Oklahoma, 1906: Der alte Witwer Henry McCarty (Tim Blake Nelson) lebt zurückgezogen mit seinem Sohn Wyatt (Gavin Lewis) auf einer Farm, wo sie ihrer Arbeit nachgehen. Eines Tages entdeckt er dabei in der Nähe ein Pferd, auf dessen Sattel sich Blut befindet. Dessen Besitzer stellt sich als Curry (Scott Haze) heraus, der schwer verletzt in der Nähe ist, ein Beutel voller Geld an seiner Seite. Zunächst will Henry mit der Geschichte nichts zu tun haben. Dann entscheidet er sich jedoch anders und nimmt den bewusstlosen Fremden mit zu sich, wo er seine Wunden verarztet. Als dieser wieder zu sich kommt, behauptet er, ein Gesetzeshüter zu sein, der einer Gangsterbande Geld abgeknüpft hat. Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis Ketchum (Stephen Dorff) und seine Männer bei der Farm auftauchen und das Geld einfordern …
Gelungener Spätwestern
Auch wenn der Western sicherlich nicht das beliebteste Filmgenre ist und die Zeiten, in denen man mit solchen Werken die Spitze der Kinocharts erobern konnte, länger vorbei sind, es finden sich doch noch erstaunlich viele neue Beiträge in dem oft tot gesagten Genre. Meistens handelt es sich dabei um eher kleinere Produktionen, bei denen schon der Blick auf die Besetzungsliste klarmacht: Hier gab es nicht viel Geld. Bei Old Henry ist es speziell das Engagement von Stephen Dorff, das einen Übles erahnen lässt. Dann und wann ist er zwar noch in ordentlichen Titeln zu sehen, zuletzt etwa in dem Krimithriller Mob Land. Ansonsten ist der Schauspieler in den letzten Jahren aber primär durch billige Actionthriller wie Paradise City – Endstation Rache aufgefallen.
Bei Old Henry zeigte er hingegen ein glücklicheres Händchen. Wobei Dorff hier ohnehin nur eine Nebenrolle als Antagonist hat. Im Mittelpunkt steht Tim Blake Nelson als Farmer mit einsiedlerischen Tendenzen, der sich um seine Tiere kümmert und ansonsten alles dafür tut, dass sein Sohn wohlerzogen gerät. Auffällig ist sein Versuch, sich von allen Schwierigkeiten und von Gewalt fernzuhalten. So ist Wyatt völlig unerfahren beim Umgang mit Waffen, was dort Seltenheitswert hat. Aber nur weil man der Gewalt aus dem Weg gehen möchte, heißt das nicht, dass dies auch wirklich funktioniert. Wie es im Westerngenre üblich ist, steht diese irgendwann trotz allem vor den Toren. Das Motiv der Belagerung ist ein ganz klassisches, wie man es in diesem Segment immer wieder gefunden hat.
Keine Experimente
Regisseur und Drehbuchautor Potsy Ponciroli versucht dann auch nicht, den Western irgendwie revolutionären zu wollen. Er verzichtet auf Modernisierungsversuche, verzichtet auch darauf, mittels Actionszenen ein heutiges Publikum ansprechen zu wollen. Das heißt nicht, dass es keine gibt. Sie sind aber vergleichsweise selten, erst in der zweiten Hälfte nimmt das Ganze zu. Old Henry ist ein eher ruhiger Genrevertreter, der sich stärker auf die Figuren fokussiert als auf die Handlung. Dabei kommt zwangsläufig die Frage nach der Hintergrundgeschichte des Protagonisten auf, bei dem klar ist, dass da mehr dran ist, als es zunächst den Anschein hat. Der Film ähnelt da vielen Thrillern aus der letzten Zeit, bei denen sich herausstellt, dass die Hauptfigur nicht die ist, die sie vorgibt zu sein.
Die Auflösung ist interessant. Gleiches gilt für das ständige hin und her, wenn länger nicht klar ist, ob der Fremde denn ein Verbrecher oder ein Gesetzeshüter ist. Zumal auch Ketchum ähnliche Behauptungen aufstellt. Allein für diese Wendungen muss man sich den Film aber nicht unbedingt anschauen. Vielmehr ist der Western, der bei den Filmfestspielen von Venedig 2021 Premiere feierte, vor allem für den Protagonisten einen Blick wert. Tim Blake Nelson (The Ballad of Buster Scruggs) gefällt als Titelfigur in einem Western, der sich nicht an die üblichen Konzepte von gut und böse hält. Zusammen mit den sehenswerten Aufnahmen ist da genug in Old Henry, wofür sich das Einschalten lohnt.
OT: „Old Henry“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Potsy Ponciroli
Drehbuch: Potsy Ponciroli
Musik: Jordan Lehning
Kamera: John Matysiak
Besetzung: Tim Blake Nelson, Scott Haze, Gavin Lewis, Trace Adkins, Stephen Dorff
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