Die Stellung der Kunst wurde vielleicht noch nie so diskutiert wie heute. Nicht zuletzt dank diverser wirtschaftlicher Entwicklungen ist der Künstler mittlerweile eher in die Richtung eines Content-Creators gekommen, wie man beispielsweise an dem Überangebot diverser Streaming-Plattformen sieht. Dabei geht nicht nur der Blick auf das Werk an sich verloren, sondern auch das Auge fürs Detail, also jene Aspekte, die einen Roman, ein Musikstück oder einen Film ausmachen. Natürlich bleibt dies nicht ohne Konsequenzen für die Kreation dieses „Contents“, denn vieles sieht gleich aus, hört sich gleich an und folgt einer bestimmten Formel, die sich als gewinnbringend herausgestellt hat.
Ein weiteres Beispiel für diese Entwicklung ist der Blick auf die Musik heutzutage, aber weniger auf die Songs oder die Künstler, sondern vielmehr auf deren Alben, in deren Gestaltung in der Vergangenheit ebenso viel Geld und Zeit einfloss wie in die Aufnahme der einzelnen Songs an sich. Man kann sogar so weit gehen, dass das Cover einer LP einen Teil zum Erfolg von Alben wie The Dark Side of the Moon, Houses of the Holy oder Wish You Were Here beigetragen hat und teils sogar einen Kultstatus erlangt hat, der den Songs ebenbürtig erscheint. Hinter den genannten Kunstwerken standen Menschen wie Aubrey „Po“ Powell und Storm Thorgerson, deren Einfluss in der Musikgeschichte nicht unbeträchtlich ist.
Nachdem er sich zeitweise wieder auf Musikvideos konzentriert hatte, kehrt der Niederländer Anton Corbijn (Control, The American, Life) zurück ins Kino mit einer Dokumentation über Hypgnosis, der Geschichte von Thorgersons und Powells Grafik-Label. Die Story reicht dabei zurück bis zu ihrer ersten Begegnung, einer Flucht vor der Polizei und einem ersten Freundschaftsbeweis. Der Aufstieg von Hygnosis, wie sie sich später nannten, ist zugleich eine Chronologie der Musik der 1960er Jahre bis in die 1980er, als sie sich auflösten und es zum Bruch zwischen den beiden Freunden kam. Squaring the Circle erzählt beispielhaft an einigen der berühmtesten Covern des Labels davon, wie die beiden Designer einen Beitrag dazu leisteten, dass die Musik von Pink Floyd, Led Zeppelin, 10cc und Peter Gabriel berühmt wurde und für viele auf ewig verbunden ist mit bestimmten Bildern und Impressionen. Es ist eine Geschichte über die Rockmusik zu dieser Zeit, doch zugleich eine über den Wert von Kunst und wie sich dieser im Laufe der Jahre gewandelt hat.
Weg vom Normalen
Als Noel Gallagher seiner Tochter erklären muss, was überhaupt ein Cover ist, wird nicht nur der Generationenunterschied deutlich. Was für die Gallagher noch ein wichtiger Bestandteil eines neuen Albums war, mit dem man sich ebenso intensiv beschäftigte wie mit der Musik, wird in Zeiten von Spotify und iTunes reduziert auf ein winziges Bild, dem der Konsument noch nicht einmal einen großen Wert beimisst. Squaring the Circle erzählt von der Passion zweier Menschen und vieler ihrer Mitstreiter, die ein Cover weniger als eine Verkaufsfläche sahen, sondern eine Leinwand, innerhalb derer alles erlaubt war, so lange es in Kategorien wie „cool“ oder „hip“ fiel.
Die Vision des Musiker oder der Band verband sich mit der der Designer zu einem Bild, was den Zuschauer mehr als einmal nachdenken lässt über die Beziehung von Kunst und Musik überhaupt. Mittels Bildern, die bisweilen inspiriert scheinen von den Covern, die Hypgnosis erschaffen haben, erzählt Corbijn mehr als nur eine Geschichte, die sich in den Elementen des Rock-Lifestyle verliert. Es geht um die Rolle des Künstlers im Allgemeinen, wie er oder sie sich definierte, was der Dokumentation eine gewisse nostalgische Note gibt, denn die kreative Freiheit, von der die zahlreichen Gesprächspartner Corbijns sprechen, ist heute nicht mehr da oder untergegangen in einer Hierarchie der Zahlen und Prognosen.
Unterteilt in verschiedene Kapitel, die jeweils eines der bekannten Cover in den Fokus nehmen, wird zugleich vom Aufstieg und Fall von Hypgnosis erzählt. Dabei kommen Aubrey Powell zu Wort, doch ebenso die Musiker, mit denen er und sein 2013 verstorbener Freund Storm Thorgerson, gearbeitet haben. Robert Plant, Peter Gabriel, Paul McCartney, Jimmy Page und Roger Waters erzählen von ihrer Erfahrungen mit den immer wieder etwas launischen Designern, deren Eskapaden denen der Musiker an vielen Stellen in nichts nachstanden. Der Zuschauer erhält nicht nur einen Eindruck von den schwierigen Entstehungsgeschichten der Cover, doch zugleich so etwas wie eine Wertschätzung für eine Kunst, die mit großen Opfern und sehr viel Leidenschaft kreiert wurde.
OT: „Squaring the Circle: The Story of Hypgnosis“
Land: UK
Jahr: 2022
Regie: Anton Corbijn
Musik: Ian Cooke
Kamera: Stuart Luck, Martijn von Broekhuizen
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Regisseur Anton Corbijn zu unterhalten. Im Interview zu Squaring the Circle sprechen wir über die Doku und seinen Bezug zu Musik.
Telluride Film Festival 2022
Sundance 2023
Amazon (DVD „Squaring the Circle: The Story of Hypgnosis“)
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