Die Entführung des Fluges 601

Es sah nach einem ganz normalen Routineflug aus, als Kapitän Wilches (Christian Tappan) das Cockpit betritt. Viele Male war er bereits mit dem Flugzeug unterwegs. Was soll da schon groß geschehen? Eine Menge, wie sich herausstellt. Denn auch Eusebio Borja (Valentín Villafañe) und Francisco Solano (Alián Devetac) gehen an Bord und haben im Gegensatz zu den übrigen Passagieren und Passagierinnen kein Interesse daran, einfach möglichst schnell von einem Ort zum anderen zu kommen. Sie wollen Geld, viel Geld: 200.000 Dollar verlangen sie als Lösegeld, nachdem sie das Flugzeug und all die Menschen darin entführt haben. Außerdem fordern die beiden Revolutionäre die Freilassung von 50 politischen Gefangenen. Während die Fluggesellschaft um eine Antwort ringt, versuchen die beiden Stewardessen Edie (Monica Lopera) und Barbara (Angela Cano), die Menschen an Bord sicher wieder nach Hause zu bringen …

Thriller mit realem Vorbild

Wer gerne Thriller oder allgemein düstere Serien sieht, wurde zuletzt auf Netflix wirklich reich beschenkt, und das aus allen möglichen Ländern. Da war die deutsche Gangstergroteske Crooks um einen verpatzten Coup, die US-amerikanische Romanadaption Ripley über einen mörderischen Betrüger, die südkoreanische Manga-Adaption Parasyte: The Grey um außerirdische Invasoren und die französische Mördersuche Anthracite. Das war schon ein bisschen viel Stoff auf einmal, der dazu geführt hat, dass manche Beiträge nicht die Aufmerksamkeit erhalten haben, die sie verdient hätten. Das trifft gerade auch auf Die Entführung des Fluges 601 zu, eine kolumbianische Thrillerserie, bei der es dem Titel gemäß um eine Flugzeugentführung geht.

Diese hat eine reale Vorlage, genauer einen Vorfall aus dem Jahr 1973. Die Entführung gilt dabei bis heute als eine der längsten ihrer Art, mehr als 60 Stunden dauerte sie an. Hierzulande dürften nur wenige von ihr schon einmal gehört haben, weshalb die Serie prinzipiell ein willkommener Anlass ist, um sich näher damit zu befassen. Allerdings sollte man dabei keine zu großen Erwartungen haben. Die Entführung des Fluges 601 lässt sich zwar von dem historischen Ereignis inspirieren, nimmt sich dabei aber wie die meisten dieser historischen Produktionen viele Freiheiten heraus. Man ließ sich eher von dem Ganzen inspirieren. Beispielsweise sind die beiden Hauptfiguren hier zwei fiktionale Stewardessen, die als Identifikationsfiguren dienen sollen.

Unterhaltsam mit Längen

Wirklich interessant sind diese nicht, auch wenn sie solide gespielt sind. Stärker fällt da schon der Kapitän auf, der in seiner überheblichen, herablassenden Art selbst zu einer Art Antagonist ist. Tatsächlich ist er unsympathischer als die Entführer, was man erst einmal schaffen muss. Aber auch er ist kein Grund, sich Die Entführung des Fluges 601 anzuschauen. Die meisten werden sich in erster Linie dafür interessieren, wie es mit der Entführung ausgeht. Das ist tatsächlich spannend, weil es unterwegs zu diversen Wendungen kommt. Die Geschichte ist komplexer, als man es von den meisten solcher Flugzeugentführungen gewohnt ist. Nicht ohne Grund setzt man das alles als sechsteilige Serie um, nicht als Film, wie es bei dem Thema meist üblich ist.

Ob es unbedingt diese lange Laufzeit gebraucht hätte, darüber kann man sich natürlich streiten. Tatsächlich kommt es zwischendurch zu ein paar Längen. Ungewöhnlich ist zudem, dass die Serie viel am Boden spielt, wodurch ein wenig das Gefühl verlorengeht, an Bord gefangen zu sein. Das klaustrophobische Setting trägt schließlich normalerweise zu der Atmosphäre und der Spannung bei. Aber auch in der Form ist Die Entführung des Fluges 601 einen Blick wert. Die schöne 70er-Jahre-Stimmung, die ständigen Konflikte, sowohl im Flugzeug wie auch an Land, dazu die besagten Wendungen, da ist schon einiges dabei, was einen bei Laune hält. Auch das Ende ist unterhaltsam, wenn die beiden nach einem Ausweg suchen und ein paar Crowdpleaser-Momente hinzukommen.