Die Kunststudenten Una (Elín Hall) und Diddi (Baldur Einarsson) sind seit Kurzem ein Paar. Aber das weiß noch niemand. Vor allem nicht Klara (Katla Njálsdóttir), Diddis langjährige Freundin. Der junge Mann, der mit Una und deren Mitbewohner Gunni (Mikael Kaaber) in einer Band spielt, will es Klara aber sagen, und zwar noch am selben Tag, an dem die Handlung einsetzt. Schon am Abend will er zurück sein und mit Una ein neues Leben beginnen: den Abschluss an der Hochschule machen und erst mal verreisen. Aber alles kommt anders. Diddi stirbt bei einem Autounfall. Klara, die in der Provinz wohnt, fliegt sofort nach Reykjavík. Selbst völlig aufgelöst, versuchen Gunni, dessen Freund Siggi (Gunnar Hrafn Kristjánsson) und die anderen aus der Clique, Klara zu trösten. Nur Una bleibt allein in ihrer Trauer. Denn wie soll sie Klara jetzt sagen, dass deren Freund die Beziehung beenden wollte?
Schönes und Schreckliches
In atmosphärisch dichten Bildern erkundet der isländische Rúnar Rúnarsson ein komplexes Gefühlsgemisch aus Schock, Eifersucht, Wut, Versteckspiel und dem Versuch, sich zusammenzureißen. Lichter ziehen über die ansonsten schwarze Leinwand, eins nach dem anderen. Eine nächtliche Autofahrt wird oft so bebildert, aber hier entfaltet das warme Orange eine suggestive Kraft, schon allein, weil die Szene so lange dauert und sich zu einem surrealen Erlebnis zu verselbständigen scheint. Ein Traum? Eine Vorahnung? Eine Spielerei? Endlich schwenkt die Kamera und kehrt in die Realität zurück. Autos fahren durch einen Tunnel und plötzlich passiert es: Eine gewaltige Explosion lässt eine Feuerwalze auf den vorausfahrenden Wagen zurollen und verschlingt ihn.
Schönes und Schreckliches liegen eng beieinander in Rúnar Rúnarssons viertem Langfilm, der dieses Jahr die Sektion „Un certain Regard“ beim Filmfestival in Cannes eröffnete. Trotz des entsetzlichen Schicksalsschlages fließen nicht nur Tränen in den 24 Stunden, über die sich die Handlung erstreckt. Es gibt menschliche Wärme, Humor, Solidarität und den Trost einer Gruppe, die den Einzelnen nicht im Stich lässt.
Das Besondere an den Filmen des isländischen Regisseurs und seiner Kamerafrau Sophia Olsson ist die ausgefeilte Bilddramaturgie. Fast alles wird hier über Licht, Farben und Landschaften erzählt, das war schon in dem preisgekrönten Sparrows (2015) so. In ihrer aktuellen Arbeit ergänzen sie ihr Konzept durch viele ungeschnittene Sequenzen, die das Publikum nahe an die gefilmte Realität heranrücken, es quasi mitten in die Schauplätze und die Freundesclique hineinversetzen. Dabei nimmt die Kamera fast immer die Perspektive von Una ein. Oft bleibt sie nah an deren Gesicht, und selbst wenn sie die junge Frau von hinten zeigt, meint man zu wissen, was sich gerade in ihren Augen abspielt.
Hauptdarstellerin Elín Hall (Let Me Fall, 2018) verleiht ihrer Figur etwas Unnahbares und zugleich Durchlässiges. Mit ihrer gegelten, streng gescheitelten Kurzhaarfrisur wirkt sie manchmal wie ein Junge – ein Eindruck, der sich durch Lederjacke und Oversize-Hose verstärkt. Der Look der Kunststudentin verströmt etwas Fluides. Gegen die Behauptung, sie sei lesbisch, wehrt sie sich mit der entschiedenen Klarstellung, sie sei bisexuell. Durch ihre überzeugende Darstellung zieht Elín Hall das Publikum in eine existenzielle Reise ins Innere des menschlichen Daseins hinein, ohne äußere Dramatik, aber tief empfunden, nuancenreich und in jeder Einstellung so authentisch wie das echte Leben.
Wie in „Persona“
Dabei ist die Machart des Films alles andere als dokumentarisch. Leichte Veränderungen des Lichts spielen eine ebenso große Rolle wie kunstvoll inszenierte Spiegelungen. Doppelbilder und Reflexionen gipfeln in der vielleicht schönsten Szene des Films: Una steht im Garten eines Hauses und raucht, die Kamera zeigt sie von hinten. Plötzlich taucht Klara hinter der Scheibe auf, die Una gegenüber steht und sie betrachtet. Dann dreht sich Una um und beide Gesichter schieben sich übereinander, das vor dem Glas und das dahinter. Sie verschmelzen zu einem einzigen Antlitz, das Züge von beiden enthält, wie in Ingmar Bergmans Persona (1966). Klara lächelt, und Una lächelt zurück – ein Wendepunkt in der schwierigen Beziehung der beiden, die einst Konkurrentinnen waren und nun gemeinsam trauern. Es gibt ein paar weitere optische Highlights in der ausgefeilten Stilistik, die von ihrer Vieldeutigkeit lebt. Aber der Film brennt keineswegs ein Feuerwerk visueller Einfälle ab, sondern setzt sie wohltuend sparsam ein, wie einzelne Raketen, die Höhepunkte setzen.
Neben seinen universellen Themen ist When the Light Breaks selbstverständlich auch ein Film über das Erwachsenwerden. Eine Gruppe junger Leute Mitte 20 wird auf schockhafte Weise mit der Härte des Lebens konfrontiert. Als Coming-of-Age ist der Film des Isländers aber insofern untypisch, als er keineswegs nostalgisch von einer Zeit der Unschuld träumt. Die Zukunft scheint außergewöhnlich optimistisch durch die Tragik der Gegenwart – fast so zauberhaft, wie das spätsommerliche Licht des Nordens die 24 Stunden im Leben junger Leute durchdringt, für die danach nichts mehr so ist wie zuvor.
OT: „Ljósbrot“
Land: Island, Niederlande, Kroatien, Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Rúnar Rúnarsson
Drehbuch: Rúnar Rúnarsson
Musik: Jóhann Jóhannsson
Kamera: Sophia Olsson
Besetzung: Elín Hall, Mikael Kaaber, Katla Njálsdóttir, Baldur Einarsson, Gunnar Hrafn Kristjánsson, Ágúst Wigum
Cannes 2024
Filmfest München 2024
Toronto International Film Festival 2024
Schlingel 2024
Zurich Film Festival 2024
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