Was von der Liebe bleibt
Szenenbild aus Kanwal Sethis "Was von der Liebe bleibt" (© Foto: Erik Molberg Hansen / Rohfilm Productions / FILMWELT)

Kanwal Sethi [Interview]

Regisseur und Drehbuchautor Kanwal Sethi dreht Filme in Indien und in Deutschland. Nachdem Once Again – Eine Liebe in Mumbai vor sechs Jahren den geplanten Auftakt einer indischen Trilogie begründete, hat sein neuester Film mit höchst aktuellen Entwicklungen hierzulande zu tun. Was von der Liebe bleibt erzählt anhand einer Liebesgeschichte vom strukturellen Rassismus in Deutschland. Dabei geht es nicht um Alltagsrassismus auf der Straße, sondern um institutionell verankerten Rassismus. Auf solche trifft der erfolgreiche Unternehmer und Cafébetreiber Ilyas (Serkan Kaya), als seine Frau Yasemin (Seyneb Saleh) eines Morgens von einem Unbekannten erschossen wird. Die Polizei sucht von Anfang an den Mörder in türkisch- und kurdischstämmigen Milieus, verdächtigt sogar den Ehemann selbst, blendet aber die Möglichkeit eines rechtsterroristischen Verbrechens von vornherein aus. Zum Kinostart am 2. Mai 2024 sprachen wir mit Kanwal Sethi über die Opferfamilien des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), die medialen Klischees über Menschen mit Migrationsgeschichte und seinen Alltag in Leipzig.

Für den Film haben Sie zunächst über den NSU recherchiert. Wie kamen Sie zu dem Thema bzw. wie kam das Thema zu Ihnen?

Ich war bei der Lesung der Autorin Esther Dischereit, die Gedichte aus der Perspektive der NSU-Opferfamilien vorgetragen hat. Das hat mich sehr berührt. Vorher hatte ich mich mit dem Thema nur intellektuell beschäftigt. Aber dies war das erste Mal, bei dem ich Tränen in den Augen hatte. Damals entstanden der Entschluss und die Einsicht, dass noch viel mehr darüber erzählt werden muss, und zwar besonders auf emotionale Weise und aus der Sicht der Opfer. Aber nach etwa einem halben Jahr habe ich das Arbeitspapier in die Schublade gelegt, weil ich nicht damit zufrieden war. Ich wollte keine klassische Opfergeschichte erzählen. Gerade Menschen mit Migrationsbiografie werden viel zu oft nur als Opfer dargestellt. Außerdem treten sogenannte „Themenfilme“ oftmals nur intellektuell an uns heran. Das Arbeitspapier blieb dann zwei Jahre liegen, bevor ich die gesamte Idee verwarf und alles wieder völlig neu entwickelte.

Was hat Sie am meisten schockiert bei der Recherche über den NSU-Skandal?

Ich habe gemerkt, wie krass es ist, dass die Familien der Ermordeten zehn Jahre lang zu Tätern gemacht wurden. Wenn etwa das Landeskriminalamt Baden-Württemberg schreibt, die Morde seien so brutal gewesen, dass man sie einem Deutschen nicht zuschreiben könne, dann ist das einfach nur absurd. Mich hat interessiert, was es mit den Familien gemacht hat, wenn die ermordeten Männer von den Ermittlern als Kriminelle verdächtigt wurden. Wie man dann anfängt, plötzlich an deren Biografien zu zweifeln und auch die eigene Biografie in Frage stellt. Sie haben in Ihrer Besprechung meines Films den Vergleich zu Fatih Akins Aus dem Nichts gezogen. Sein Film hat einen ganz klaren emotionalen Kern, nämlich Rache. Für mich war aber Liebe der Kern der Geschichte. Was machen solche Ermittlungen mit der Liebe, die man für die Ermordeten empfindet? Liebe hat eine andere Energie als Rache. Ich weiß, dass Semiya Şimşek, die Tochter des ermordeten Enver Şimşek, anfing zu zweifeln, ob ihr Vater tatsächlich der war, als den sie ihn kannte. So war es auch bei anderen Opferfamilien. Wie konnten sie die jahrelangen Demütigungen, Verdächtigungen und Verleumdungen aushalten, die sie nicht einmal hatten Opfer sein lassen? Ich stellte mir immer wieder die Frage, die man nicht stellen darf, was schlimmer gewesen ist: Der Tod eines geliebten Menschen oder das, was danach den Hinterbliebenen widerfuhr?

Nehmen wir an, dasselbe wäre einem Deutschen weißer Hautfarbe passiert. Unterstellen wir, seine Frau wäre erschossen worden und die Polizei sucht nach Verbindungen der Ermordeten zur terroristischen RAF. Was wäre Ihrer Einschätzung nach anders gelaufen?

