Mars Express nimmt uns mit in das Jahr 2200, als die Menschheit längst im Weltraum Kolonien gegründet hat und Roboter zu einem festen Bestand unseres Leben geworden sind. Doch etwas Eigenartiges geschieht gerade, als eine junge Studentin verschwindet und ein Code entdeckt wird, mit dem Roboter die einprogrammierten Regeln außer Kraft setzen könnten. Wie kommt es dazu? Wer steckt dahinter? Das versuchen eine Privatdetektivin und ein Roboter herauszufinden. Der Science-Fiction-Animationsfilm feierte 2023 Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes und wurde im Anschluss von Festival zu Festival weitergereicht. Wir haben Regisseur Jérémie Périn anlässlich des Kinostarts am 25. April 2024 interviewt und sprechen mit ihm über seinen Film.
Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Mars Express verraten? Wie kam es zu dem Film?
Ich wollte schon immer einen Science-Fiction-Film machen, was aber nie geklappt hat. Also habe ich erst einmal andere Projekte umgesetzt, darunter die Animationsserie Lastman gemacht. Die basiert auf einer Comicreihe und war so erfolgreich, dass ich die Freiheit hatte zu machen, was ich wollte. Also entschied ich mich, doch noch meinen Film anzugehen. Mir war es dabei wichtig, eine wirkliche Science-Fiction-Geschichte zu erzählen. Du hast zwar viele Titel, die Science-Fiction-Elemente verwenden, letztendlich aber doch eher Fantasy sind so wie Star Wars. Ich wollte hingegen etwas, das auf Wissenschaft und Technologie basiert und näher an dem dran ist, was wirklich geschieht. Damals träumten Leute wie Elon Musk oder Jeff Bezos davon, unseren Planeten zu verlassen und woanders neue Gesellschaften aufzubauen. Also fing ich an darüber nachzudenken, wie so etwas aussehen könnte. Und so entstand Schritt für Schritt meine Geschichte.
Würdest du diese Gesellschaft, die du in dem Film beschriebst, als dystopisch bezeichnen?
Ja. Genauer würde ich sagen, dass es eine Anti-Utopie ist. Die Menschen leben in einer Welt, die sie nicht als Dystopie wahrnehmen. Alles ist so hell und schön, ganz anders, als wir es von Dystopien kennen. Ich wollte keine düstere Welt wie in Blade Runner zeigen, bei der du auf den ersten Blick erkennst, was los ist. Unsere Welt sieht eigentlich sehr freundlich und einladend aus, weshalb die Menschen nicht erkennen, wie verkommen sie ist.
Woran liegt es, dass die meisten Science-Fiction-Filme überhaupt eine so düstere Vision von der Zukunft haben? Wenn du die freie Wahl hast, eine Welt zu entwerfen, könnte es ja auch eine schöne sein.
Gute Frage. Es gibt wirklich wenige Beispiele dafür, wie eine Welt in der Zukunft schön ist. Zurück in die Zukunft II vielleicht, also der Teil am Anfang, der in der Zukunft spielt. Ich denke, dass es ein bisschen die DNA von Science-Fiction-Geschichten ist, dass sie warnen wollen vor den Gefahren. Sie können auch das kritisieren, was in der Gegenwart bereits geschieht, indem sie die Ereignisse übertrieben und in einem anderen Kontext zeigen. Ich glaube, es war Steven Spielberg, der sagte, Science-Fiction gebe einem die Möglichkeit, unsere Gegenwart zu kritisieren, ohne dass das Publikum das als moralisierend empfindet.
Hattest du bei deiner Version der Zukunft Vorbilder? Gab es Science-Fiction-Filme, die dich besonders beeinflusst haben?
Klar, es gab eine Menge Filme, die uns inspiriert haben. Das waren aber nicht zwangsläufig Science-Fiction-Filme. Wir haben uns auch ganz viele Film Noirs angesehen, Chinatown und Rattennest zum Beispiel oder auch Der Tod kennt keine Wiederkehr, weil es bei uns ja auch darum geht, ein Rätsel zu lösen. Wir wollten sehen, wie andere ihre Geschichten aufgebaut haben. Aber natürlich haben auch Science-Fiction-Filme uns beeinflusst wie RoboCop oder Minority Report.
Ein wiederkehrendes Motiv in solchen Filmen ist die Warnung vor einer Technologie, die wir nicht mehr kontrollieren können. Bist du jemand, der vor technologischen Entwicklungen Angst hat?
Das ist etwas, was glaube ich vielen Angst macht, wenn etwas neu ist und du noch nicht genau weißt, was das für uns bedeuten wird. Ein aktuelles Beispiel ist künstliche Intelligenz. In meinem Umfeld haben ganz viele Künstler Angst davor, durch eine KI ersetzt zu werden, die dann Bilder zeichnet, oder dass es zumindest schwieriger wird, einen Job zu finden. Das kann ich schon nachvollziehen. Gleichzeitig bin ich aber nicht grundsätzlich gegen diese Technologie. Klar, wenn du sie nur einsetzt, um die Kosten für einen Menschen zu sparen, dann ist das Mist. Aber vielleicht finden wir ja auch einen Weg, sie einzusetzen und etwas zu machen, was Menschen nicht können. Für Mars Express war das kein Thema, dafür kam das zu spät. Für die Zukunft will ich aber nicht ausschließen, damit etwas zu machen. Ich denke darüber nach, in meinem nächsten Film etwas damit auszuprobieren.
