Ein wenig befremdlich ist es schon. Seit Jahrzehnten leistet Deutschland Abbitte für den Zweiten Weltkrieg und insbesondere für den Holocaust, bei dem Millionen von Menschen ermordet wurden. Von den vorherigen Verbrechen, die das Land in den afrikanischen Kolonien begangen hat, wollte hingegen niemand etwas wissen. Warum der eine Teil der Geschichte so offensiv angegangen wurde, der andere aber ausgeblendet, das muss man nicht nachvollziehen können. Immerhin, nach und nach scheint hierzulande wie auch im europäischen Ausland endlich ein Bewusstsein für das Thema zu entstehen. Das zeigt sich auch darin, dass innerhalb kurzer Zeit mehrere Filme gedreht wurden, die sich damit auseinandergesetzt haben.
Die Suche nach den gestohlenen Familienmitgliedern
Da war das Historiendrama Der vermessene Mensch um einen Wissenschaftler, der seine Menschlichkeit verliert. Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt verarbeitete den geschwärzten Teil der Geschichte in Form eines Horrorfilms. Nun kommt mit Das leere Grab ein Dokumentarfilm bei uns heraus, der dieses Thema aufgreift. Wobei dieser nicht direkt über die Verbrechen an sich berichtet, über die schrecklichen Massenmorde. Stattdessen erinnert er daran, wie Deutsche aus einer rassistisch geprägten Weltauffassung heraus die Gebeine der Toten mit in die Heimat nahmen, um sie dort zu untersuchen. Viele liegen noch immer dort. Zehntausende sollen es sein, die in Museen oder Universitäten aufbewahrt werden, obwohl sie keinen Zweck mehr erfüllen.
Eigentlich sollte man meinen, dass es dann an der höchsten Zeit ist, diese Gebeine wieder zurückzuführen und den Familien zu übergeben. Und doch ist das alles nicht so einfach, wie zwei Familien aus Tansania feststellen müssen. Diese haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Überreste einzufordern und damit einen Teil des Traumas bearbeiten zu können. Denn auch wenn das Unrecht auf diese Weise nicht wettgemacht wird, würde es zumindest die Trauerarbeit erleichtern, den Körper bei sich zu wissen. Das Regieduo Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay begleitet in Das leere Grab diese beiden Familien bei den Versuchen, die jeweiligen Überbleibsel zu finden. Teile des Films wurden dabei in Tansania gedreht, Teile in Deutschland, wo die Spurensuche weitergeführt wird.
Die Menschen hinter den Schädeln
Der Film ist aber auch inhaltlich zweigeteilt. Zum einen schildert er davon, wie die Familien gegen Hindernisse anlaufen. Das betrifft die Bürokratie, die einfach nicht darauf eingestellt ist, solche Rückführungen zu ermöglichen. Das andere Problem: Niemand weiß, wer die Toten waren. Man sah die Menschen als Forschungsobjekte, nicht als Individuen. Seinerzeit dachte niemand, dass irgendwann Schädel und Knochen noch einmal zurückgegeben werden müssten. Das leere Grab beschäftigt sich aber auch mit den Familien, ihren Geschichten und ihrer Kultur. Die beiden deutschen Regisseurinnen wollen ihnen die Menschlichkeit zurückgeben, die ihnen von den eigenen Vorfahren abgesprochen wurde. Dabei kommen sie selbst nicht zu Wort, dafür aber andere Deutsche, sei es Bundespräsident Steinmeier oder auch die Kinder einer Schulklasse, die schockiert sind, als sie von der Geschichte erfahren.
Wer einigermaßen aufmerksam war in diese Richtung, wird durch Das leere Grab nicht wahnsinnig viel Neues lernen. Allenfalls die Einblicke in die Probleme der Rückführung fallen darunter. Das macht den Film aber nicht weniger wichtig. Vor allem gibt die Doku, die auf der Berlinale 2024 ihre Premiere hatte, dem Thema eine stärker menschliche Note, indem es an den konkreten Beispielen aufgezogen wird. Hier geht es eben nicht nur um Statistiken und Textkästen, die alles kurz zusammenfassen. Wegner und Mlay erinnern daran, dass hinter jedem der vielen Schädel, die niemand mehr kennt, ein Schicksal und eine Geschichte steckte. Ein Mensch, der von anderen geliebt wurde.
OT: „Das leere Grab“
Land: Deutschland, Tansania
Jahr: 2024
Regie: Agnes Lisa Wegner, Cece Mlay
Drehbuch: Agnes Lisa Wegner, Cece Mlay
Musik: Hannah von Hübbenet
Kamera: Marcus Winterbauer
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