Dass sich Städte wandeln, ist kein Geheimnis. Das geschieht in deutschen wie in internationalen, in großen wie in kleinen. Während die ländliche Gegend auszusterben droht, ballt sich alles in den Metropolen. Das bedeutet wiederum, dass dort ein heftiger Verteilungskampf stattfindet. Wer mehr Geld und Einfluss hat, sichert sich die begehrten Plätze, der Rest wird an den Rand gedrängt, vielleicht auch ganz raus. Das macht sich inzwischen auch in Berlin bemerkbar. Früher war dies undenkbar, die Stadt galt als Auffangbecken für die Menschen der unterschiedlichsten Hintergründe. Ein Ort, an dem alle ihren Platz finden. Berlin Utopiekadaver zeigt nun: Dem ist nicht so.
Das Ende der linksautonomen Szene
Der Dokumentarfilm behandelt aber nicht das Thema Gentrifizierung im allgemeinen. Vielmehr ist er den Männern und Frauen aus der linksautonomen Szene gewidmet. Die durften lange ihrer Vorstellung ungestört nachgehen und einen Gegenentwurf leben. Damit soll aber Schluss sein. Im Laufe des Films erfahren wir von mehreren Hausprojekten, die aufgelöst werden sollen. Zu diesen zählt auch das autonome Jugendzentrum Potse. Hier durfte man unter sich sein, durfte man selbst sein. Aber das war einmal: Nach und nach verschwinden diese Orte aus dem Stadtbild, Berlin Utopiekadaver hält fest, wie sie geräumt werden müssen, auf Anweisung von oben.
Dass dieses „oben“ ein rot-rot-grüner Senat ist, die Räumung also stattfindet, bevor die CDU wieder die Leitung über die Hauptstadt erlangt hat, geht einigen nahe. Die Enttäuschung und Wut ist zu spüren, das Gefühl, verraten worden zu sein. Überhaupt legt Berlin Utopiekadaver einen großen Fokus auf die Menschen, lässt sie ausführlich zu Wort kommen. Wer sind sie? Was wollen sie im Leben? Wie empfinden sie den Wandel? Da wird mal ein Taxifahrer befragt, andere lassen in ihrer Musik den Gefühlen freien Lauf. Linksautonom, das ist eng mit der Punkszene verbunden. Eine Protestkultur, die sich nicht damit zufriedengeben will, was die Gesellschaft ihr vorsetzt. Der Verlust der Orte bedeutet damit auch den Niedergang dieser Kultur, die aus der Zeit gefallen scheint.
Mehr Denkmal als Auseinandersetzung
Was in dem Film ein wenig fehlt, ist die Diskussion, ob diese Subkultur grundsätzlich überholt ist. Braucht es sie? Was leistet sie? Zwar wird zwischendurch schon gesagt, dass die Räumlichkeiten eine wichtige Funktion als Schutzraum hatten. Aber das heißt ja nicht, dass es das Drumherum noch braucht. Damit einher geht der Mangel einer Außenperspektive. Berlin Utopiekadaver ist ein Denkmal für die Menschen der linksautonomen Szene, andere kommen in dem Dokumentarfilm nicht vor. Das könnte manchen zu wenig sein, die sich von dem hier eine gesellschaftliche Auseinandersetzung erhoffen. Auch über die Vorgeschichte erfährt man wenig. Der Blick mag auf die Vergangenheit gerichtet sein, auf den Verlust des Vertrauten. Aber es ist keine historische Doku, die viel über die Entwicklung oder die Entstehung verrät.
Sehenswert ist sie dennoch. Der Film, der beim Max Ophüls Preis 2024 Premiere hatte und anschließend auf mehreren Festivals lief, bietet dem Publikum einen Einblick in eine eigene, verschwindende Welt. Und selbst wenn man nicht Teil von dieser sein sollte, weder geografisch noch weltanschaulich, wird der Verlust spürbar. Hier verschwindet etwas, das über lange Zeit entstanden ist. Gehen Stimmen verloren, die sich nicht mit dem Status Quo zufriedengeben wollten und Alternativen einforderten. Berlin Utopiekadaver verbreitet damit durchaus eine gewisse Melancholie, wenn das Ende eines Traums festgehalten wird, der am Ende an einer Markt- und Politikrealität scheiterte.
OT: „Berlin Utopiekadaver“
Land: USA
Jahr: 2024
Regie: Johannes Blume
Drehbuch: Johannes Blume
Musik: Markus Hossack
Kamera: Johannes Thieme
Max Ophüls Preis 2024
achtung berlin 2024
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)