Im Jahre 1854 findet man in einer Kutsche die ohnmächtige Oona (Sophie Mousel), die als Einzige einen blutigen Angriff überlebt hat. Man bringt sie zur Burg der Familie Graff, die seit vielen Generationen über den Landstrich im Norden Luxemburgs herrscht und alle Bauern unter sich vereint hat. Unter dem Patriarchen der Familie (Jules Werner) bleibt die Gemeinde größtenteils abgeschottet von den Ereignissen im Land, dem technischen Fortschritt sowie den Konflikten. Dafür regiert er streng und unnachgiebig, unterstützt von seinen Söhnen, die, wenn nötig mit Gewalt, seinen Willen durchsetzen.
Auch Oona macht sehr schnell Bekanntschaft mit dem harten Alltag in der Burg und der umliegenden Gemeinde. Dem ältesten Sohn der Familie, der seinem Vater schon lange einen männlichen Erben versprochen hat, soll sie zur Geliebten gemacht werden. Jedoch schleicht sich Unruhe in das geregelte Leben der Graffs, als eine Mordserie im Dorf beginnt, der mehr und mehr Freunde und dann auch Mitglieder der Familie zum Opfer fallen. Während Vater Graff darauf besteht, schnell den Täter zu finden, erkennen die Diener und Mägde der Familie, dass die Fremde keineswegs unbekannt ist und eine Rechnung mit den Graffs zu begleichen hat.
Luxemburgs Western
Läif a Séil oder The Last Ashes, wie der englische Titel des Films lautet, ist der erste Spielfilm des Luxemburgers Loïc Tanson. Der Film feierte seine Premiere auf dem Sitges Film Festival 2023 und war der luxemburgische Oscarbeitrag, wobei er es jedoch nicht in die Shortlist schaffte. Dank Festivals wie kürzlich dem Hardline Film Festival darf sich nun auch das deutsche Publikum von dem Film überzeugen, der sehr viel mit den Konventionen des Western spielt und mehr als einmal auf diverse bekannte Vorbilder, allen voran die Werke eines Sergio Leone (Spiel mir das Lied vom Tod) anspielt. Auch in Aspekten wie dem Erzähltempo und der Figurenzeichnung hat man sich viel von solchen Vorbildern abgeschaut.
Selbst der Aufbau folgt der Logik des Western. Nach einem etwa 25-minütigen Prolog, in dem die Vorgeschichte der Hauptfigur geklärt wird, folgt ein Einschnitt und die Geschichte ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts angelangt, eine Zeit, die politisch, kulturell und wirtschaftlich für das Land von sehr vielen Fortschritten und Konflikten geprägt war. Die Fremde, von der man sehr schnell ahnt, wer sie wirklich ist, tritt auf und entledigt sich rasch und blutig einiger Angreifer. Zwar gibt es keine Aufnahmen der Prärie, doch man weiß als Zuschauer, dass man sich in einer Welt und einer Zeit befindet, in der das Recht des Stärkeren zählt und in der Kontrolle und Macht alles bedeuten.
Die Bilder von Kameramann Nikos Welter zeigen eine gnadenlose Welt, in der Schwächere nur dadurch überleben können, wenn sie sich zusammenschließen oder den Starken untergeben, und in der Familien wie die Graffs florieren. Wie bei Leone sind Aspekte wie der Bau einer Eisenbahn Vorboten einer großen Veränderung, die auch vor den Graffs nicht mehr haltmachen wird, die sich wohlweislich hinter ihren Burgmauern verschanzen. Tanson vermischt dabei gekonnt die Geschichte einer Familie, die um ihre Fortbestehen bangt, und eine Fremde, die endlich Rache nehmen will, nun, da sie abgehärtet ist und gelernt hat, zu kämpfen.
Wege in die Unordnung
Läif a Séil versteht sich dabei nicht nur als ein Rachedrama, sondern als Porträt einer Zeit der Unordnung. Sophie Mousel als Oona spielt ein Relikt aus der alten Zeit, die noch nach dem alttestamentarischen Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ geschehenes Unrecht vergelten will und damit zu einer Rebellin gegen die Ordnung wird. Es ist eine starke, bisweilen stoische Darstellung, die erahnen lässt, was diese Frau in den letzten 15 Jahren durchgemacht haben muss, was sie gesehen hat und welche Opfer sie bringen musste. Ihr gegenüber spielt Jules Werner als Familienoberhaupt der Graffs einen Diktatoren, dessen Söhne vor allem Erfüllungsgehilfen sind, die ihre feste Position innerhalb der Hierarchie und die Menschen unter ihnen mit ebensolcher Härte und Strenge führen. Dies sieht man dann auch, sodass Läif a Séil keineswegs ein Film für Zartbesaitete ist, wenn besonders im Finale die Gewaltschraube ordentlich nach oben gedreht wird. Jedoch erscheint der Schluss wie die logische Konsequenz aus diesem langsam erzählten Westerndrama, bei dem lediglich der ein oder anderen Zwischenplot in Leere läuft, sodass man auf ihn hätte verzichten können.
OT: „Läif a Séil“
Land: Luxemburg, Belgien
Jahr: 2023
Regie: Loïc Tanson
Drehbuch: Loïc Tanson, Frederic Zeimet
Musik: When Airy met Fairy
Kamera: Nikos Welter
Besetzung: Sophie Mousel, Timo Wagner, Jules Werner, Luc Schiltz, Philippe Thelen, Marie Jung, Jean-Paul Maes
Sitges 2023
Hofer Filmtage 2023
HARD:LINE 2024
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)