Als Teil einer pakistanischen Familie, die nach Schottland ausgewandert ist, ist der Lebensweg von Casim Khan (Atta Yaqub) praktisch vorgeschrieben. Er soll einmal seine Cousine heiraten, so wurde es vor langer Zeit beschlossen. Auch sonst haben seine Eltern Tariq (Ahmad Riaz) und Sadia (Shamshad Akhtar) ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie sein Leben auszusehen hat. Dabei hat er ganz andere Träume. So möchte er einen Club eröffnen. Und dann wäre da noch Roisin Hanlon (Eva Birthistle). Zufällig hatte er die irische Musiklehrerin kennengelernt, die an der Schule seiner jüngeren Schwester Tahara (Shabana Akhtar Bakhsh) unterrichtet. Beide entwickeln sie Gefühle füreinander. Doch wie soll das gehen bei seiner streng gläubigen Familie, die auf alte Traditionen pocht?
Die Geschichte einer unmöglichen Liebe
Ken Loach ist bekanntlich so etwas wie das personifizierte soziale Gewissen des europäischen Films. Seit Jahrzehnten schon greift er gesellschaftliche Missstände auf und versteht sich als Sprachrohr derer, die sonst kein Gehör finden. So erzählte er in Sorry We Missed You (2019), wie eine Mittelstandfamilie aufgrund äußerer Umstände immer weiter nach unten gereicht wird und sich mit prekären Arbeitsverhältnissen durchkämpft. Sein neuester Film The Old Oak (2023) handelte von Konflikten zwischen syrischen Geflüchteten und der Bevölkerung einer Kleinstadt, die seit dem Ende des Bergbaus selbst nicht weiß, wie sie sich versorgen soll. Das Thema Immigration stand aber schon früher bei dem Briten auf dem Programm, wenn sich in Just a Kiss (2004) der Sohn pakistanischer Einwanderer in eine weiße Irin verliebt.
Eigentlich sollte das nicht wirklich ein Problem sein. Ist es aber, zumindest in dem Film hier. Wobei Loach und sein langjähriger Drehbuchautor Paul Laverty nicht einseitig von Rassismus sprechen, auch wenn dies naheliegend gewesen wäre. Stattdessen erzählen die beiden von der Schwierigkeit, die mit Parallelgesellschaften entstehen. So halten die Khans an ihren Überzeugungen und Traditionen der alten Heimat fest, die eben auch beinhalten, wer mit wem eine Ehe eingehen soll. Dass Casim mit einer Nicht-Muslimin eine Beziehung eingehen soll, ist für die Familie unvorstellbar. Von Ehre ist in Just a Kiss die Rede, die unter allen Umständen bewahrt werden muss. Davon, dass die beiden Liebenden Schande bringen würden und Leben der übrigen zerstören. Gefühle haben in diesen Diskussionen keinen Platz, das Individuum hat sich dem Kollektiv zu beugen.
Gefangen in einer Parallelgesellschaft
Wobei Just a Kiss darum bemüht ist, die Familie nicht allein als rückständige Fanatiker darzustellen. Zum einen wird als Gegenspieler ein bigotter Geistlicher eingeführt, der selbst nicht gerade ein Musterbeispiel für fortschrittliches Denken ist. Zum anderen spricht der Film auch offen an, wie schwierig es ist, als dunkelhäutige Einwanderer in der Fremde anzukommen. So beginnt die Geschichte damit, wie Tahara von Mitschülern schikaniert wird. Auch ihre Eltern haben mit Vorurteilen und Anfeindungen zu kämpfen. Die Rückbesinnung auf alte Traditionen, die Kernfamilie und die pakistanische Gemeinschaft ist zum Teil eben auch die Antwort darauf, von vielen marginalisiert zu werden. Wer ohnehin nicht in der Gesellschaft akzeptiert wird, der schafft sich eben seine eigene.
Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht tragisch. Casim und Roisin werden zu einer Art Romeo und Julia, wenn ihre Liebe aufgrund äußerer Umstände unmöglich ist. Schön ist dabei, wie der Film auch bei ihnen mit Ambivalenz arbeitet. So hat Casim schwer damit zu kämpfen, für seine Freundin einzustehen. Seine jüngere Schwester, die ebenfalls um ein selbstbestimmtes Leben kämpft, fühlt sich auch von ihm im Stich gelassen. Roisin wiederum argumentiert aus einer Position der Stärke heraus. Wer privilegiert aufgewachsen ist, kann leichter einfordern, nicht mit einer Lüge zu leben, sie hat nicht viel zu verlieren. Just a Kiss bedeutet auch in der Hinsicht eine Aufforderung, genauer hinzuschauen, offener zu sein, zuzuhören. Verbunden ist das mit einem leichten Optimismus, das dies geschehen kann, auch wenn hier das Ende bittersüß ist, sich nicht der Gefälligkeit hingibt. Der Kuss kann nur der Anfang sein, nicht die Lösung.
OT: „Fond Kiss…, Ae“
Land: UK, Italien, Spanien
Jahr: 2004
Regie: Ken Loach
Drehbuch: Paul Laverty
Musik: George Fenton
Kamera: Barry Ackroyd
Besetzung: Atta Yaqub, Eva Birthistle, Ahmad Riaz, Shamshad Akhtar, Shabana Akhtar Bakhsh, Ghizala Avan
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