Die Freude ist groß bei Esther Rosenblum (Darla Contois), als sie sich mit ihrem Freund David (Rowen Khan) verlobt. Die Sache hat jedoch einen Haken: Davids Familie. Diese lässt Esther immer wieder spüren, dass sie keine von ihnen ist. Tatsächlich entstammt sie dem indigenen Volk der Ojibwe, das in der kanadischen Provinz Saskatchewan lebt. Eines Tages erhielt ihre Familie Besuch vom Jugendamt, das spontan beschloss, drei der vier Kinder mitzunehmen. Darunter befand sich auch Esther, die damals noch Bezhig (Keris Hope Hill) hieß. Seither gab es keinen Kontakt, weil die Behörden dies unterbanden und keine Informationen herausrückten. Die drei Kinder landeten bei Pflegefamilien, wo sie neue Namen erhielten. Plötzlich mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, beschließt Esther, sich auf die Suche zu machen und mehr über die ihr unbekannte Familie herauszufinden …
Die wahre Geschichte systematischen Kindesraubs
Wenn arte Donnerstagabend Serien ausstrahlt, darf sich das Publikum darauf freuen, quer durch die Welt zu reisen. Zuletzt gab es da beispielsweise das französische Thrillerdrama Ein Engel verschwindet um ein unglaubliches Verbrechen und wie diese Jahre später noch Folgen hat. Anschließend stand eine Reise zum Iran auf dem Programm, wo wir zwei Schauspielern folgen. Nun geht die Tour weiter und bringt uns nach Kanada. Dieses Mal steht eine indigene Familie im Mittelpunkt, die in den 1960ern auseinandergerissen wird und in Little Bird erst viele Jahre später eine Chance erhält, sich wiederzufinden und die Vergangenheit aufzuarbeiten.
Die Geschichte mag dabei fiktional sein, basiert aber auf wahren Vorkommnissen. Genauer erinnert sie Serie an das sogenannte Sixties Scoop: Von den 1950ern bis in die 1980er hinein nahmen Behörden systematisch Kinder von indigenen Familien und gaben sie weißen Familien aus dem Mittelstand. Wie viele Familien unter dem Deckmantel des Kindeswohls auseinandergerissen wurden, lässt sich nicht genau sagen. Schätzungen gehen von etwa 20.000 Stück aus. Dabei ist Kanada kein Einzelfall: Auch in anderen Ländern wurden vergleichbare Entführungen durchgeführt. Bei Little Bird bleibt dann auch kein Zweifel daran, dass es sich bei diesen Aktionen um Verbrechen handelt. Anfangs bleibt die Serie in der Hinsicht noch etwas ambivalent, wenn das Publikum tatsächlich Zweifel an der Eignung von der Mutter Patti (Ellyn Jade) haben darf. An der Stelle meint man noch, es mit einem Sorgerechtsdrama à la All to Play For zu tun zu haben.
Sehenswert, aber plakativ
Später macht die kanadische Produktion aber sehr deutlich, was von all dem zu halten ist: nichts. Nicht nur, dass die Figuren explizit sagen, wie abscheulich und menschenverachtend diese Politik war. Die Leute, die in der Serie das Jugendamt oder die Polizei repräsentieren, sind zudem sehr einseitig beschrieben. Die Polizei ist brutal, die Frau vom Amt ist arrogant und lässt jede Form von Einfühlungsvermögen vermissen. Überhaupt hat es Little Bird nicht so mit Nuancen. Da ist einiges schon sehr stereotyp, fast schon eine Karikatur. Richtig ärgerlich ist zudem, wie ungeniert manipulativ die Serie streckenweise ist, etwa bei dem Einsatz der aufdringlichen Musik oder Schicksalsschlägen, die geradezu zynisch als Mittel zum Zweck eingesetzt werden.
Das ist schade, weil die Geschichte das so gar nicht gebraucht hätte. Da hätte man sich doch darauf verlassen dürfen, dass das Publikum auch ohne diesen Holzhammer die richtigen Schlüsse zieht. Zumal das Ensemble überzeugt und man ihnen gewünscht hätte, bessere Drehbücher zu bekommen, wenn das hier mal wieder plakativ oder auch willkürlich wirkt. Gerade bei einigen Zuspitzungen muss man nicht verstehen, warum sich die Charaktere jetzt so verhalten. Sehenswert ist die Serie aber auch mit diesen Mankos. So sind da immer wieder Szenen, die einem sehr nahe gehen, sei es bei den tragischen Momenten oder den schönen, wenn es zu einer Annäherung kommt. Die Aufarbeitung dieser oder ähnlicher Verbrechen ist sowieso derart wichtig, dass Little Bird allein deshalb schon angeschaut werden kann. Gerade in Zeiten wieder wachsender Fremdenfeindlichkeit ist ein warnender Verweis auf die Vergangenheit nicht verkehrt.
OT: „Little Bird“
Land: Kanada
Jahr: 2023
Regie: Elle-Máijá Tailfeathers, Zoe Leigh Hopkins
Drehbuch: Jennifer Podemski, Hannah Moscovitch
Musik: Jason Burnstick, Nadia Burnstick
Kamera: Guy Godfree
Besetzung: Darla Contois, Ellyn Jade, Osawa Muskwa, Keris Hope Hill, Lisa Edelstein, Joshua Odjick, Imajyn Cardinal, Braeden Clarke, Janet Kidder, Alanna Bale
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)