch nach dessen Roman, auf die ich sehr stolz bin. Und ich werde Johann Sebastian Bach spielen in einem Film über das Weihnachtsoratorium 1734. Das ist eine Familiengeschichte für die ARD zu Weihnachten.
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