Die Natur der Anden ist die Heimat des achtjährigen Feliciano (Alberth Merma). Während er viele Stunden die Alpaka-Herde seiner Eltern hütet, sind der Hund Rambo und das Alpaka Ronaldo seine einzigen Begleiter. Neben den Tieren und der Natur ist Fußball seine große Leidenschaft und er träumt, wie seine Freunde, davon, dass die peruanische Nationalmannschaft sich für die kommende Weltmeisterschaft in Russland qualifizieren wird. Sein Vater und seine Mutter haben derweil andere Sorgen, denn die Schäfer der Gemeinde haben ihren Vorstand im Verdacht, sie bei dem Preis für die Alpakawolle übers Ohr zu hauen. Auch die Tatsache, dass er jedes Gemeindetreffen dazu nutzt, um die Bauern davon zu überzeugen, ihr Land an die Minengesellschaft zu verkaufen. Die Gemeinde wirft ihm vor, er habe sich vom Geld der Gesellschaft blenden lassen und kümmere sich nicht darum, dass die Landschaft verschandelt und schwer geschädigt werde durch den Raubbau.
Feliciano beobachtet die Verhandlungen seiner Gemeinde nur aus der Ferne, doch schon bald ist er direkt betroffen. Als die Familie nach einem Public Viewing von einer Gruppe Motorradfahrer fast überfahren wird und man später einige tote Alpakas findet, ahnen die Erwachsenen Schlimmes. Auch Ronaldo und Rambo sind verschwunden, doch dass ihr Sohn alleine auf die Suche geht, verbieten Felicianos Eltern. Am nächsten Morgen jedoch beschließt er, das Verbot zu ignorieren und nach den Tieren zu suchen.
Soziales Gewissen
Das südamerikanische Kino ist bekannt dafür, gesellschaftliche Themen zu behandeln, die in den verschiedenen Kulturen des Kontinents relevant sind. In seinem Spielfilmdebüt Through Rocks and Clouds, das auf der diesjährigen Berlinale seine Weltpremiere feiert, bleibt Filmemacher Franco García Becerra dieser Tradition treu und erzählt eine Geschichte von Ausbeutung, Klassenkampf sowie dem Widerstand. Dabei wählt er die Perspektive eines Kinder, das die Zusammenhänge, die seine Eltern längst erkannt haben, noch nicht vollends versteht und Träume hat. Dem Sozialdrama gibt diese Sichtweise eine interessante Nuance, auch wenn man sich über einige Elemente der Geschichte uneins sein wird.
Im Grunde kann man Through Rocks and Clouds als eine Art Heimatfilm ansehen. Die Kamera Johan Carrascos fängt immer wieder die Schönheit, Pracht und Weite der Anden und der sie umgebenden Landschaft ein, in der Feliciano in manchen Einstellungen verloren wirkt. Seine Heimat ist zugleich der Ort seiner Träume, die er nur dem Alpaka Ronaldo (benannt nach dem bekannten Fußballer) und dem Hund Rambo mitteilt. Als die Kamera wie zufällig eine brodelnde Schlammpfütze zeigt, ahnt man schon, dass die heile Welt des Kindes nur an der Oberfläche noch intakt ist, denn darunter brodelt es gewaltig, wie man schon bald sehen wird. Becerra zeigt, wie die beiden Welten bald zusammenprallen, wie das Kind lernt, dass Träume Träume bleiben und alles, an dem man hängt, einem genommen werden kann – eine Erfahrung, die seine Eltern nur allzu gut kennen. Die Müdigkeit dieses Kampfes, die Verbitterung, doch ebenso die Entschlossenheit zu handeln wird in den ersten Minuten der Gemeindesitzung deutlich, genauso wie das Erbe der Kinder, die alles von draußen aus beobachten und sicherlich in ein paar Jahren dieselben Reden halten oder hören werden.
Feste Gewinner
Obwohl es in Through the Rocks and Clouds sehr viel Unmut und Frust gibt, fehlt ein Charakter, an den sich diese Aggressionen richten. War der Kampf gegen die Großgrundbesitzer in der Vergangenheit noch das Ziel, ist der Gegner nunmehr die „Gesellschaft“, die „Firma“ oder eine andere namenlose Institution. Die sagenhafte Gestalt, von der Feliciano, erzählt könnte genauso gut hinter all dem Übel stehen, denn der Antagonist bleibt nebulös, die Wut ohne einen genauen Gegner und die, die sie trifft, sind auch nicht mehr als jene, die einfach nur überleben und arbeiten wollen. Der Kontrast der beiden Welten, der des Kindes und der Erwachsenen, ist an und für sich ganz interessant, jedoch schwächt das übersinnliche (oder fantastische) Element die Wirkung des Filmes leider etwas. Vielleicht liegt dies aber auch in der Entscheidung des Filmemachers und der Autoren begründet, dass man sich lieber für die eine Welt entscheidet als die harsche Wirklichkeit, in der ohnehin klar ist, wer gewinnen wird.
OT: „Raíz“
Land: Peru, Chile
Jahr: 2024
Regie: Franco García Becerra
Drehbuch: Annemarie Gunkel, Alicia Quispe
Musik: Daniel Castro
Kamera: Johan Carrasco
Besetzung: Alberth Merma, Nely Huayta, Richard Tape, José Merma, Rubén Huillca
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