Der lange Abschied The Long Farewell
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Der lange Abschied

Kurze Begegnungen Korotkije wstretschi Der lange Abschied
„Der lange Abschied“ // Deutschland-Start: 21. September 2023 (DVD)

Inhalt / Kritik

Nach der Trennung seiner Elten lebt der 18-jährige Schüler Sascha (Oleg Wladimirski) bei seiner Mutter Jewganija (Sinaida Scharko). Das Verhältnis der beiden ist in letzter Zeit sehr angespannt, was beim Besuch des Strandhauses der Eltern einer Freundin Jewganijas deutlich wird. Schon während der Fahrt dorthin gibt Sascha zu verstehen, dass er eigentlich keine Lust auf den Ausflug hat. Die Unterhaltungen bei Tisch werden zu einer Geduldsprobe für beide Seiten, denn seine Mutter versucht, ihn dazu zu bewegen, etwas aus seinem Leben zu machen, was Sascha schweigend hinnimmt. In den nächsten Tagen verschlimmert sich die Lage, wobei für Jewganija, eine gelernte Übersetzerin, noch beruflicher Stress hinzukommt, als man ihr und ihrer Abteilung klar macht, dass man einen Auftrag an eine andere Firma übertragen wird. Als Jewganija von einer Bekannten dann hört, dass Sascha plant, zu seinem Vater zu ziehen und sie zu verlassen, ist sie erschrocken und versucht die Beziehung zu ihrem Sohn zu reparieren.

Brücken, die helfen zu leben

The Long Farewell, oder Der lange Abschied, ist der insgesamt vierte Film der ukrainischen Regisseurin Kira Muratowa und gehört neben Kurze Begegnungen zu jenem Teil ihrer Filmografie, der in den letzten Jahren umfangreich restauriert wurde. Ebenso wie ihre anderen Werke zu Beginn ihrer Karriere wurde auch The Long Farewell lange nicht gezeigt und erst in den späten 1980ern das erste Mal in einem Kino aufgeführt. Neben dem realistischen Ansatz ihrer Filme war es auch die ästhetische Herangehensweise, die nicht in das Muster der sowjetischen Zensoren passte, sodass der Film nicht gezeigt werden durfte. Dass wir The Long Farewell heute sehen können, ist ein Glücksfall, denn Muratowa beweist abermals ihre genaue Beobachtungsgabe für menschliche Beziehungen, für Distanz und Nähe und zwingt uns bisweilen sehr genau hinzusehen.

Zwar ist The Long Farewell im Kern eine lineare Erzählung, doch das erzählerische Prinzip, dem Muratowa folgt, ist nach wie vor die Montage von einzelnen Episoden. Wie schon in Kurze Begegnungen bemerkt man die Distanz der unterschiedlichen Lebenswelten, der des Sohnes und die der Mutter, was vielleicht erklären mag, warum die beiden nicht miteinander harmonieren. Indem Aspekte einer Szene oder eines Moments mehrmals gezeigt werden – manchmal aus einer anderen Perspektive – werden wir aufmerksam gemacht auf die emotionale Ebene dieser Beziehung. Jewganija versucht, eine Brücke zu ihrem Sohn zu bauen, erfährt aber wiederholt nur Ablehnung und schließlich eine herbe Niederlage, als sie von seinem Plan erfährt, sie zu verlassen. Sascha entzieht sich ihr, versteckt sich sogar und bleibt schwer zu fassen, sowohl für seine Mutter als auch den Zuschauer. Muratowas Inszenierung und Natalja Rjasanzewas Drehbuch erzählen berührend und authentisch vom Ringen um eine Beziehung und wie man eine solche im Chaos des eigenen Alltags aus den Augen verlieren kann.

Distanz und Nähe

Die erwähnte Montagetechnik scheint aber noch auf eine andere, höhere Ebene zu verweisen.  Jewganija und Sascha sind zwei Generationen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, was ich in den einzelnen Episoden widerspiegelt. Während der eine durch die Stadt zieht und von Gleichaltrigen hört, die genauso ohne Orientierung durchs Leben gehen wie er, ist das Berufsleben der Mutter geprägt von Enttäuschung und Demütigung, als beispielsweise ihr Vorgesetzter ihre Qualifikationen nicht beachtet. Die Jungen sollen eine Stadt bauen, in der alle glücklich sind, heißt es an einer Stelle, sie sollen jene Vision wahr werden lassen, die doch eigentlich den Kern des Sozialismus ausmacht. In der Realität ist davon nur wenig zu spüren, sodass man nur noch sich selbst hat und die Familie, auf die Muratowa immer wieder verweist. Sinaida Scharko und Oleg Wladimirski überzeugen durch ihr natürliches Spiel, was sehr viel andeutet und nicht viel direkt ausspricht. Das, worauf es ankommt, steckt in den Bildern dieses Filmes.

Credits

OT: „Dolgie Provody“
Land: Sowjetunion
Jahr: 1971
Regie: Kira Muratowa
Drehbuch: Natalja Rjasanzewa
Musik: Oleg Karawaitschuk
Kamera: Gennadi Karjuk
Besetzung: Sinaida Scharko, Oleg Wladimirski, Juri Kajurow, Swetlana Kabanowa

Trailer

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Der lange Abschied
fazit
„The Long Farewell“ ist ein Familiendrama über Nähe und Distanz. Kira Muratowa blickt auf die Verbindungen von Menschen, wie man die eigenen Träume auf die folgende Generation projiziert und im Stress des Alltags das Wichtige im Leben vergisst.
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