Lili d’Alengy (Leïla Bekhti) ist wenig begeistert, als ihr Bruder eines Tages vor ihr steht und ihr sagt, dass ihre Mutter gestorben ist. Dabei ist es weniger der Tod, der sie berührt. Vielmehr bedeutet das, dass sie sich jetzt selbst um ihre geistig beeinträchtige Tochter Tina (Rafaëlle Sonneville-Caby) kümmern muss. Für Lili ist dies eine Zumutung, soll doch niemand von dem Mädchen erfahren, da dies nicht zu ihrem Lebensstil als Edelprostituierte und ihrem Image passt. Also reist sie nach Rom, wo Maria Montessori (Jasmine Trinca) und Giuseppe Montesano (Raffaele Esposito) ein Institut speziell für geistig beeinträchtige Kinder betreiben. Dort sollen diese Liebe erfahren und gezielt gefördert werden. Schnell stellen sich Erfolge ein, die von Montessori entwickelten pädagogischen Konzepte zeigen Wirkung. Doch das Misstrauen ihr gegenüber bleibt, Anfang des 20. Jahrhunderts ist Wissenschaft Männersache …
Kampf um die Ausgestoßenen
In den letzten Jahren wuchs das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, Menschen mit Beeinträchtigungen jeder Art stärker im Alltag zu unterstützen. Das stößt – wie so vieles, was die Welt besser machen soll – nicht bei allen auf Verständnis. Wer nicht muss, will damit oft nichts zu tun haben. Insofern ist es nicht verkehrt, wenn mit Maria Montessori ein Film bei uns in die Kinos kommt, der das Thema noch einmal anspricht und in einen historischen Kontext stellt. Schließlich liegen die Ereignisse hier mehr als hundert Jahre zurück und führen uns damit in eine Zeit, als die Verhältnisse noch einmal deutlich schlimmer waren. Umso größer ist der Verdienst von der Protagonistin, die sich Menschen annimmt, die von anderen verstoßen wurden und die als minderwertig angesehen werden. Sie gibt ihnen Liebe und auch Würde, indem sie die ihr anvertrauten Kinder und Jugendlichen ernst nahm.
Zumindest zeichnet Regisseurin und Drehbuchautorin Léa Todorov in ihrem Film dieses Bild. Inzwischen gibt es auch Kritik an der italienischen Ärztin, die Namensgeberin einer Pädagogik-Richtung wurde, weil der Mythos um sie wenig mit der Realität zu tun haben sollte. Bei Maria Montessori ist davon aber nichts zu hören, hier wird das Image der liebevollen Kümmerin bestätigt. Dabei kämpft sie nicht nur gegen die Ausgrenzung der Kinder. Sie kämpft auch gegen ein patriarchisches System, das Frauen ebenfalls als minderwertig ansieht. Das spürt sie gerade auch bei der Arbeit, für die sie nicht bezahlt wird und keine Anerkennung bekommt. Unterwerfen will sie sich aber nicht, weigert sich auch zu heiraten, als Zeichen ihrer Ablehnung des Systems.
Inspirierende Geschichte
Das ist schon inspirierend, auch weil das Thema Geschlechtergerechtigkeit ebenfalls mehr als hundert Jahre später relevant ist. Trotz des historischen Settings ist der Film aktuell, soll es auch sein. Todorov macht keinen Hehl daraus, dass sie ihre Protagonistin als Vorbild sieht, auch für eine heutige Gesellschaft. Auf Schattenseiten verzichtet sie deshalb, was die Ärztin ein wenig langweilig macht. Als Porträt ist das wenig interessant, so ganz ohne Makel. Spannender ist Maria Montessori durch die Gegenüberstellung der beiden Frauen, also sie und die Prostituierte Lili, die sehr unterschiedliche Leben führen und doch Gemeinsamkeiten haben. Dass Letztere frei erfunden macht die Sache mit der Glaubwürdigkeit zwar nicht unbedingt besser. Die Geschichte selbst ist aber gut, wenn zwei grundverschiedene selbständige Frauen kontrastiert werden.
Insgesamt ist das Drama daher schon sehenswert. Man darf sich hier im Anschluss besser fühlen und an das Gute und den Fortschritt glauben. Zu dem Zweck wird der Film etwas sentimentaler, Todorov zielt auf das Herz des Publikums ab. Wobei es auch vorher schon schöne Momente gibt, gerade wenn es darum geht, wie die jungen Menschen aufblühen. Die Annäherung der beiden Protagonistinnen ist ein weiteres Beispiel hierfür. Maria Montessori profitiert dabei von der guten Besetzung und der hübschen Aufmachung, womit Fans solcher Historiendramen bedient werden. Wer sich dazu zählt oder eine inspirierende Geschichte hören möchte, ist hier an einer ansprechenden Adresse. Wer jedoch mehr über die historische Montessori erfahren möchte, wird mit diesem kurzen und teils fiktionalen Abschnitt eher weniger bedient.
OT: „La Nouvelle femme“
Land: Frankreich, Italien
Jahr: 2023
Regie: Léa Todorov
Drehbuch: Léa Todorov
Kamera: Sébastien Goepfert
Besetzung: Jasmine Trinca, Leïla Bekhti, Rafaelle Sonneville-Caby, Raffaele Esposito, Laura Borelli, Nancy Huston, Agathe Bonitzer, Sébastien Pouderoux
Amazon (DVD „Maria Montessori“)
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