In Dakar, Senegal träumen die beiden Teenager Seydou (Seydou Sarr) und Moussa (Moustapha Fall) von einer Karriere als Popmusiker. Die beiden 16-jährigen Freunde wollen nach Europa auswandern und sammeln heimlich selbst verdientes Geld für die große Reise. Damit ihre Familien sie nicht zurückhalten, setzen sie sich ohne Verabschiedung in den Bus nach Mali. Dort lassen sie sich falsche Reisepässe machen. An der Grenze zu Niger müssen sie einen Soldaten bestechen und werden in Agadez noch mehr Geld los. Denn dort spricht sie ein Mann an, der ihnen die Autofahrt nach Tripolis, Libyen anbietet. Viele andere warten ebenfalls auf den Transport in Pickups durch die Wüste. Mitten in der Sahara müssen alle aussteigen und mit einem Einheimischen zu Fuß weitergehen, viele Tage und Nächte. Wer nicht mehr kann, wird zurückgelassen. Bewaffnete Milizionäre rauben die Migranten aus und trennen Seydou von Moussa, der ins libysche Gefängnis muss. Seydou ist in der Hand der libyschen Mafia und wird gefoltert. Werden die beiden Freunde überleben?
Nach Europa, durch die Hölle
Über die Odyssee der Migranten und Migrantinnen, die von Afrika über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen, wird immer wieder berichtet. Zahlreiche Dokumentar- und Spielfilme sind entstanden, die sich aber oft nur auf einen Teil der gesamten, lebensgefährlichen und für Abertausende tödlich endenden Reise konzentrieren. In vielen Filmen geht es beispielsweise um die Seenotrettung oder, noch öfter, um die Probleme, die sich nach der Ankunft in Europa auftun. Der italienische Regisseur Matteo Garrone (Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra) lässt sein episches Drama in Senegal starten, im Alltag seiner beiden jugendlichen Helden. Es spannt einen weiten Bogen, von den Strapazen der Saharadurchquerung und der brutalen Entrechtung in der Gewalt krimineller Banden bis zur Todesangst auf dem Meer. Auf den Filmfestspielen von Venedig 2023 bekam Garrone den Preis für die beste Regie, Seydou Sarr wurde als bester Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet. Ich Capitano schaffte es Anfang 2024 auch auf die Shortlist der Oscar-Nominierungen für den Besten Internationalen Film.
Das Drama wird konsequent aus der Perspektive des Teenagers Seydou erzählt. Die Erlebnisse der fiktiven Charaktere Seydou und Moussa basieren auf den wahren Geschichten verschiedener Migranten. Der Afrikaner Mamadou Kouassi, den Garrone in Süditalien kennenlernte und der ihm von der Odyssee mit seinem Cousin erzählte, wirkte beratend auch am Drehbuch mit. So erreicht Garrones Spielfilm eine mitreißende Authentizität. Seydou und Moussa, dargestellt von senegalesischen Schauspielern, machen in Dakar Musik, besuchen vor der Reise einen Schamanen. Als Seydou unterwegs in große Not gerät, sucht er Halt in Träumen und Fantasien, die als magischer Realismus mit schwebenden Geistwesen inszeniert werden. Als junge, abenteuerlustige Menschen, die es hinaus in die Welt zieht, sind Seydou und Moussa jedoch auch universelle Charaktere. Wie sie sich mit einem Lachen immer wieder Mut zusprechen und sich gegenseitig aufrichten, zeigt nicht nur ihre Persönlichkeit, sondern bildet auch ein starkes Gegengewicht zu den Grausamkeiten, die sie erwarten.
Im Netz der Schleusermafia
Aus der Migration nach Europa machen in Afrika viele ein Geschäftsmodell. Passfälscher, die Organisatoren der Saharadurchquerung und ihre Helfershelfer, korrupte Soldaten und räuberische Milizen säumen die Route der Migranten in vielen Ländern wie Wegelagerer. In der Wüste sehen die beiden Teenager die Leichen, von denen ihnen ein Mann daheim erzählte. Eine der bewegendsten Szenen des Films zeigt Seydou beim vergeblichen Versuch, eine erschöpfte Frau zum Weitergehen zu bewegen. Die Reisenden, die den Schleusern hilflos ausgeliefert sind, erfahren mit ungeheurer Grausamkeit, dass ihr Leben nichts wert ist, wenn es kein Geld einbringt oder Schwierigkeiten auftauchen. Über die Zustände in Libyen konnte man hierzulande schon Schlimmes hören und lesen, aber was Seydou erlebt, öffnet einem erst die Augen.
Die Aufnahmen lassen immer wieder erkennen, dass dieses Epos für die große Leinwand gemacht ist. Um die Bäume des Friedhofs in Dakar kreist gerade ein großer Vogelschwarm, als Seydou und Moussa den Segen der Ahnen erbitten. Der Treck der Wanderer auf den Dünen der Sahara zeichnet sich aus Untersicht gegen den Abendhimmel ab. Garrone schaut stets genau hin, zum Beispiel auf die Enge in den Transportfahrzeugen oder in den Verstecken, in denen die Migranten wartend ausharren müssen. Inmitten des Albtraums, den Seydou erlebt, gibt es auch Inseln der Hoffnung. Ein väterlicher Freund nimmt ihn eine Weile unter seine Fittiche, die vielen senegalesischen Gemeinschaften in Tripolis bieten einen gewissen Halt in der Not. Seydou reift in kurzer Zeit zum Mann heran, der Verantwortung übernimmt. Der Spielfilm zieht alle Register, um ein breites Publikum fesselnd zu unterhalten und zu rühren, aber das gelingt ihm in erster Linie, weil er so nahe an der Realität bleibt.
OT: „Io Capitano“
Land: Italien, Belgien
Jahr: 2023
Regie: Matteo Garrone
Drehbuch: Matteo Garrone, Massimo Gaudioso, Massimo Ceccherini, Andrea Tagliaferri
Musik: Andrea Farri
Kamera: Paolo Carnera
Besetzung: Seydou Sarr, Moustapha Fall, Issaka Sawadogo, Hichem Yacoubi, Ndeye Khady Sy
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Academy Awards | 2024 | Bester internationaler Film | nominiert | |
Europäischer Filmpreis | 2023 | Bester Film | nominiert | |
Beste Regie | Matteo Garrone | nominiert | ||
Golden Globe | 2024 | Bester fremdsprachiger Film | nominiert | |
Venedig | 2023 | Goldener Löwe | nominiert | |
Beste Regie | Matteo Garrone | Sieg |
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