Das Thema Demenz ist eines, welches die Menschen weltweit immer mehr beschäftigt. Je stärker die Bevölkerungen altern, umso größer wird der Anteil derjenigen sein, die daran erkranken. Allein in Deutschland rechnet man bis 2050 mit 2,7 Millionen Betroffenen. Entsprechend groß ist die Zahl der Filme, die sich dieses Themas annehmen. Kürzlich kam etwa die wunderbare Science-Fiction-Tragikomödie Linoleum – Das All und all das in die Kinos. Der Horrorfilm The Creeping – Die Heimsuchung nutzte die Krankheit hingegen für unheimliche Szenen, wenn die alte Frau unzurechnungsfähig geworden ist. Gerade aber der dokumentarische Bereich ist in der Hinsicht gut gefüllt. Die unendliche Erinnerung erzählte beispielsweise von einem Paar, das sich nach 20 gemeinsamen Jahren immer mehr verliert.
Eine Krankheit als Annäherung
Aus Österreich kommt nun eine weitere Doku, die sich in diesem Themengebiet bewegt. Dabei geht es in Die guten Jahre aber nicht um eine Kluft, die sich zwischen zwei Menschen öffnet. Im Gegenteil, die Krankheit führt zu einer erneuten Annäherung, als sich der 53-jährige Michael Appelt um seine Mutter kümmern möchte, die eben an Demenz erkrankt ist. Zu diesem Zweck kehrt er in seine alte Heimat zurück und bezieht sogar sein ehemaliges Kinderzimmer. Das ist für einen Menschen in den mittleren Jahren natürlich mit einer Umgewöhnung verbunden, was Appelt auch offen zugibt. Wer rechnet schon damit, wieder in das Elternhaus zu ziehen, viele Jahre später?
Das Thema Demenz spielt dann auch nur eine unterordnete Rolle. Regisseur Reiner Riedler interessiert sich mehr für das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. Immer wieder sehen wir die beiden zusammen, wenn sie etwa über früher sprechen, sich an gemeinsame Zeiten erinnern, auch mithilfe von Bildern. Überhaupt nehmen Bilder in Die guten Jahre einen größeren Raum ein, da Appelt ein renommierter Fotograf ist. Der Film gibt dann auch einen kleinen Einblick in das Schaffen des Österreichers, was zwar nicht direkt mit dem Thema zu tun hat, aber dazu beiträgt, dass einem die beiden Menschen näherkommen und man sie als Individuen kennenlernt.
Eine sich wandelnde Beziehung
Dazu gehören auch die Schattenseiten. So hat Appelt mit psychischen Problemen zu kämpfen, mit Depressionen und Angstzuständen. Die guten Jahre ist auch bei diesen intimeren Gesprächen dabei, zeigt die beiden von ihren verletzlichen Seiten. Dies geschieht jedoch mit Einfühlungsvermögen und Respekt. Der Dokumentarfilm vermeidet das Abgleiten ins Voyeuristische, wie man es bei solchen persönlichen Einblicken zuweilen mitanschauen muss. Hier wird niemand zur Schau gestellt, es gibt keine dramatische Musik oder andere Mittel, mit denen das Publikum manipuliert werden soll. Das heißt aber nicht, dass einem der Film nicht nahegehen kann und man sich an der einen oder anderen Stelle fragen darf, ob das nicht schon zu viel war.
Wer sich für menschliche Schicksale interessiert, sollte aber durchaus einen Blick hierauf werfen. Der Beitrag vom DOK.fest München erzählt eine Familiengeschichte, die gleichzeitig individuell und universell ist. Die guten Jahre ist kein Film, der einen Neues über die Krankheit verrät oder anderweitig Neuland betritt. Aber er ist gut erzählt, geht zu Herzen und führt einem noch einmal die Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen vor Auge. Dabei ist vor allem der zeitliche Aspekt spannend, wenn wir von den Veränderungen über einen längeren Zeitverlauf hinweg erfahren, angefangen von der Kindheit bis ins höhere Alter, wo sich Verhältnisse teilweise umdrehen und sich die beiden noch einmal anders kennenlernen.
OT: „Die guten Jahre“
Land: Österreich
Jahr: 2024
Regie: Reiner Riedler
Drehbuch: Katja Schröckenstein, Reiner Riedler
Musik: Imre Lichtenberger Bozoki
Kamera: Reiner Riedler
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