Zwei Themen sind es, bei denen es traditionell hieß, man solle sie bei Familienfeiern besser nicht ansprechen: Politik und Religion. Ersteres scheint heute wahrer denn je zu sein. Inzwischen gleicht das einem Minenfeld, wenn auf einmal viele Teilbereiche so hoch emotionalisiert sind, dass man praktisch gar nicht mehr über sie sprechen kann. Bei Religion sieht es etwas anders aus. Während Islam und Judentum wieder verstärkt Anlass zu Diskriminierungen geworden sind, spielt der Glauben an sich für einen Großteil keine große Rolle mehr. Immer weniger Menschen in Europa bezeichnen sich noch als gläubig, in Deutschland haben beide christliche Kirchen mit einem massiven Verlust an Relevanz zu kämpfen. Die Mitgliederzahlen sinken seit einiger Zeit kontinuierlich.
Eine Familie diskutiert über Gott
Das bedeutet aber nicht, dass das Thema deswegen kein Konfliktpotenzial mehr hat. Ein sehenswertes Beispiel hierfür ist Zwischen uns Gott, ein österreichischer Dokumentarfilm, der gerade von einem Festival zum nächsten weitergereicht wird. In diesem bringt Regisseurin Rebecca Hirneise mehrere Verwandte zusammen und lässt sie über ihren jeweiligen Zugang zur Religion sprechen. Dabei ist das ganze Spektrum dabei: Während manche wenig mit dem Glauben anfangen können, zwischen Skepsis und Ablehnung schwanken, bedeutet er für andere einen festen Teil ihres Lebens und ihrer Identität. Ich glaube, also bin ich. Die Vorstellung, dass es keinen Gott geben könnte, ist für sie so ungeheuerlich, dass sie das nicht einmal in Betracht ziehen wollen.
Wenn derart unterschiedliche Überzeugungen und Lebensentwürfe unter einem Dach zusammenkommen, bleiben Meinungsverschiedenheiten nicht aus. Tatsächlich wird hier schon bald kräftig diskutiert. Dabei wird das hier nicht zu einem dieser heftigen Beschimpfungsorgien, wie man sie aus dem Trashfernsehen kennt, wo die Menschen zur Schau gestellt werden. Das will hier niemand, weder Hirneise noch die Verwandten. So versuchen sie schon, höflich und respektvoll miteinander umzugehen. Zwischen uns Gott zeigt keine dysfunktionale Familie, wo ein wechselseitiger Angriff notwendig oder gewollt ist. Sie wollen einander nichts Böses, der Ton ist an manchen Stellen fast schon entschuldigend.
Persönlich und universell zugleich
Und doch: Je mehr sie sich miteinander unterhalten, umso häufiger kommt es zu Reibungen und Kontrasten. Dabei geht es nicht allein darum, wer glaubt und wer nicht glaubt. Vielmehr werden existenzielle und philosophische Fragen gestellt. Da geht es beispielsweise darum, wie anmaßend es sei, bestimmen zu wollen, wem Gott den Weg in den Himmel verwehren könnte – und aus welchem Grund. Können Menschen überhaupt wissen, was der Wille Gottes ist? Ist eine Religion, die das von sich behauptet, nicht grundsätzlich verkehrt, ein Widerspruch in sich? Zwischen uns Gott liefert auf diese Weise auch beim unbeteiligten Publikum einige Denkanstöße, die es aufgreifen kann. Ein Interesse fürs Thema wird dabei natürlich schon vorausgesetzt. Wer darauf beharrt, dass es einen Gott gibt oder nicht gibt, wird mit den Diskussionen weniger anfangen können.
Wobei diese Zuschauer und Zuschauerinnen zumindest von komplexen Dynamiken innerhalb einer Familie erfahren. Bei Zwischen uns Gott kommen die besagten allgemeinen Überlegungen und persönliche Geschichten zusammen. Meinungsverschiedenheiten entstehen nicht allein aus dem Thema an sich, sondern auch aus dem Biografischen. Wenn sich eine der Frauen beispielsweise immer ausgestoßen fühlte, weil sie nicht dem Glauben folgte, den man ihr aufzwingen wollte, dann hört man in der Stimme eine Verletzung, die nie aufgehört hat. Zumindest manchmal haben diese Begegnungen auch etwas Therapeutisches. Wirklich definitive Antworten gibt es bei dem Dokumentarfilm erwartungsgemäß nicht. Und doch ist er sehenswert und zeigt, dass es sich manchmal lohnt, über vermeintliche Tabuthemen zu sprechen.
OT: „Zwischen uns Gott“
Land: Österreich
Jahr: 2024
Regie: Rebecca Hirneise
Drehbuch: Rebecca Hirneise, Philipp Diettrich
Kamera: Tilmann Rödiger
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