Becoming Nawalny – Putins Staatsfeind Nr. 1

Als am 16. Februar 2024 bekannt wurde, dass Alexei Anatoljewitsch Nawalny in einem russischen Gefängnis gestorben ist, dürften nur wenige überrascht gewesen sein. Es war kein Geheimnis, dass er immer neuen Torturen ausgesetzt wurde, quasi im Wochentakt neue Gefängnisstrafen verhängt wurden, die aus dem Nichts kamen, während die Haftbedingungen nach jeder Verlegung schlimmer wurden. Und doch, der Schock war groß, die Anteilnahme auch. Schließlich war er das Aushängeschild der russischen Opposition. In einer Zeit, in der sich nur wenige trauten, in der Öffentlichkeit Putins Verbrecherstaat anzuprangern, wurde er es nicht leid, das Kind beim Namen zu nennen. Das machte ihn zu dem gefährlichsten Widersacher des Despoten, nicht ohne Grund trägt der Dokumentarfilm den Titel Becoming Nawalny – Putins Staatsfeind Nr. 1.

Kampf gegen das System

Dass es diesen Film gibt, ist dabei ebenfalls einem mutigen Mann zu verdanken. Lange hatte Igor Sadreev heimlich an diesem gearbeitet, mitten in Russland, wo öffentlich nicht über Nawalny gesprochen werden durfte. Nach dem Überfall auf die Ukraine schmuggelte er das Material außer Landes und begann mit dem Journalisten Aleksandr Urzhanov, daraus ein Porträt zu machen. Natürlich waren sie damit nicht die ersten. Vor knapp zwei Jahren schaffte es die US-Produktion Nawalny sogar in unsere Kinos. Während dieser sich aber damit beschäftigte, wie es mit dem Oppositionellen nach dem Anschlag weiterging, zeichnet Becoming Nawalny – Putins Staatsfeind Nr. 1 lieber – der Titel gibt es bereits vor – den beruflichen Weg nach.

Der mag nicht so spektakulär sein wie der besagte Giftanschlag, als Nawalny an Bord eines Flugzeugs beinahe gestorben wäre. Spannend ist der Weg aber ebenfalls. So waren die Grenzen fließend, er war Blogger und Politiker, Aktivist und Anwalt. Mit seiner Kritik an den Verhältnissen und seinem Kampf gegen Korruption traf er einen Nerv. Mit den Jahren wuchs sein eigener Ruhm, er wurde zu einer Ikone. Doch je größer und bekannter er wurde, umso größer wurden die Repressalien. Wo andere angesichts des Drucks eingeknickt wären, da wuchs seine Entschlossenheit nur umso mehr. Becoming Nawalny – Putins Staatsfeind Nr. 1 zeichnet das Bild eines Mannes, bei dem Mut und Trotz eng beieinanderlagen. Je mehr man ihn bedrängte, umso stärker schlug er selbst zurück und reizte dabei immer weiter die Möglichkeiten aus.

Eine Lichtgestalt mit Schattenseiten

Das ist imponierend, ohne Zweifel. Und doch handelt es sich bei dieser Doku um keine reine Heldenverehrung, wie man das bei solchen Porträts oft hat. Die verschiedenen Männer und Frauen, die ihre eigenen Erfahrungen und Meinungen teilen dürfen, verschweigen die weniger strahlenden Charaktereigenschaften und Vorfälle nicht. Ein Punkt ist dabei der Nationalismus und seine Verbindungen zu rechten Kreisen. So war er bei rechtsextremen Märschen dabei, gab Sachen von sich, die sein eigenes Umfeld verstörten. Seine Mutter soll im Anschluss zu ihm gesagt haben, dass er nie wieder über Politik mit ihr reden solle. Ein anderer Punkt in Becoming Nawalny – Putins Staatsfeind Nr. 1 ist sein fragwürdiges Verhalten anderen Journalisten und Journalistinnen über, wo er ebenso autokratische Züge demonstrierte wie sein Feind. Wer andere Meinung hatte als er, wurde übel beschimpft. Mit Widerspruch konnte er nicht so gut umgehen.

Das ist interessant, gerade auch weil in Folge des Todes eine große Verklärung stattfand, Nawalny war zu einem Märtyrer geworden. Becoming Nawalny – Putins Staatsfeind Nr. 1 hingegen sucht den Menschen hinter dem Symbol, will ein Porträt, das den verschiedenen Facetten gerecht wird. Das Ergebnis ist sehenswert. Wer bislang nur die Geschichten aus den Nachrichten kannte, hat hier die Möglichkeit, mehr über die Ikone zu erfahren. Das mindert seine Leistungen und seinen Mut nicht, diese imponieren auch nach Sichtung des Films. Im Gegenteil: Die Doku zeigt auf, wie jemand, der seine Schwächen hatte, eine Stärke entwickeln konnte, die grenzenlos erschien, bis sie ihn das Leben kostete.