Zunächst würde man ihn nicht als Fremden wahrnehmen. Menschen mit Migrationsgeschichte passiert es sehr oft, dass man in ihnen von vornherein den Fremden sieht. In unserem Film sagt die Polizei gleich als erstes: „Wir kennen uns nicht mit Ihrem Kulturkreis aus“. Deshalb wird dann ganz gezielt in diese Richtung gesucht, zum Beispiel in Richtung PKK oder in Richtung Ehrenmord. Dieses Framing, also die Einbettung eines Ereignisses in ein Deutungsmuster, kennen alle Menschen mit Migrationsgeschichte. Wir haben es bei den Vorführungen unseres Filmes erlebt, dass Leute, die selber Rassismus-Erfahrungen haben, ganz anders auf den Film reagieren als solche, die Deutsche weißer Hautfarbe sind. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Bei einem deutschen Weißen, dessen Frau ermordet wird, würde man als Erstes in Richtung einer Beziehungstat ermitteln. Denn der überwiegende Teil sind solche Fälle. Man würde also nicht sagen, Sie sind Mitglied der Linken oder der SPD, deshalb schauen wir, ob es nicht Verbindungen zur RAF gibt (lacht).

Bei Wikipedia kann man lesen, dass Sie sich erfolgreich gegen zwei Polizisten gewehrt haben, die rechtswidrig Ihre Personalien aufgenommen hatten. Was ist da passiert?

Im Osten von Deutschland wird man, wenn man keine weiße Hautfarbe hat, häufiger als andere von der Polizei angehalten und kontrolliert. Das habe ich ein paar Mal über mich ergehen lassen. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, so geht das nicht. Ich habe die Polizisten darauf angesprochen und mir einen Anwalt genommen, der den Prozess durchgefochten hat. Sehr interessant war, dass in dem Prozess herauskam, welche kriminelle Energie die Bundespolizei an den Tag gelegt hat. Die beiden Bundespolizisten, die mich angehalten hatten, wurden aus München und aus Thüringen nach Pirna eingeladen, um ihre Zeugenaussagen mit einander zu besprechen. Das ist höchst kriminell. Sie haben nicht nur ihre Aussagen abgesprochen, sondern sich auch vorher die Berichte über den Vorfall zugeschickt, also voneinander abgeschrieben. Im Film geht es mir aber nicht um einzelne Polizisten, sondern darum, wie durchdrungen das System von strukturellem Rassismus ist.

Und Sie haben gezeigt, dass man sich auch wehren kann.

Das war aber ein langer Prozess. Es hat fünf, sechs Jahre gedauert, bis ich mich dazu durchgerungen hatte. Und das, obwohl ich ein politisch denkender Mensch bin. Diese Vorgänge sind nicht so einfach, dass man sich gleich bei der ersten Kontrolle wehrt. Ich weiß noch, wie einmal in Dresden ein Freund sich zwischen mich und die Polizisten gestellt hat, die mich kontrollieren wollten. Er fragte sie, was sie da machen würden, und wurde selbst angezeigt. Erst fünf Jahre später habe ich das von Ihnen erwähnte Verfahren angestrengt.

Reden wir wieder konkreter über den Film und seine Machart. Was hat sie daran gereizt, Zweifel an der Liebe in einer Situation zu beleuchten, in der der eine Partner bereits tot ist?

Zu jeder Liebe gehören für mich Zweifel, das ist ein normaler und gesunder Prozess einer Beziehung, Es ist ein Film über die Zweifel, die eigentlich jede Liebe kennt, und gleichzeitig über die Zwietracht, die durch staatliche Behörden wie ein Gift injiziert wird – und die damit Ilyas’ Liebe zu Yasemin auf die Probe stellt. Wenn nun einer tot ist, kann er sich natürlich nicht mehr zu den durch die Polizei gesäten Zweifeln verhalten. Ob nun die Liebe diesen Angriff von außen durch den systemischen Rassismus überlebt, sagt etwas über die Stärke der Beziehung aus. Hoffnung ist für mich ein wichtiger Wert. Deshalb ist es für mich wichtig, dass es im Film Zeichen gibt, dass die Liebe siegt, um es einmal kitschig zu sagen. Aber politisch ist es für Ilyas eine Tragödie. Er ist Deutschtürke der dritten Generation, er hat nicht viel mit der Türkei zu tun, kann kaum die Sprache. Er ist ein Berliner. Ilyas muss aber erkennen, dass er sich getäuscht hat, während seine Frau von Anfang an weiß, dass sie beide wegen ihrer Hautfarbe immer Fremde im eignen Land bleiben werden. Der Film endet mit einem dem Triumph einer Liebe, und gleichzeitig zeigt er das gesellschaftliche Versagen.

