Denis Moschitto ist vielen als Schauspieler bekannt, bei zahlreichen Fernseh- und Kinoproduktionen stand er vor der Kamera. Doch das war ihm nicht länger genug, an der Seite von Daniel Rakete Siegel gibt er in Schock (Kinostart 15. Februar 2024) sein Debüt als Regisseur. In dem Thriller erzählen die beiden die Geschichte des Arztes Bruno, von Moschitto gespielt, der aufgrund seines Drogenmissbrauchs seine Approbation verliert und gezwungen ist, illegal Leute zu behandeln, die aus verschiedensten Gründen keinen offiziellen Arzt aufsuchen können. Dabei lässt er sich auch auf einen Auftrag ein, der ihn bis in die Tiefen der Unterwelt führt, wo er zunehmend die Kontrolle verliert. Wir haben das Multitalent bei der Premiere auf dem Filmfest München 2023 getroffen und uns mit ihm über sein Werk unterhalten.
Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Schock verraten? Wie kam es zu dem Film?
Daniel Rakete Siegel und ich haben vorher schon eine Comedy-Serie für ZDFneo zusammen gemacht, Im Knast. Wir hatten sehr viel Freude daran und daraus ist sehr schnell eine sehr enge Freundschaft geworden. Irgendwann ist dann die Idee entstanden, dass wir zusammen einen Film machen wollen, dann eben auch als Co-Regisseure. Das Thema hatten wir anfangs noch nicht, es war ein ganz langer Dialogprozess bis zur Idee des Arztes, der Leute ohne Krankenversicherung behandelt. Der Impuls kam durch die Manga-Reihe Monster von Naoki Urasawa. Ich bin sehr japanophil und die Adaption ist eine meiner liebsten Animeserien. Solche Ärzte gibt es tatsächlich, bei uns kam nur noch der Untergrundaspekt hinzu, also dass der Arzt die Seiten wechselt. Der Rest hat sich einfach entwickelt. Wir konnten uns dabei viel Zeit lassen und haben das auch auch ausgenutzt: Insgesamt waren es schon mehrere Jahre, die wir immer wieder daran gearbeitet haben.
War es von Anfang geplant, dass du auch die Hauptrolle übernimmst?
Ganz und gar nicht. Ich wollte ja unbedingt Regie führen und auch das Drehbuch schreiben, darauf lag mein ursprüngliches Interesse. Auf das Schauspielen wollte ich verzichten, weil das für mich der Regiearbeit im Weg stand. Zunächst hatten wir jemand anderen vor Augen, der das auch gern gemacht hätte. Aber dann kam Corona dazwischen und die Termine haben sich verschoben. Und am Ende habe ich es dann selbst gemacht, weil ich einfach am nächsten am Stoff war.
Hat es für dich die Regie einfacher oder schwieriger gemacht, dass du die Hauptrolle hattest?
Mal so, mal so. Manche Aspekte hat es komplizierter gemacht, weil ich nicht selbst hinter der Kamera draufschauen konnte. Wobei ich wusste, dass ich mich auf Daniel verlassen kann. Manchmal war es aber auch leichter, weil man mitten im Bild steht und das mit den anderen von innen heraus entwickeln kann. Wenn man selber spielt, versteht man die Komplikationen besser, die auf dieser Seite entstehen können. Zum Beispiel die Probleme, die die Leute haben, wenn im Drehbuch etwas ungenau beschrieben ist.
Hat es dir denn beim Drehbuchschreiben geholfen, dass du Schauspieler bist und deshalb weißt, was es fürs Spielen braucht?
Im Großen und Ganzen ja. Wobei es mir vor allem geholfen hat, dass ich schon so wahnsinnig viele schlechte Drehbücher gelesen habe. Viele Drehbücher leiden meiner Meinung nach unter einer Überpräzision an Stellen, wo es gar nicht notwendig ist. Ich muss in einem Drehbuch nicht von der Holzmaserung eines Mahagonitisches lesen. Oder du liest, dass jemand auf der Straße von einem untersetzten Mann um die 40 mit Haarkranz angerempelt wird. Da werden so viele überflüssige Informationen hineingepackt, nur um zu zeigen, dass man das kann. Dafür sind andere Stellen nicht präzise genug. Wenn da steht „ein lustiges chaotisches Miteinander entsteht“, weiß ich als Schauspieler nicht, was ich damit anfangen soll. Das hatte ich beim Schreiben schon im Hinterkopf.
Wann muss ein Drehbuch denn präzise sein?
Wenn es technisch wird. Bei unserem Showdown haben wir präzise beschrieben, was geschehen soll, damit das Ganze auch wirklich umsetzbar ist. Bei solchen Szenen musst du detailliert vorgehen.