In deinem Film arbeitest du ja bereits viel mit Technologien. Ohne Computer wäre Mars Express nicht möglich gewesen. Wo zieht man die Grenze zwischen einer guten Technologie und zu viel Technologie?
Das würde ich wie gesagt daran festmachen, was diese Technologie denn bringt und wozu sie eingesetzt wird. Du könntest eine KI einsetzen, um Animationen flüssiger zu machen. Für einen Menschen wäre es unmöglich oder viel zu teuer, einen Animationsfilm mit 60 FPS zu machen, weil du einfach so viele Einzelschritte zeichnen müsstest. Das geht einfach nicht. Wenn du das aber mit einer KI hinbekommst, könnte das spannend sein. Wenn aber dein einziges Ziel das ist, Filme wie bisher zu machen und das viel billiger, dann ist das verschenkt.
Kommen wir allgemein auf das Thema Animation. Was ist der Vorteil, die Geschichte als Animationsfilm umzusetzen und nicht als Live Action?
Zum einen der, dass ich weiß, dass ich zeichnen kann. (lacht) Aber auch die Kosten sind ein Vorteil. Mars Express war jetzt zwar nicht billig. Animationsfilme zu drehen, kann auch richtig teuer werden. Du hast aber den Vorteil, dass es keinen Unterschied macht, ob die Geschichte in einer Küche oder in einem Raumschiff spielt. Das kostet gleich viel. Bei Live Action ist das anders. Mars Express wäre um ein Vielfaches teurer geworden, wenn ich ihn als Live Action hätte drehen wollen. Das heißt nicht, dass es unmöglich ist. Wenn ein amerikanischer Produzent zu mir gekommen wäre und mir das Geld gegeben hätte, wäre das schon gegangen. Wobei Animation mir aber auch Möglichkeiten gegeben hat, die ich bei einem Realfilm nicht gehabt hätte. Wenn du dir beispielsweise den Roboter Carlos anschaust, der in dem Film ja ein billiges Modell ist, dann siehst du, dass sein Mund sich beim Sprechen wie bei Animes bewegt. Die Mundbewegungen der anderen Figuren sind hingegen wie bei westlichen Animationstiteln. Oder wenn du dir die Roboter anschaust, dann sind die CGI, während die menschlichen Figuren per Hand gezeichnet sind. Auf diese Weise konnten wir einige sehr spezifische Codes und Konventionen aus dem Animationsbereich einbauen. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit diesen verschiedenen Ästhetiken zu arbeiten.
Man merkt, wie sehr du Animationsfilme liebst. Gibt es einen Film, den du besonders gern magst, einen Favoriten?
Das ist wirklich schwierig zu beantworten, weil es so viele Animationsfilme gibt, die ich liebe. Aber ein Film, der mich damals sehr beeindruck hat, war Nausicaä aus dem Tal der Winde. Das muss Anfang oder Mitte der 90er gewesen sein. Ich hatte damals eine VHS-Kassette ohne Untertitel, weil ich Teil von einer Geek-Kultur war, die total auf solche seltenen Animationstitel abfuhr. Ich verstand natürlich kein Wort, war aber total fasziniert. Da war etwas in dem Film, das mich total gefesselt hat. Ich habe ihn mir wieder und wieder angesehen und dabei mit der Zeit immer mehr verstanden. Als ich den Film dann das erste Mal auf Französisch gesehen habe, hatte ich die Geschichte bereits völlig verinnerlicht, ohne die Sprache zu sprechen. Das war für mich eine ganz besondere Erfahrung, weshalb Nausicaä mein liebster Miyazaki Film ist. Ich glaube, dass jeder den Miyazaki Film am liebsten mag, der sein erster war. Aber wie gesagt, es ist schwierig für mich, einen einzelnen Film auszuwählen. Da gibt es einfach zu viele: Akira, Ghost in the Shell, die Patlabor Filme oder auch Herrscher der Zeit.
Und wie geht es weiter bei dir? Arbeitest du an neuen Projekten?
Ich arbeite tatsächlich an der nächsten Geschichte. Dieses Mal wird es übernatürliche Elemente geben. Der Film spielt aber im Paris der Gegenwart. Das hat für mich den Vorteil, dass ich mir nicht so viel ausdenken muss. Ich hatte bei Mars Express unterschätzt, mit wie viel Arbeit es verbunden ist, diese ganzen Sachen aus der Zukunft designen zu müssen, also die Fahrzeuge oder auch die Orte. Das wird beim nächsten Mal einfacher. Wenn ich da Inspirationen brauche, muss ich nur rausgehen und mich umschauen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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