Stand die Idee, die Liebesgeschichte in Rückblenden zu erzählen, von Anfang an fest? Oder hat sich das im Laufe der Drehbucharbeit beziehungsweise im Schnitt entwickelt?

An sich sind die Rückblenden nicht so meins. Unser Film war episch angelegt. Wir mussten aber unter sehr widrigen Umständen drehen. Deshalb konnte ich nicht alles so umsetzen, wie es im Buch angelegt war. Es war aber von Anfang an geplant, beide Erzählstränge miteinander zu verflechten, aber von der angedachten epischen Erzählweise konnten wir einiges nicht verwirklichen.

Was war Ihnen an der Zeichnung der beiden Hauptfiguren wichtig?

Wenn ich die Figuren etwa in Neukölln verortet hätte, wären sofort bestimmte Bilder im Kopf des Publikums aufgegangen. Oder wenn sie in ärmlichen Bedingungen leben müssten. Dann würde etwas Ähnliches passieren. Es war aber eine bewusste Entscheidung, Ilyas und Yasemin gerade nicht in einer Migration als Problem bedienenden, klischierten Welt zu verorten, sondern ganz normal in der Mittelschicht. Außerdem wollte ich dem Rassismus, der sehr subtil daherkommt, kein Gesicht geben. Zuschaurinnen und Zuschauer, die eine Migrationsbiografie haben, erleben den Bruch im Film viel tiefgreifender und wuchtiger, als Menschen, die diese Erfahrung nicht haben. Denen fehlt quasi eine Art Übersetzung.

Mich hat gewundert, dass sich die männliche Hauptfigur nicht stärker wehrt und sich nicht sofort einen Anwalt nimmt. Gerade weil Ilyas ein erfolgreicher Unternehmer und in der Mittelschicht zuhause ist.

Mit dieser Frage habe ich mich lange beschäftigt und immer wieder anders entschieden. Die Figur Ilyas lebt systemkonform und kann sich nicht vorstellen, dass sich die deutsche Polizei gegen ihn stellt. Er hat ein großes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit. Deswegen dauert es bei ihm ein Jahr, bis er sich emanzipiert und das passiert erst am Ende des Films. Zum Schluss hin begreift er, dass er ein Fremder im eignen Land ist und dass in diesem Land so viel schiefläuft, dass er sich einen Anwalt nehmen muss.

Sie leben in Leipzig. Dort sind rechtsextreme Strömungen sehr stark. Wie wirkt sich das auf Ihren Alltag als Deutscher indischer Herkunft aus?

Leipzig ist eine sehr weltoffene Stadt, im Vergleich zum Rest des Ostens. Das muss man dazusagen. Man lebt in seiner eigenen Blase, man hat seinen Kiez, seine Leute, mit denen man sich trifft. Aber wenn man den Kiez verlässt, wird einem das Fremd- und Anderssein sehr oft widergespiegelt. Das ist in den alten Bundesländern anders. Wenn ich etwa in Saarbrücken oder Dortmund bin, komme ich am Bahnhof oder beim Rewe mit der Verkäuferin problemlos ins Gespräch. Das geschieht mir häufig. Aber das passiert mir im Osten kaum.

Was sind ihre nächsten Projekte?

Ich arbeite an einer Serie, die die 30 Jahre nach der Wende in parallel erzählten Episoden beleuchtet. Außerdem schreibe ich an einer sehr weit fortgeschrittenen Geschichte, die in den 1940er Jahren in Nazi-Berlin spielt. Da geht es um einen indischen Freiheitskämpfer, der sich in eine Wienerin verliebt und mit ihr eineinhalb Jahre in Berlin lebt. Das Drehbuch basiert auf einer realen Geschichte.

Regisseur Kanwal Sethi (© Dirk Wackerfuss)

Zur Person
Kanwal Sethi wurde 1971 im indischen Amritsar geboren. Früh interessierte er sich für Film und Theater. Er gründete eine Theatergruppe und inszenierte an verschiedenen freien Bühnen. 1992 kam er nach Deutschland, um Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der TU Dresden zu studieren. Später zog er nach Leipzig, wo er eigene Bühnenproduktionen umsetzte und mit der Realisierung erster Filmprojekte begann. Nach einigen Kurz- und Dokumentarfilmen entstand 2011 mit Fernes Land sein Spielfilmdebüt. Es thematisiert die Begegnung eines illegal in Deutschland lebenden Pakistani mit einem deutschen Versicherungsvertreter, der seine Heimat verlassen will. Der Film feierte seine Premiere beim Filmfestival Max Ophüls Preis. Sieben Jahre später folgte Once Again – Eine Liebe in Mumbai, der erste Teil einer geplanten Trilogie über das moderne und urbane Indien. Sethis Spiel- und Dokumentarfilme liefen auf internationalen Filmfestivals, unter anderem auch im New Yorker „MOMA“, und gewannen verschiedenen Preise.



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