Nachdem du von schlechten Drehbüchern erzählt hast: Was macht für dich ein gutes Drehbuch aus?
Das Drehbuch ist immer die erste Materialisierung eines Films. Es ist aber noch nicht der Film selbst, sondern es sollte eine gute Ausgangssituation bieten. Ein gutes Arbeitsmaterial, um daraus einen Film zu machen. Die Texte müssen nicht unbedingt witzig sein oder ganz eloquent geschrieben. Oft ist es besser, wenn sie nüchtern sind und sich auf das Nötige beschränken. Dialoge sollten knapp sein, in Deutschland wird meiner Ansicht nach viel zu viel geredet in Filmen.
Wie sah dann bei euch die Drehbucharbeit aus? Habt ihr euch mit Ärzten ausgetauscht?
Ja, haben wir. Wir konnten uns natürlich nicht mit Ärzten unterhalten, die wie unser Protagonist illegal arbeiten. Aber wir haben viel über medizinische Aspekte gesprochen, weil wir die wasserdicht haben wollten. Oder auch darüber, wie es mit Drogen in Krankenhäusern aussieht. Das war sehr ernüchternd. Viele Leute, die in Krankenhäusern arbeiten, sind komplett überarbeitet. Ansonsten haben wir viel gelesen und recherchiert, um uns so dem Thema zu nähern.
Ihr wolltet aber keinen Film, der sich auf diese gesellschaftlichen Aspekte konzentriert, also die Probleme im Gesundheitssystem?
Nein, das hat uns weniger interessiert. Wir wollten einen Film drehen, der sich mit Einsamkeit befasst, mit Überforderung, aber auch mit dem Überschätzen von eigenen Fähigkeiten. Und dem Unterschätzen von Komplexität. Unser Protagonist Bruno gerät da in eine Sache, die er irgendwann nicht mehr kontrollieren kann. Das hat nichts mit seiner Kompetenz als Arzt zu tun. Er merkt nur nicht, was er da tut.
Wie würdest du Bruno denn allgemein als Mensch beschreiben?
Sehr ambitioniert, ehrgeizig, klug, scharfsinnig, moralisch irgendwie doch richtig liegend. Aber er ist auch verloren und hat das Gefühl, keine zweite Chance verdient zu haben. Er hatte eine Kokainabhängigkeit, hat die aber mittlerweile im Griff.
Bekommen Menschen in dieser Situation denn eine zweite Chance?
Wenn du drogenabhängig bist, ist es klar, dass du erst einmal niemanden mehr behandeln kannst, weshalb die Approbation dann zunächst ruht. Du kannst aber nach einer gewissen Auszeit wieder einen Antrag stellen. Viele tun das auch. Prinzipiell hätte Bruno also schon die Chance gehabt, wieder offiziell als Arzt zu arbeiten. Die Frage ist nur: Wird so jemand wieder angestellt?
Du hast eben das Thema der Moral angesprochen. Wenn Bruno Menschen behandelt, die sonst von niemandem behandelt würden, tut er das sicher auch aus einer moralischen Absicht heraus. Gleichzeitig erfahren wir, dass die Medikamente, die er dabei verabreicht, anderen fehlen werden. Ist das dann noch moralisch?
Aus meiner Sicht nach ganz klar nein. Bruno ignoriert das und betreibt ein wenig Augenwischerei, weil er sagt, dass er Leuten hilft. Damit rechtfertigt er das vor sich selbst. Dabei ist klar, dass diese Therapie wahrscheinlich nicht einmal etwas bringen wird. Bruno will nicht wahrhaben, dass er nichts mehr machen kann. Macht aber trotzdem weiter, weil er das Gefühl hat weitermachen zu müssen.
Bruno macht im Laufe des Films eine ziemlich krasse Wandlung durch. Denkst du, dass das etwas ist, was grundsätzlich bei allen so möglich ist, oder braucht es eine Veranlagung dafür?
Bruno ist schon ein sehr spezieller Charakter und ich will auch keine allgemeine Aussage über die Menschheit machen. Der Film ist ein Blick auf eine einzelne Person, die immer ein Stück weit auch rätselhaft bleibt. Andere Menschen wären anders mit der Situation umgegangen. Ich wäre anders damit umgegangen, weil mir das Risiko viel zu groß gewesen wäre.
Gab es für ihn eine realistische Chance, vorzeitig auszusteigen, nachdem er mit dem Ganzen angefangen hat?
Prinzipiell hätte er jederzeit die Hände vom Steuer nehmen können, dann wäre das alles nicht so eskaliert. Aber ich glaube, er kann nicht anders. Es hat schon etwas Schicksalhaftes, wie er gegen die Wand fährt.
Diese ganzen Themen hätten sich auch für ein Drama angeboten. Warum habt ihr daraus einen Genrefilm gemacht?
