Eigentlich hat Victor (Dimitar Nikolov) nicht mehr viel mit seiner bulgarischen Heimat zu tun, seitdem er mit seiner Mutter nach Spanien ausgewandert ist. Doch als sein Großvater stirbt, kehrt er noch einmal in das Dorf zurück, wo sein entfremdeter Vater Kaloyán (Dimitar Banenkin) noch immer lebt. Zwölf Jahre war er nicht mehr dort gewesen, was Victor zum Anlass nimmt, ein wenig länger zu bleiben, den Sommer über. Dabei macht er die Bekanntschaft von Liuben (Bojidar Iankov Asenov), einem jungen Roma, der sich vergeblich um eine Ausbildungsstelle sucht. Obwohl dieser eine Freundin hat, die sogar ein Kind von ihm erwartet, fühlt sich Victor sofort zu ihm hingezogen …
Begegnung mit der Heimat
Das Szenario ist in Dramen immer wieder beliebt: Jemand stirbt, weshalb die Hauptfigur noch einmal in die alte Heimat zurückkehrt. Dort warten viele Probleme und Geschichten, die nie wirklich verarbeitet worden sind. Konflikte, die gelöst werden müssen. Manchester by the Sea ist ein bekanntes Beispiel dafür. Letztes Jahr gab es die empfehlenswerte Serie Am Ende – Die Macht der Kränkung, bei der ein Tod zum Anlass einer bitteren Abrechnung wird. Mit Liuben kommt nun ein weiterer Film zu uns, der mit einem solchen Szenario arbeitet. Dieses Mal dreht sich alles um einen jungen Bulgaren, der eigentlich in Madrid lebt und nichts mehr mit dem Dorf zu tun haben will, in dem er aufgewachsen ist. Der auch zu seinem Vater kein besonders gutes Verhältnis hat.
Dennoch ist das eher ein Nebenaspekt des Films. Zwar geht es schon auch um eine Annäherung von Vater und Sohn. Deutlich wichtiger ist aber das Verhältnis von Victor und der Titelfigur Liuben. Der hat eigentlich eine Freundin, hat bereits ein Leben mit ihr geplant. Aber das muss ja nichts heißen. Auch das ist eine immer wieder gern erzählte Geschichte: Ein Mensch ist in einer „normalen“ Beziehung, obwohl er eigentlich homosexuell ist, und muss sich dabei mit den eigenen Gefühlen auseinandersetzen. Hier ist das ein bisschen schwieriger, weil das Setting nun einmal ein sehr konservatives Dorf ist, in dem alles, was irgendwie anders ist, abgelehnt wird. Das macht es natürlich schwierig für die beiden jungen Männer, diese Gefühle auszuleben.
Der Kampf von Außenseitern
Wobei Homophobie in dem Film keine übermäßig große Rolle spielt. Stattdessen geht es Regisseur und Drehbuchautor Venci Kostov mehr darum, allgemein über Außenseiter zu sprechen. So ist Victor in seiner spanischen Wahlheimat nie völlig angekommen. In Bulgarien wiederum wird er aber auch nicht wirklich angenommen Liuben gehört sowieso nicht dazu. Als Mitglied der Roma ist er fremdenfeindlichen Ressentiments ausgesetzt. Hinzu kommt seine dunkle Hautfarbe, die ihn automatisch hervorstechen lässt. Liuben verknüpft auf diese Weise eine ganze Reihe von Themen miteinander, ist Liebesfilm, Coming of Age, Coming out und Gesellschaftsporträt. Im Zentrum stehen zwei Menschen, die noch auf der Suche sind nach einem Platz in dieser Welt.
Das hätte schnell überfrachtet und zu gewollt werden können. Außerdem ist der Film natürlich nicht frei von Klischees, selbst wenn diese etwas anders angeordnet werden. Und doch ist Kostov, der hier seinen ersten langen Spielfilm vorlegt, ein sehenswertes Drama geglückt. Da sind immer mal wieder schöne Szenen dabei, aber auch härtere, ohne dass deswegen viel Kitsch bemüht werden müsste. Liuben mag, abgesehen vom bulgarischen Setting, dem Bereich des LGBT-Dramas nicht so wahnsinnig viel hinzuzufügen haben. Das Porträt einer Sinn- und Selbstsuche funktioniert aber, ist eine Aufmunterung, sich zu öffnen, sowohl sich selbst gegenüber wie auch anderen gegenüber. Damit verbunden ist ein Plädoyer für mehr Toleranz, was ja nie ganz verkehrt ist.
OT: „Liuben“
Land: Bulgarien, Spanien
Jahr: 2023
Regie: Venci Kostov
Drehbuch: Venci Kostov
Musik: Sergio de la Puente
Kamera: Fran García Vera
Besetzung: Dimitar Nikolov, Bojidar Iankov Asenov, David de Gea, Dimitar Banenkin, Ramón Esquinas, Stefan Denolyubov, Stoyan Radev
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