Als die Künstlerin Inés in einem Buchladen in Indien stöbert, stößt sie auf Sultana’s Dream. In diesem Buch liest sie von einer Gesellschaft, in der nach einem verheerenden Krieg Frauen das Sagen haben, während die Männer sich auf das Häusliche zurückgezogen haben. Inés ist von diesem sonderbaren Werk fasziniert, welches mehr als hundert Jahre zuvor geschrieben wurde. Während sie tiefer in die Geschichte des zufälligen Fundstücks eintaucht, beginnt sie, auch ihre eigene Welt mit anderen Augen zu sehen. Und so begibt sie sich auf eine Reise der Fantasie, die für sie selbst zu einer großen Inspiration wird …
Reise in die futuristische Vergangenheit
In den letzten Jahren wurde viel darüber gesprochen, dass Frauen trotz unbestrittener Fortschritte noch immer benachteiligt sind. Ob es nun die Wirtschaft ist, Politik oder die Unterhaltungsindustrie, die Machtpositionen sind oft noch männlich geprägt. Die Vorstellung einer völligen Gleichberechtigung, sie ist nach wie vor eine, die dem Reich der Fantasie entspringt. Umso bemerkenswerter ist der Roman Sultanas Traum. Darin entwarf die bengalische Schriftstellerin Rokeya Hossain bereits 1905 die Utopie von Ladyland, wo die Machtverhältnisse von Männern und Frauen getauscht wurden. Das macht das Buch zu einem der frühesten Beispiele feministischer Science-Fiction. Spannend ist dabei auch, dass die Autorin islamischen Glaubens war.
Der gleichnamige Film ist dabei nur zum Teil eine Adaption dieses visionären Werks. Stattdessen kombiniert die spanische Regisseurin und Co-Autorin Isabel Herguera die Vorlage mit einer Rahmenhandlung rund um die Künstlerin Inés. Sie ist es, durch die wir das Werk kennenlernen. Sie wird zum Alter Ego der Filmemacherin, die selbst eines Tages zufällig in einer Buchhandlung über den Roman stolperte. Und weil das offensichtlich noch nicht genug Stoff war, behandelt Sultanas Traum auch noch das Leben von Rokeya und gibt dem Publikum die Möglichkeit, mehr über das Leben Anfang des 20. Jahrhunderts im damaligen Britisch-Indien zu erfahren. Frauen waren damals wenig überraschend nicht unbedingt tonangebend, wobei die Autorin ein vergleichsweise gutes Leben führte. Als Mitglied einer aristokratischen Familie musste sie keine wirtschaftliche Not befürchten. Ihr zwanzig Jahre älterer Ehemann ermunterte sie zudem dazu, sich künstlerisch zu verwirklich.
Faszinierender Mix von Themen und Stilen
Zu erzählen hat der Film also eine ganze Menge. Obwohl er nicht sonderlich lang ist, genauer rund 80 Minuten, steckt da eine Menge drin. Durch die Sprünge zwischen den Ebenen kann es aber auch vorkommen, dass man ein wenig den Faden verliert. Zwar arbeitet Sultanas Traum mit verschiedenen Animationsstilen, um die einzelnen Ebenen deutlicher voneinander zu entscheiden. Beispielsweise wurden die Passagen, welche das Leben der Autorin erleuchten, mit einer Cut-Out-Technik umgesetzt, die an klassische Schattenspiele erinnert. Die Szenen in der Gegenwart verwenden hingegen traditionelle 2D-Animation im Aquarellstil. Doch diese Wechsel können dazu führen, dass man ein wenig von allem überwältigt ist.
Andererseits ist es gerade auch die Optik, die einen Blick rechtfertigt. Wer sich für das Thema Animation interessiert und gerade auch für eine solche, die nicht dem heute gängigen CGI-Typ entspricht, für den ist das hier ein Fest. Die Figuren mögen simpel gehalten sein, teilweise fast schon primitiv, ziehen einen aber in den Bann. Sultanas Traum nimmt uns mit auf eine fantasievolle Reise, bei der Realität und Vorstellung fließend ineinander übergehen. Der Film ist dabei einerseits eine Verbeugung vor dieser Schriftstellerin, die hierzulande vermutlich wenige kennen werden, in ihrer Heimat aber viel bewegt hat. Gleichzeitig ist er eine Liebeserklärung an den künstlerischen Schaffungsprozess als solchen, wenn uns dieser erlaubt, gleichzeitig unsere Welt zu verarbeiten und völlig neue zu entwerfen.
OT: „El Sueño de la sultana“
Land: Deutschland, Spanien
Jahr: 2023
Regie: Isabel Herguera
Drehbuch: Isabel Herguera, Gianmarco Serra
Musik: Gianmarco Serra
Kamera: Eduardo Elosegi
Filmfest Hamburg 2023
DOK Leipzig 2023
Nordische Filmtage Lübeck 2023
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Annecy 2024
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