Der Anblick ist erschütternd, als die beiden in der Wohnung gefunden werden. Der junge Dirigent Gilbert Tellier (Sami Frey) ist tot, nachdem ihn mehrere Kugeln getroffen haben. Dessen Geliebte Dominique Marceau (Brigitte Bardot) liegt reglos daneben, weil sie versuchte, sich das Leben zu nehmen. Sie wird aber noch rechtzeitig entdeckt, sie kann gerettet werden. Dafür wird sie im Anschluss vor Gericht gestellt. Schließlich war sie es, die ihn erschossen hat. Die Frage ist nur: Geschah dies im Affekt oder hat sie ihn kaltblütig ermordet? Um das entscheiden zu können, gilt es, mehr über die Vergangenheit der beiden und den Charakter der Angeklagten herauszufinden …
Rekonstruktion der Vergangenheit
In den 1950ern und 1960ern galt Brigitte Bardot als eines der Sexsymbole überhaupt, die Französin zierte unzählige Titelbilder von Zeitschriften und war auch ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse, die sich auf sie ihr und ihr Leben stürzte. Dabei konnte man zuweilen schon vergessen, dass sie auch eine talentierte Schauspielerin ist, die mehr zu bieten hatte als körperliche Reize. Der erste große Beweis hierfür war 1960 Die Wahrheit. Obwohl das Thema nicht einfach war, wurde das Drama um eine des Mordes angeklagte Frau zu einem enormen Kassenerfolg in der Heimat, mehr als 5,5 Millionen Menschen sahen ihn seinerzeit. Und auch im Ausland kam das Werk gut an, erhielt einen Golden Globe als bester fremdsprachiger Film und dazu eine Oscar-Nominierung für dieselbe Kategorie.
Dabei ist der erste Eindruck trügerisch. So könnte man bei dem Szenario denken, dass es sich um einen Krimi handelt, bei dem herausgefunden werden muss, was geschehen ist. Zwar geht es durchaus um die Rekonstruktion des Vergangenen, was aber nicht mit überraschenden Wendungen oder einer nennenswerten Spurensuche einhergeht. Ebenso ist Die Wahrheit nur bedingt ein Justizdrama. Natürlich ist die Gerichtsverhandlung der Rahmen des Films. Es kommt darin auch zu dem einen oder anderen Wortgefecht, wenn sich Verteidigung und Anklage etwas an den Kopf werfen. An manchen Stellen wird das auch schön bissig, selbst wenn die Argumentation manchmal auf etwas wackligen Beinen steht.
Was heißt Wahrheit?
Im Grunde geht es Regisseur und Co-Autor Henri-Georges Clouzot (Lohn der Angst) aber um zwei andere Punkte. Zum einen erzählt er eine im Grunde sehr tragische Liebesgeschichte, wenn die beiden Hauptfiguren zwar immer wieder zusammenfinden, dabei aber nie ein richtiges Paar werden können. Sie hätten sich geliebt, sagt Dominique an einer Stelle – nur eben nicht zur selben Zeit. In zahlreichen Rückblenden erzählt Die Wahrheit, wie die zwei regelmäßig zusammenfanden, ohne dabei je das Glück zu finden. Das hat schon Elemente von einer Amour Fou, wenn es zu einem ständigen auf und ab kommt, verbunden mit vielen emotionalen Szenen. Nur eben wenig schönen: Man schaut sich diesen Film eher nicht an, um von der großen Liebe zu träumen.
Das ist für sich genommen sehenswert. Seine eigentliche Klasse erhält das Drama aber durch den gesellschaftlichen Aspekt. So ist Die Wahrheit, ähnlich zu Bardots zwei Jahre später veröffentlichtem Film Privatleben, ein Kommentar über eine letztendlich frauenverachtende Gesellschaft, die einen unsteten Lebenswandel scharf verurteilt. Auch wenn es der Titel impliziert, geht es bei dem Gerichtsprozess weniger darum, eine Wahrheit festzustellen, als vielmehr, diese zu konstruieren. Gerade der Kontrast aus den realen Szenen, die als Flashback gezeigt werden, und dem, was im Gerichtssaal daraus gemacht wird, zeigt, wie sehr eine vermeintliche Wahrheit ein Konstrukt ist. Das greift ein wenig das vorweg, was sechs Jahrzehnte später das ebenfalls preisgekrönte französische Drama Anatomie eines Falls zu erzählen hatte. In beiden Fällen steht zudem eine Frau wegen Mordes vor Gericht. Ganz so stark wie der aktuelle Titel ist der Klassiker nicht, aber für sich genommen nach wie vor eine Sichtung wert und auf erschreckende Weise aktuell.
OT: „La Vérité“
Land: Frankreich, Italien
Jahr: 1960
Regie: Henri-Georges Clouzot
Drehbuch: Henri-Georges Clouzot, Véra Clouzot, Simone Drieu, Jérôme Géronimi, Michèle Perrein, Christiane Rochefort
Kamera: Armand Thirard
Besetzung: Brigitte Bardot, Charles Vanel, Sami Frey, Paul Meurisse, Marie-José Nat
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Academy Awards | 1961 | Bester fremdsprachiger Film | nominiert | |
Golden Globes | 1961 | Bester fremdsprachiger Film | Sieg |
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