Zwischenmenschlich mag Antonia Scott (Vicky Luengo) so ihre Defizite haben. Dafür macht ihr im Hinblick auf die Intelligenz so leicht niemand etwas vor, mit einem IQ von 242 liegt sie weit jenseits von dem, was selbst die schlauesten Menschen vorweisen können. Diese Gabe darf natürlich nicht ungenutzt bleiben, sie ist als „rote Königin“ eines streng geheimen Polizeiexperiments unterwegs. Es gibt auch einen aktuellen, sehr dringenden Anlass dafür: Erst wird der Sohn einer Unternehmerfamilie grausam ermordet, im Anschluss Carla Ortiz (Celia Freijeiro) entführt, auch sie ist die Tochter schwerreicher Eltern. Gemeinsam mit Jon Gutiérrez (Hovik Keuchkerian), einen hitzigen baskischen Polizisten, macht sie sich an die Arbeit, die junge Frau wiederzufinden. Doch das ist nicht einfach. Als hätten sie nicht schon genug miteinander zu kämpfen, aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, führt ihr Einsatz auch zu Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der Polizei …
Der Fluch der übermenschlichen Intelligenz
Dass in Krimis und Thrillern die Hauptfiguren oft besonders intelligent sind, gehört zu den Genres dazu. Man denke da nur an Hercule Poirot und Sherlock Holmes, die mit ihren grauen Zellen und einer unmenschlichen Gabe, immer die richtigen Schlüsse zu ziehe, zahlreiche Fälle gelöst haben. Ein neueres Beispiel für einen solchen Übermenschen ist Detektiv Conan. Aber das ist alles noch nichts im Vergleich zu Antonia Scott. Wenn es in der Amazon Prime Video Serie Die rote Königin an einer frühen Stelle heißt, sie habe einen IQ von 242, meint man noch, man habe sich vielleicht verhört. Da war doch bestimmt 142 gemeint, was als Obergrenze des menschlich Möglichen gilt. Aber nein, es sind wirklich 242. An der Stelle ist die Versuchung groß, den Blödsinn vorzeitig abzubrechen. Und doch ist dieses Überzogene nicht das Ergebnis mangelhafter Recherchen. Vielmehr will die spanische Produktion übertrieben sein.
An anderen Stellen wird es dann auch bewusst komisch. Die Figur der brillanten, sozial inkompetenten Ermittlerin mag nicht originell sein, Die Brücke – Transit in den Tod fällt einem an der Stelle beispielsweise ein. In Kombination mit dem nicht minder eigenwilligen Jon, der als homosexueller Polizistenverpfeifer ein Außenseiter ist, funktioniert das aber ziemlich gut. Da entsteht in Die rote Königin schon eine reizvolle Dynamik, welche die Serie über weite Strecken auch trägt. Die unkonventionellen Ermittlungsmethoden, die beide an den Tag legen, machen Spaß. Gleiches gilt für die Auftritte von Karmele Larrinaga, die als Mutter von Jon immer wieder zur Szenendiebin wird. Die Serie geht hier und an anderen Stellen schon sehr weit bei der Integration von Humor. So sehr, dass es immer wieder ins Alberne geht.
Zwischen Standard und Absurdität
Wobei es bei der Adaption von Die rote Jägerin, erster Teil einer Roman-Trilogie von Juan Gómez-Jurado, durchaus auch „richtige“ Thriller-Elemente gibt. Zu den zählen Klassiker wie Katz-und-Maus-Situationen und geheime Identitäten. Tatsächlich gibt es bei der Serie einen bunten Mix aus Genrestandards und Eigenkreationen, geht mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung. Das führt zu der einen oder anderen Irritation, wenn es wieder mal zu starken Schwankungen kommt. Die seltsamen Szenen, in denen die Protagonistin irgendwelche Visionen hat, sind grundsätzlich immer für Verblüffung gut. Gleiches gilt für die Wendungen, wenn manche Figuren nicht das sind, was sie zunächst zu sein scheinen. Nicht immer kommt dabei etwas Verwertbares raus, im Laufe der Zeit wird das schon arg wirr.
Unterhaltsam ist die Serie aber. Sie wird an manchen Stellen auch überraschend brutal, wenn die genüsslich irre Gegenseite ihrer Brutalität freien Lauf lässt. Das ist dann manchmal etwas nah an einer Karikatur, aber doch effektiv. Ein Grund ist das Ensemble, das hier immer mächtig mitgeht und Spaß an den Figuren hat. Vor allem Andrea Trepat, deren Rolle im weiteren Verlauf eine zentrale Bedeutung haben wird, kennt da kein Halten. Wer in der Stimmung ist für einen abgründigen Thriller und keine Probleme damit hat, dass das hier alles grotesk überzogen ist, ist deshalb bei Die rote Königin an einer guten Adresse. Die sieben Folgen à etwa 50 Minuten sind recht schnell vorbei.
OT: „Reina Roja“
Land: Spanien, Mexiko
Jahr: 2024
Regie: Koldo Serra, Julián de Tavira
Drehbuch: Amaya Muruzábal, Salvador Perpiñá
Vorlage: Juan Gómez-Jurado
Musik: Víctor Reyes
Kamera: Unax Mendia, Curro Ferreira
Besetzung: Vicky Luengo, Hovik Keuchkerian, Alex Brendemühl, Nacho Fresneda, Andrea Trepat
Amazon (Roman „Die rote Jägerin“)
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)