Es hätte ein großer künstlerischer Triumph für den aus zahlreichen Kinofilmen bekannten Schauspieler Mathieu (Guillaume Canet) werden sollen, als dieser sein Debüt am Theater plant. Doch im letzten Moment macht er einen Rückzieher, traut sich die Sache doch nicht zu. Um erst einmal ein bisschen durchzuschnaufen und zu sich zu kommen, verzieht er sich in ein abgelegenes Wellnesshotel an der bretonischen Westküste Frankreichs. Zu seiner großen Überraschung trifft er dort Alice (Alba Rohrwacher) wieder. Vor 15 Jahren, bevor ihm der Durchbruch gelungen war, waren die beiden ein Paar gewesen. Doch dann ging er fort, ließ sie zurück, ließ alles zurück. Inzwischen arbeitet sie als Klavierlehrerin, ist verheiratet, hat ein Kind. Und doch kommen schnell die Gefühle von einst zurück, was sie zwingt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen …
Zeit für Gefühle
In seiner inzwischen mehr als 25-jährigen Laufbahn als Regisseur hat Stéphane Brizé immer mal wieder gesellschaftliche Themen aufgegriffen, etwa in Der Wert des Menschen (2015) oder auch Streik (2018), wo es um prekäre Arbeitsverhältnisse ging. Der französische Filmemacher hat aber auch zwischenmenschlich ausgerichtete Werke auf dem Programm, darunter das preisgekrönte Kostümdrama Ein Leben (2016), bei dem es um eine Frau geht, die immer wieder von Menschen enttäuscht wird, die ihr nahestehen. Eben diesen Bereich behandelt er in seinem neuesten Werk Zwischen uns das Leben, wenn er zwei frühere Liebende noch einmal zusammenführt und sie dazu zwingt, sich mit ihren schwierigen Gefühlen auseinanderzusetzen.
Wobei es eine Weile dauert, bis der Film an diesem Punkt ankommt. Zunächst sieht es so aus, als sei das Thema von Brizé der kriselnde Schauspieler, der nach seinem Theater-Fiasko erst einmal nicht weiß, was er tun soll. Zu dem Zeitpunkt ist die Tonalität noch recht heiter. Tatsächlich ist Zwischen uns das Leben anfangs einer Komödie näher als einem Drama, wenn der Künstler etwa an der Bedienung einer neumodischen Kaffeemaschine kläglich scheitert. Auch als Alice hinzutritt, besticht die französische Produktion durch eine gewisse Leichtigkeit. Wenn wir die beiden sehen, wie sie sich nach der langen Trennung erneut begegnen und sich ein bisschen unentschlossen annähern, dann ist das rührend und wohltuend. Man sieht ihnen einfach gern dabei zu, wie sie aufblühen und gleichzeitig nicht wirklich wissen, was sie damit anfangen sollen.
Einer der schönsten Liebesfilme der letzten Zeit
Doch nach der ersten Freude geht es nach und nach ans Eingemachte, schimmert hinter dem Lächeln eine tiefe Traurigkeit hervor. Das Drama, das bei den Filmfestspielen von Venedig 2023 Premiere feierte, befasst sich unter anderem mit verpassten Chancen. Diese sind amouröser Natur, wenn immer die Überlegung mitschwingt: Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie zusammengeblieben wären? Aber auch das Berufliche spielt in Zwischen uns das Leben eine größere Rolle. So wurde aus Mathieu zwar ein großer Star, er weiß aber nicht mehr, was er mit sich anfangen soll, steckt in einer tiefen Sinnkrise. Alice wiederum ist künstlerisch völlig gescheitert, aus ihren Ambitionen als Klavierspielerin ist nichts geworden. Wenn sie Einblicke in ihr Leben gibt, wir mehr über das tiefe Loch erfahren, in das sie nach der Trennung gefallen ist, darf einem das schon sehr zu Herzen gehen.
Kontrastiert werden diese tiefen Bekenntnisse durch das Wellnesshotel, das schick, hell und modern ist – und völlig frei von jeglicher Persönlichkeit und Wärme. Die beiden Figuren sind über weite Strecken auch das einzige wirklich Persönliche in diesem Gebäude. Erst später, wenn wir das Umfeld von Alice kennenlernen, verringert sich das Gefühl des Verlorenseins. Ob es diese Szenen alle gebraucht hätte, darüber kann man sich dann streiten. Vor allem die eine um eine Freundin im fortgeschrittenen Alter, die über ihre frühere Ehe spricht, zieht sich schon ziemlich. Ansonsten ist Zwischen uns das Leben aber ein wunderbar menschlicher Film, getragen von einem fantastischen Duo. Brizé hat einen der schönsten Liebesfilme der letzten Zeit vorgelegt, wenn er uns durch die Höhen und Tiefen einer Begegnung mitnimmt, die Jahre später noch nachhallt – und die einem auch nach dem Abspann noch im Herzen bleibt.
OT: „Hors-saison“
Land: Frankreich
Jahr: 2023
Regie: Stéphane Brizé
Drehbuch: Stéphane Brizé, Marie Drucker
Musik: Vincent Delerm
Kamera: Antoine Héberlé
Besetzung: Guillaume Canet, Alba Rohrwacher
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir haben uns mit Regisseur und Co-Autor Stéphane Brizé unterhalten. Im Interview zu Zwischen uns das Leben sprechen wir über die Figuren, die Besetzung und schwierige Entscheidungen.
Amazon (DVD „Zwischen uns das Leben“)
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)