Mich interessiert Genre generell. Es gab in Deutschland auch Genrefilme, die erfolgreich waren. Dennoch habe ich das Gefühl, dass da noch nicht alles getan und viel zu holen ist. Wir hatten kein Interesse an einer klassischen Rise-and-Fall-Geschichte, sondern wurden mehr durch europäische Filme inspiriert wie zum Beispiel die Pusher Trilogie von Nicolas Winding Refn. So etwas wollten wir machen. Wir haben in Deutschland die Mafia, in Nordrhein-Westfalen ist sie seit 40 Jahren. Aber wenn Filme dazu gemacht werden, wirken sie immer so unecht, larger than life. Da läuft man schon sehr amerikanischen Vorbildern hinterher. Wir wollten das runterkochen, damit es glaubhafter wird. Bei uns landen keine Aliens in Bonn, wir wollten die Realität darstellen, wie es sie in Deutschland gibt.
Und wie schwierig war es, andere davon zu überzeugen? So etwas muss am Ende schließlich finanziert werden.
Das ist richtig. Wir haben sehr viel Unterstützung bekommen und hatten das Glück, dass viele Leute schon sehr früh eingestiegen sind in das Projekt. Generell ist es schon schwierig, solche Geschichten in Deutschland zu erzählen. Gleichzeitig gibt es einen unglaublichen Durst danach, die Leute haben wirklich Lust auf so etwas. Die Filmschaffenden sowieso, auch bei den Schauspielern und Schauspielerinnen ist die Freude groß. Wir sind da einfach auf fruchtbaren Boden gestoßen.
Wie siehst du allgemein die Situation vom deutschen Genrefilm? Du hast da zwar jede Woche unzählige Krimis im Fernsehen. Aber wenn du dich etwas davon wegbewegst, wird es schnell dünn.
Ja, ich glaube, dass wir da wirklich noch ganz in den Anfängen sind. Auf der einen Seite ist das schön, weil da noch viel Feld zum Bebauen und Luft nach oben ist. Da ist Platz für uns alle. Momentan gehen viele Filmschaffende aber noch den Weg des geringsten Widerstandes. Das kann ich absolut nachvollziehen, weil du schauen musst, wo du bleibst. Aber wir müssen dieses Denken ablegen und mutiger sein.
Hättest du denn deutsche Positivbeispiele, wo es funktioniert hat?
Ja, natürlich. Sonne und Beton war ein ganz toller Film. Oder Hotte im Paradies über einen Zuhälter. Rammbock ist ein gutes Beispiel, dass man auch in Deutschland einen Zombiefilm drehen kann. Hell würde ich dazuzählen. Es bewegt sich also schon etwas.
Was müsste man denn tun, damit das schneller geht?
Das ist schwer zu beantworten. Wir müssen erst einmal das Publikum dafür gewinnen. Bei Netflix hast du das, Blood Red Sky von Peter Thorwarth war sehr erfolgreich, auch international. Damit so etwas aber auch im Kino läuft, musst du ein Publikum daran gewöhnen, dass das aus Deutschland kommen kann. Viele sind erst einmal skeptisch, wenn sie hören, dass es ein deutscher Film ist, und schauen sich lieber etwas Amerikanisches an. Das kann ich verstehen. Aber davon dürfen wir uns nicht abhalten lassen, selbst wenn das Risiko am Anfang groß ist, dass sich niemand deine Filme anschaut.
Wäre es denn für dich eine Option gewesen, Schock auch für Netflix zu machen?
Sicherlich. Aber mir war es sehr wichtig, dass es ein Kinofilm wird, eben weil wir etwas bewegen wollen. Außerdem ist es einfach etwas anderes, wenn du mit einem solchen Film auf Reise gehst und ihn persönlich vorstellst, anstatt, dass die Leute ihn sich zu Hause anschauen.
Wie stehst du allgemein zu solchen Streamern? Sind sie eine Bereicherung oder eine Gefahr?
Beides. Man spürt schon, das hat alle angezündet in Deutschland, es sind dort sehr viel mutigere Dinge möglich. Ich glaube sogar, dass Schock niemals möglich gewesen wäre ohne Streamer, weil man dort gesehen hat, dass das funktionieren kann. Aber sie sind auch eine Gefahr, gerade für Kinos, die nach Corona nicht in bester Kondition sind.
Letzte Frage, wie geht es bei dir weiter? Was sind die nächsten Projekte?
Ich will auf jeden Fall weiter mit Daniel arbeiten und wir entwickeln gerade eine Miniserie. Die Vorlage ist ein ganz feiner, kluger Roman. Dann planen wir weitere Kinostoffe. Ideen haben wir eine Menge und ich freue mich schon darauf.
Vielen Dank für das Gespräch!
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