Wie gern würde Naima (Novera Rahman) ihrer Familie helfen, die ständig unter Geldsorgen leidet. Doch ihr großes künstlerisches Talent und die ausgeprägte Kreativität reichen nicht aus. Mit den Bildern, die sie malt, kann sie andere zwar erfreuen, Geld lässt sich damit aber nicht verdienen. Dabei bräuchte sie das dringend, als ihr Vater (Naresh Bhuiyan) schwer krank wird und nicht länger arbeiten kann. Also beschließt sie, in die Hauptstadt Dhaka zu gehen und dort eine Arbeit zu suchen. Ihr großer Traum wäre es, wie ihr Vater eine Rikscha zu fahren. Doch das geht nicht, der Beruf ist Männern vorbehalten. Das hält sie aber nicht lange auf. Fortan gibt sich das Mädchen als Junge aus, aus Naima wird Naim …
Ein Mädchen fährt gegen Traditionen an
Manchmal dauert es ein wenig länger. Eigentlich war Rikscha Girl schon 2021 fertig, lief seinerzeit auch auf mehreren Festivals. Zu diesen gehört auch das Schlingel Filmfest, wo das Familiendrama den Hauptpreis gewann, damals noch unter dem Titel Naima, der Rikschajunge. Im Anschluss verschwand die Coproduktion aus Bangladesch und den USA aber in der Versenkung, bevor sie etwas überraschend doch noch regulär in unseren Kinos startet. Das ist eine erfreuliche Nachricht, da doch recht bald klar wird, warum der Film damals die Jury überzeugen konnte. Die Geschichte hat in den letzten drei Jahren nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.
Dabei dürfte sie manchen bekannt vorkommen, selbst einem Publikum, das den Film zum ersten Mal sieht. Geschichten um Mädchen, die sich durch eine patriarchische Gesellschaft bewegen und beweisen müssen, was in ihnen steckt, gibt es schließlich immer mal wieder. Das Mädchen Wadjda ist ein bekannteres Beispiel. Der Film um ein saudi-arabisches Mädchen, das unbedingt Fahrrad fahren möchte, wurde 2012 auf mehreren Festivals gezeigt und gewann ebenfalls Preise. Skater Girl wiederum erzählte von einem Mädchen in einem kleinen indischen Dorf, welches das Skateboardfahren für sich entdeckt. Bei Rikscha Girl ist es ein weiteres Fortbewegungsmittel, mit dem eine junge Protagonistin gegen Traditionen anfährt. Hier ist es eben eine Rikscha.
Zwischen Sozialdrama und Märchen
Wobei es natürlich einen bedeutenden Unterschied bei den drei Fortbewegungsmitteln gibt. Wo die ersten beiden ein Zeichen der Freiheit und der Lebensfreude waren, da ist eine Rikscha ein für wirtschaftliche Zwecke verwendetes Objekt. Es funktioniert auch als Symbol für einen Klassenunterschied, wenn vorne jemand strampelt und hinten Leute sitzen, die sich kutschieren lassen. Das ist ein Thema, das in verschiedenen Variationen immer wieder in dem Film aufkommt. Die Adaption eines Romans von Mitali Perkins macht aus der Rikscha etwas, das auf reizvolle Weise ambivalent ist. Auf der einen Seite wird es für Naima ein Gegenstand, mit dem sie sich selbst ausdrücken kann durch ihre künstlerische Verschönerung und das zudem eine Möglichkeit ist, ihrem Vater nahe zu sein. Gleichzeitig repräsentiert es eine Gesellschaft, in der einige wenige alles haben und der Rest sehen muss, wo er bleibt. Hinzu kommt der Geschlechteraspekt.
Auf diese Weise kommt es bei Rikscha Girl zu einer Reihe von Widersprüchen. Der graue Alltag und die knallbunten Bilder bilden ebenso Kontraste wie die Schichten von reich und arm. Auf der einen Seite hat der Film etwas sehr Lebensbejahendes und Aufmunterndes. Er verschweigt aber auch die hässlichen Aspekte nicht. Kleine Triumphe gehen mit Niederlagen, Demütigungen und Schicksalsschlägen einher, Sozialdrama und Märchen gehen Hand in Hand. Das führt die jüngere Zielgruppe behutsam an eine Welt heran, bei der vieles im Argen liegt, bei der es sich aber dennoch lohnt weiterzumachen und am eigenen Traum festzuhalten. Das ist insgesamt schön, ohne kitschig zu werden. Lediglich die arg primitiven Computeranimationen stechen da negativ hervor.
OT: „Rickshaw Girl“
Land: Bangladesch, USA
Jahr: 2021
Regie: Amitabh Reza Chowdhury
Drehbuch: Naseef Faruque Amin, Sharbari Z. Ahmed
Vorlage: Mitali Perkins
Musik: Debajyoti Mishra
Kamera: Tuhin Tamijul, Niclas Ribbarp
Besetzung: Novera Rahman, Momena Chowdhury, Gulshan Ara Akter Champa, Allen Shubro, Naresh Bhuiyan, Jahangir Alam, Ashok Bepari, Nasir Uddin Khan
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