Einfach war das Leben der Witwe Couderc (Simone Signoret) nie. Seitdem sie als 14-Jährige als Küchenmagd auf den Bauernhof kam, musste sie eine Menge über sich ergehen lassen. Inzwischen ist sie 50, führt selbst den Hof und lebt dort mit ihrem Schwiegervater Henri (Jean Tissier). Zu der restlichen Dorfbevölkerung hat sie kaum Kontakt, wird von diesen auch angefeindet. Dieses einsame und harte Dasein wird jedoch durchbrochen, als eines Tages der zwanzig Jahre jüngere Verbrecher Jean Lavigne (Alain Delon) auftaucht, nachdem er aus dem Gefängnis geflohen ist. Couderc nimmt ihn bei sich auf und gewährt ihm Unterschlupf. Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Herkunft kommen sich die beiden mit der Zeit näher – sehr zum Missfallen der anderen, die bald darauf ihre Intrigen spinnen …
Annäherung zweier Ausgestoßener
Den Namen Georges Simenon dürften die meisten mit den Geschichten rund um den Kommissar Maigret in Verbindung bringen. Insgesamt 75 Romane verfasste er, im Laufe der Zeit entstanden auch viele Verfilmungen, zuletzt Maigret 2022 mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle. Neben diesen Krimis schrieb der französische Autor aber auch viele andere Romane. Berühmt ist beispielsweise das Kriegsdrama Le Train – Nur ein Hauch von Glück, welches 1973 mit zahlreichen Stars gedreht wurde. Eher etwas in Vergessenheit geraten ist hingegen Der Sträfling und die Witwe aus dem Jahr 1971, obwohl auch dort zwei ganz große Namen des französischen Kinos mitwirkten.
Um einen Krimi handelt es sich dabei nicht, auch wenn das an manchen Stellen zu lesen ist. Die kriminelle Vergangenheit des Protagonisten spielt insofern eine Rolle, da er dadurch zu einem Verfolgten wird. Als Jean auf dem Bauernhof anfängt, dann aber nicht mit finsteren Absichten. Tatsächlich unterstützt er die Bäuerin, wo er kann, ist sogar der Einzige, der für sie da ist. Der Sträfling und die Witwe erzählt von zwei Menschen, die nicht Teil der Gesellschaft sind und vielleicht deshalb zueinander finden. Da entsteht schon das Gefühl: „Wir gegen den Rest der Welt“. An Konfrontationen und Konflikten mangelt es dann auch nicht. Aber sie schwelen mehr, als dass es wirklich explodieren würde. Nur gegen Ende hin wird ein bisschen mehr getan, der Film bekommt dann kurzzeitig auch Thrillerqualitäten.
Bitteres Porträt einer Dorfgemeinschaft
Wer sich hier wegen der Namen oder der Titel reinrassiges Genrekino erwartet, könnte daher enttäuscht sein. Die französisch-italienische Produktion ist recht ruhig, ist von einer beobachtenden Natur, weniger von einer erzählenden. Das heißt aber nicht, dass der Film nichts zu sagen hätte. Die Adaption des 1942 veröffentlichten Romans seziert das dörfliche Leben in Frankreich und hat dabei nur wenig Nettes zu sagen. Der Sträfling und die Witwe beschreibt eine Gesellschaft, die von Bigotterie geprägt ist: Da wird fleißig in die Kirche gegangen, wo man sich gegenseitig beäugt, während gleichzeitig hinter dem Rücken die Messer gewetzt werden. Vergewaltigungen und Affären sind sowieso an der Tagesordnung, auch wenn darüber nicht gesprochen wird.
Regisseur und Drehbuchautor Pierre Granier-Deferre, der fürs Fernsehen auch einige Maigret Geschichten adaptierte, muss das alles gar nicht ausformulieren. Er lässt oft die Bilder für sich sprechen, nimmt sich auch viel Zeit, um die Gegend zu zeigen. Dabei ist Der Sträfling und die Witwe natürlich auch gehobenes Schauspielkino. Alain Delon (Flic Story – Duell in sechs Runden) in der Rolle des verführerischen, aber nicht völlig unmoralischen Verbrechers überzeugt ebenso wie die Grande Dame Simone Signoret (Madame Rosa), die als harsche Einzelkämpferin nicht viele Dialoge braucht, um viel zu sagen. Das Ergebnis ist manchmal rührend, oft aber auch bitter. Die Literaturverfilmung dient nicht unbedingt dazu, Hoffnung zu spenden, sondern ist eine zwar zeitlich und lokal verortete, letztendlich aber universelle Geschichte, welche unaufgeregt von den täglichen menschlichen Abgründen berichtet.
OT: „La Veuve Couderc“
Land: Frankreich, Italien
Jahr: 1971
Regie: Pierre Granier-Deferre
Drehbuch: Pierre Granier-Deferre
Vorlage: Georges Simenon
Musik: Philippe Sarde
Kamera: Walter Wottitz
Besetzung: Alain Delon, Simone Signoret, Ottavia Piccolo, Jean Tissier, Monique Chaumette, Boby Lapointe
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