Drei Jahre ist es mittlerweile her, dass Franck bei einer Weltraummission spurlos verschwunden ist. Doch noch immer ist seine jüngere Schwester Elsa (Megan Northam) nicht über den Verlust hinweggekommen. Sie befindet sich in einer Schockstarre, sie geht ihrem Alltag nach, ohne von der Stelle zu kommen. Das ändert sich, als sie eines Tages von einer außerirdischen Lebensform kontaktiert wird. Diese stellt ihr in Aussicht, den vermissten Bruder wieder zurückzubringen. Zu dem Zweck fordert sie jedoch eine Gegenleistung: Elsa soll fünf Menschen finden, die dann von Außerirdischen besetzt werden. Im Gegenzug soll Franck zurückkommen. Zunächst zögert die junge Frau, lässt sich dann aber darauf ein …
Lang erwartetes Zweitwerk
Nachdem er eine Reihe von Kurzfilmen gedreht hatte, gelang Jérémy Clapin 2019 gleich mit seinem ersten längeren Werk der Durchbruch. Das Animationsdrama Ich habe meinen Körper verloren über eine Hand, die ihren Körper sucht und sich dabei nach und nach an die eigene Vergangenheit erinnert, wurde von Festival zu Festival weitergereicht. Am Ende reichte es bei dem Ausnahmewerk sogar für eine Oscar-Nominierung, was für eine kleine französische Produktion sehr beachtlich ist. Seither war es aber ruhig um den Regisseur geworden. Umso größer war die Freude, als er sich bei der Berlinale 2024 mit seinem lang erwarteten zweiten Langfilm Meanwhile on Earth zurückmeldete, auch wenn er dort nur wenig Aufmerksamkeit erhalten hat und kaum beworben wurde.
Das mag mit der langen Wartezeit zusammenhängen, fünf Jahre ist schon eine Menge. Aber auch der Wechsel der Darstellungsform könnte dazu beigetragen haben, dass der Film unter dem Radar blieb. So ist es schon enttäuschend, dass Clapin keinen weiteren Animationsfilm gedreht. Zwischendurch gibt es zwar schon eine kürzere Zeichentricksequenz, die dann wieder schön geworden ist. Ansonsten ist Meanwhile on Earth ein reiner Live-Action-Film. Wobei das Zweitwerk auch so einiges fürs Auge bietet. Gerade der längere Ausflug in den Wald, wo die eigenwillige Odyssee ihren Anfang nimmt, ist atmosphärisch geworden. Daran hat auch die Musik von Dan Levy ihren Anteil, der schon das letzte Mal für die musikalische Untermalung zuständig war und einigen für seine Arbeit bei der Indierock-Gruppe The Dø bekannt sein könnte. Erneut darf er an der melancholischen Stimmung mitarbeiten, die den Film auszeichnet.
Trauerdrama trifft moralische Überlegungen
Manche wird Letzteres vielleicht verwundern. Wenn Menschen von Außerirdischen übernommen werden, erwartet man prinzipiell Science-Fiction-Horror. Schließlich erinnert das Szenario an gängige Titel, sei es Die Körperfresser kommen oder kürzlich Parasyte: The Grey, wo die Übernahme mit einigem Schrecken verbunden ist. Meanwhile on Earth ist aber kaum damit zu vergleichen. Zum einen ist das Schicksal der Besessenen im Vergleich zu anderen Opfern noch recht gnädig. Anstatt völlig ausgelöscht zu werden, werden sie in eine Art Traum versetzt und bekommen nichts mehr mit. Zum anderen ist der Film über weite Strecken einer ein Trauerdrama als traditioneller Genrebeitrag. Erzählt wird die tieftraurige Geschichte eines Menschen, der es nicht schafft, die Vergangenheit loszulassen und dadurch im eigenen Leben feststeckt. Gerade die Szene mit der Mutter sticht in dem Kontext hervor.
Wobei Clapin, der auch das Drehbuch geschrieben hat, diese Aspekte mit grundsätzlichen moralischen Fragen verbindet. Wenn sich Elsa aussuchen muss, welcher Mensch geopfert wird, erinnert die Frage an den Wert des Individuums an Werke wie zuletzt Helgoland 513. Wer darf leben, wer muss gehen? Man sollte in der Hinsicht aber nicht zu viel erwarten. Mit einer Laufzeit von nicht einmal 90 Minuten bleibt nicht der Raum, um all diese Aspekte zu vertiefen. Sowohl die Grundsatzentscheidung Elsas, ob sie sich darauf einlässt, wie auch die Frage, wen sie zu opfern bereit ist, sind sofort wieder abgehakt. Aber selbst wenn das Ergebnis mehr Tiefgang vertragen hätte, das Science-Fiction-Drama ist sehenswert und lässt einen hoffen, dass uns der Filmemacher im Anschluss nicht wieder fünf Jahre warten lässt, bevor er sich mit einem neuen Titel zurückmeldet.
OT: „Pendant ce temps sur Terre“
Land: Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Jérémy Clapin
Drehbuch: Jérémy Clapin
Musik: Dan Levy
Kamera: Robrecht Heyvaert
Besetzung: Megan Northam
Berlinale 2024
Fantasy Filmfest Nights 2024
Annecy 2024
Französische Filmtage Tübingen-Stuttgart 2024
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