Jeanine (Amanda Seyfried) wird beauftragt, die Wiederaufführung der Inszenierung der Oper Salomé ihres mittlerweile verstorbenen Mentors zu leiten. Eigentlich hat sie die Opernszene vor vielen Jahren verlassen, um sich auf die Inszenierung kleinerer Theaterstücke zu fokussieren. Auch um es ihrem Mentor ein letztes Mal zu beweisen, nimmt sie sich der Aufgabe an, muss aber schnell feststellen, dass die Rückkehr zur Oper viele unangenehme Erinnerungen und nicht aufgearbeitete Traumata weckt.
Schatten der Vergangenheit
Ich halte mich für einen Menschen mit einem ziemlich diversen Geschmack, was künstlerische Produktionen angeht. Natürlich habe ich meine Vorlieben, aber ich kann mich für viele verschiedene Formen von Film, Musik, Theater, etc. begeistern. Zwei große Ausnahmen davon sind Oper und biblische Motive. Warum sollte ich mir also freiwillig einen Film angucken, der die Inszenierung der Oper Salomé thematisiert? Nun, die Antwort ist recht simpel: Regisseur und Drehbuchautor Atom Egoyan. Zwar bin ich kein allzu großer Fan seiner vorherigen Werke und halte es in meinen Kritiken und Analysen normalerweise auch mit dem französischen Philosophen und Literaturkritiker Roland Barthes: „Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.“ Allerdings habe ich mich im Rahmen meines Studiums viel mit Egoyans Werk, vor allem mit Remember und Ararat, beschäftigt und war sehr gespannt, inwiefern das mein Seherlebnis beeinflussen würde.
Und ganz unabhängig davon, ob man das jetzt gut oder schlecht finden möchte, trägt Seven Veils deutlich Egoyans Handschrift. Das fängt bei einigen Motiven, wie Vergangenheit, Identität und Hierarchien an, setzt sich durch die Art des Storytellings, sehr langsam und schwermütig, irgendwo fragmentiert und bruchstückhaft, fort und hört bei der typischen Inszenierung, geprägt von einem starken Spiel zwischen sehr dichten, zweidimensional und weiten, dreidimensional wirkenden Bildern sowie auffällig am Bildrand positionierten Figuren auf. Tatsächlich ist ziemlich beeindruckend, wie sehr man den Regisseur und Autor hier erkennt. Zwar besteht der Film nicht nur aus dem vorig genannten, besinnt sich aber immer wieder auf Formen dieser zurück.
Am prägnantesten ist dabei sicherlich die konkrete Aufarbeitung des Motivs Vergangenheit. Denn das sowie dessen Folgen sind thematisch wie erzählerisch allgegenwärtig. Wie entwickeln sich zwischenmenschliche Traumata und Obsession über die Zeit? Wie transportieren wir diese weiter, projizieren sie auf andere Beziehungen und Aktivitäten? Wie können wir sie überwinden, wenn wir konstant an sie erinnert werden? All diese Fragen werden in Seven Veils aufgeworfen, allerdings nicht klar beantwortet. Sicherlich impliziert das Ende eine gewisse Tendenz, aber der Weg dahin ist wahnsinnig holprig. Szenenwechsel, Assoziationswechsel, Rückblende, Voiceover, Seven Veils wirft sein Publikum regelrecht durch sein Geschehen. Die meiste Zeit wird dabei klar aus Sicht von Hauptfigur Jeanine erzählt, deren eigenes Gefühlschaos dieser Erzählweise recht nahe kommen dürfte.
Den Kopf verloren
Und isoliert betrachtet, klingt das auch erstmal nach einer recht sinnvollen Entscheidung, das Problem ist aber, dass der Film nicht konsequent genug ist. Wir folgen Jeanine, aber eben nicht durchgehend, sondern erleben auch Szenen bzw. sogar einen ganzen Subplot, an dem sie gar nicht beteiligt ist. Man merkt schnell, dass Seven Veils zu viel will und genauso in seinem eigenen Kopf gefangen ist, wie seine Hauptfigur. Ja, die unterentwickelten Subplots und Nebenfiguren sorgen dafür, dass die Handlung des Films mehr Parallelen mit der Handlung der Oper deckt und sich gewisse Figuren sehr genau in bestimmten Rollen wiedererkennen lassen, aber das alles wirkt so konstruiert und halbgar, dass es mehr stört, als irgendetwas beizutragen. Es fühlt sich ein bisschen danach an, als hätte man irgendwann beim Schreiben des Drehbuchs mehr Sinn darin gesehen, eine möglichst clevere und komplexe Figurenkonstellation zu entwerfen, anstatt sich auf eine gelungene Umsetzung der Themen zu achten. Seven Veils wirkt wahnsinnig selbstgefällig. Ein Film, der sich auf der eigens hochgezogenen Metaebene ausruht, sich dort dann dafür feiert, wie clever er doch ist und seine erzählerischen Schwächen gekonnt ignoriert.
Ironischerweise wird er damit selbst ein Stück zu dem, was er kritisiert: die dysfunktionale und sich selbst verspeisende (vermeintliche) Hochkultur. Denn indem der Film so mit sich selbst, seiner Metaerzählung und seiner Hauptfigur beschäftigt ist, fällt der Aspekt Machtmissbrauch und (sexualisierte) Gewalt im Theater ziemlich hinten über. Natürlich wird er abgebildet und ist auch Teil des Diskurses um die Hauptfigur, doch der Teilaspekt systemisches Versagen verkommt zur Randerscheinung bzw. wird in einender genannten unterentwickelten Subplots verbannt, dessen einziger Existenzgrund ist, eben jenen Punkt noch irgendwie mit aufzunehmen.
Man kommt nicht um weg zu sagen, dass Seven Veils sich irgendwo auf dem Weg verloren hat. Zu sehr suhlt man sich in seiner eigenen Mystik und Kryptik, die rein inszenatorisch und schauspielerisch zwar ganz angenehm anzugucken ist, sich inhaltlich aber extrem viel nimmt. Es ist einfach zu viel und infolgedessen zu wenig, das ein eigentlich spannendes Konzept unnötig runterzieht. Denn die Psychologisierung Jeanines, die Herausarbeitung ihrer Motive und die Darstellung ihrer Folgehandlungen sind wirklich gut und zeigen eindringlich, in welchem Strudel der psychischen Gewalt sie und ihr Umfeld sich befinden. Und gerade deshalb schmerzt es umso mehr, dass der Film so viel Zeit für Nichtigkeiten auf der Metaebene verschwendet.
OT: „Seven Veils“
Land: Kanada
Jahr: 2023
Regie: Atom Egoyan
Drehbuch: Atom Egoyan
Musik: Mychael Danna
Kamera: Paul Sarossy
Besetzung: Amanda Seyfried, Rebecca Liddiard, Douglas Smith, Mark O’Brien, Vinessa Antoine
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