Souleymane (Abou Sangare) hat einen Traum: Er will in Frankreich ein neues Leben beginnen! Den ersten Schritt hat er geschafft, er ist aus Guinea-Bissau geflohen und schlägt sich nun in Paris durch. Zwei Tage bleiben ihm noch, dann steht das Interview mit den Behörden an, welches darüber entscheiden wird, ob er Asyl bekommt oder nicht. Zu dem Zweck hat er bereits gefälschte Papiere organisiert. Er arbeitet auch fleißig an der Geschichte, die er von seinem Landsmann Barry (Alpha Oumar Sow) gelernt hat und die ihm die Berechtigung für das Asyl verschaffen soll. Doch Souleymane hat seine Probleme damit, sich die Details zu merken. Gleichzeitig steht er unter hohem Druck, da er als Ausfahrer von Essen ständig unterwegs ist und keine Bleibe hat …
Unterwegs mit einem Geflüchteten
Nachdem es einige Jahre ruhig geworden war, ist das Thema Flucht und Migration wieder allgegenwärtig. Nicht nur, dass Parteien und Stammtische besessen davon sind. Auch in Filmen wird es immer wieder aufgegriffen, auf unterschiedlichste Weise. Ob nun der Familienfilm Sieger Sein über eine Nachwuchsfußballerin, die kontroverse Gesellschaftskritik Green Border oder der Science-Fiction-Thriller The Fortress, es mangelt nicht an Beispielen, die sich auf die eine oder andere Weise fiktional mit dem Alltagsphänomen auseinandersetzen. Mit The Story of Souleymane kommt nun ein weiterer Beitrag hinzu, der ein Schlaglicht auf das Thema wirft, das wie kaum ein anderes derart emotionalisiert wird.
Regisseur und Co-Autor Boris Lojkine zieht seine Geschichte anhand einer einzelnen Figur auf, die stellvertretend für die vielen anderen Geflüchteten steht. Souleymane ist dabei immer im Fokus, wortwörtlich. Wir sind immer bei ihm, während er abwechselnd bei der Arbeit ist, eine Schlafmöglichkeit zu organisieren versucht oder mit seinem großen Projekt der Aufenthaltsgenehmigung beschäftigt ist. Dabei hat er natürlich auch mit anderen Menschen zu tun. Da sind beispielsweise Kunden der Lieferdienste oder Leute, die in Behörden arbeiten. Und dann sind da natürlich auch Menschen in The Story of Souleymane, die ihm bei seinen Plänen helfen. Wobei die Grenze zwischen Helfen und Ausnutzen fließend ist. So lässt sich ein Mann, der ihm seinen Account für die Arbeit zur Verfügung stellt, das Ganze gut bezahlen. Das grenzt schon an Sklaverei.
Moralisch ambivalent
Lojkine und seine Mit-Autorin Delphine Agut verurteilen Letzteres. Ansonsten vermeiden sie es aber, zu eindeutig moralisieren zu wollen. So lassen sie es in ihrem Film offen, ob sie das Verhalten ihrer Titelfigur nun gutheißen oder nicht. Auf der einen Seite wecken sie schon Mitgefühl für Souleymane, der sich durch das fremde Land kämpft und der beispielsweise bei dem Besuch bei einem betagten Kunden auch sein eigenes Mitgefühl demonstriert. Gleichzeitig wird aber nie verheimlicht, dass er lügt und betrügt, um in Frankreich bleiben zu können. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter sind da fließend. Er nutzt Schwachstellen im System aus, versucht es zumindest, wird dabei aber selbst regelmäßig ausgenutzt.
Streckenweise ist das spannend, zumal der Film sehr rastlos ist. Vergleichbar etwa zu Julie – Eine Frau gibt nicht auf bleibt der Protagonist nie stehen, ist ständig auf dem Sprung. Ruhemomente sind selten. Allerdings zieht sich die Geschichte im Mittelteil ein wenig, wenn sich Szenen wiederholen und nichts wirklich Neues mehr hinzukommt. Dafür ist das Ende eindrucksvoll, wenn The Story of Souleymane seinem Titel gerecht wird. Das Drama, das bei den Filmfestspielen von Cannes 2024 Premiere feierte, lässt dann das erste Mal hinter den fabrizierten Geschichten die wahre zum Vorschein kommen. Das ist auch dank des Hauptdarstellers effektiv. Abou Sangare, der hiermit sein Schauspieldebüt gibt, gelingt der Wandel von der einstudierten Maske hin zu einem Menschen, der erstmals er selbst sein darf und sein Leben, seine Gedanken und seine Gefühle teilen darf.
OT: „L’histoire de Souleymane“
Land: Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Boris Lojkine
Drehbuch: Delphine Agut, Boris Lojkine
Kamera: Tristan Galand
Besetzung: Abou Sangare, Nina Meurisse, Alpha Oumar Sow, Emmanuel Yovanie, Younoussa Diallo, Ghislain Mahan, Mamadou Barry, Yaya Diallo, Keita Diallo
Cannes 2024
Toronto International Film Festival 2024
Filmfest Hamburg 2024
Zurich Film Festival 2024
Französische Filmtage Tübingen-Stuttgart 2024
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