Wer ein Masterstudium an der Universität St. Gallen absolviert, der kann sich fast schon sicher sein, künftig zur weltweiten Wirtschaftselite zu gehören. Im Studiengang Strategy and International Management werden die CEOs von morgen ausgebildet. Die Aufnahmekriterien sind hoch und beinhalten unter anderem Interviews, in denen die Persönlichkeit der Bewerber sowie ihre Werte und Ziele ausgelotet werden. Der Filmemacher Piet Baumgartner hat fünf junge Menschen über mehrere Jahre mit der Kamera begleitet – vom Beginn des Studiums in St. Gallen bis weit nach ihren Abschlüssen. Die Absolventen und Absolventinnen stehen ständig unter Druck, müssen sich mit Bewerbungsprozessen bei großen Unternehmen oder mit dem Aufbau eigener Firmen herumschlagen. Dabei scheitern sie auch mal, verlieren ihre Ziele aber nie aus den Augen. Denn wer es schon so weit geschafft hat, für den ist Aufgeben keine Option.
Die Welt aus rein wirtschaftlicher Perspektive
Bereits in den Szenen zu Beginn des Films, die Ausschnitte aus den Aufnahmeinterviews zeigen, wird klar, dass man es hier mit einem ganz besonderen Menschenschlag zu tun hat. Eine eigene Firma gründen, eine Top-Level-Position erreichen oder größtmöglichen Einfluss nehmen – solche Antworten geben die jungen Kandidaten und Kandidatinnen auf die Frage nach ihren Zukunftsplänen. Bereits im Studium kommen sie in Kontakt mit großen Firmen, die Geld in Veranstaltungen an der Universität investieren, um sich von den Studierenden etwa Marketingkonzepte pitchen zu lassen – eine Situation, aus der beide Seiten Lehren ziehen und wo sie Kontakte knüpfen. In den Lehrveranstaltungen geht es um Effizienz, Verbesserung oder das Überzeugen möglicher Investoren. Bezeichnend ist die in starkem Kontrast dazu stehende Szene, in der eine der Studentinnen sich im Musikraum der Universität ans Klavier setzt. Eine enge, fensterlose Kammer ist das, die die junge Frau selbst als „uninspirierend“ und „nicht schön“ bezeichnet und in der sie sich ungern für längere Zeit aufhält. Schönheit und Inspiration sind ganz klar keine Werte, die den Studierenden hier vermittelt werden sollen. Stattdessen geht es darum, die Welt aus rein wirtschaftlicher Perspektive wahrzunehmen und überall das meiste Geld herauszuholen.
Lange Zeit wird dies im Film leider nicht hinterfragt. Erst gegen Ende wird endlich einmal die Frage gestellt, ob derlei talentierte Menschen nicht auch in staatlichen Organisationen oder NGOs arbeiten sollten, statt fast ausschließlich in die Wirtschaft zu gehen. Die Antwort ist ernüchternd und bezeichnend für unsere vom Kapitalismus durchdrungene Gesellschaft: In diesen Bereichen könne man nichts bewirken. Geprägt durch ihre Elternhäuser und ihr Studium weigern sich die jungen Leute, den Kapitalismus auch nur zu hinterfragen und wehren sich gegen den Vorwurf, die Ausnutzung durch große Konzerne sei unfair.
Ein Leben für die Arbeit
Obwohl ihnen zahlreiche Möglichkeiten offenstehen, scheitern die Absolventen und Absolventinnen bei ihrem Start ins Berufsleben aber auch manchmal. Während einige den harten Bewerbungsprozess bei großen Unternehmensberatungen durchlaufen, wählen andere den Weg einer eigenen Firmengründung. Das Geld der Eltern ist dabei natürlich hilfreich, ein Scheitern aber dennoch alles andere als ausgeschlossen. Welchen Weg sie auch wählen, eine hohe Arbeitslast und ständiger Stress scheinen vorprogrammiert zu sein. Wenn in einer Szene ein junger Mann sich bei einem anderen beklagt, weil er zwar ständig zu Geschäftsreisen in teure Hotels geschickt werde, deren Vorzüge aufgrund der knapp bemessenen Reisezeiten und der vielen Arbeit aber gar nicht genießen könne, dann scheint das zwar ein Luxusproblem zu sein. Gleichzeitig macht der Film aber auch deutlich, wie viel (Erwartungs-)Druck auf den portraitierten jungen Leuten lastet. Jede Minute, die sie für etwas anderes als Arbeiten oder Schlafen verwenden, macht sie ungeduldig, weil man die Zeit ja effizienter nutzen könnte.
Andere Perspektiven als die der fünf Protagonisten des Films und ihrer Familien werden leider nicht einbezogen. Umso überraschender ist es dann allerdings, als ganz zum Schluss eine der fünf – die junge Dame, die sich in einer vorherigen Szene ans Klavier gesetzt hat – doch äußerst deutliche Worte findet für die Kultur einer Branche, die Leistung über alles stellt und das Zeigen von Schwäche nicht zulässt. Sie stellt sogar die künftige Existenz großer Unternehmensberatungen infrage, falls sich das nicht ändern sollte. Eine derart kritische Auseinandersetzung mit dem Thema hätte man sich schon viel früher im Film gewünscht.
OT: „The Driven Ones“
Land: Schweiz
Jahr: 2023
Regie: Piet Baumgartner
Drehbuch: Piet Baumgartner
Musik: Fatima Dunn
Kamera: Stefan Dux
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