Das 2019 in Mumbai gegründete Nama Filmcollective, eine Zusammenarbeit zwischen indischen und europäischen Filmschaffenden, begleitet die indische Ober- und Unterschicht während der Wahlen im Jahr 2019. Der Dokumentarfilm startet wie ein Sportdrama aus den 80er Jahren, mit Aufnahmen aus früheren Jahren, einer groovigen Musik im Hintergrund und einem Erzähler, der sich erstmal vorstellt. Ohne jedoch seinen Namen zu nennen oder sich vor der Kamera richtig zu zeigen. Der Erzähler, der gleichzeitig auch der Dokumentarfilmer ist, führt die Zuschauer erstmal in die Zeit von Mahatma Gandhi zurück und sagt stolz, dass Gandhis Traum von Indien, als ein Land mit vielen Religionen, Wirklichkeit geworden war. Das war vor allem für Kinder ein Grund zur Freude, weil das Schuljahr mit religiösen Feiertagen vollgestopft war, wie er sagt. Kinder in Indien wuchsen also schon mit verschiedenen Feiertagen, wie Diwali, Holi, Weihnachten und Eid, dem islamischen Opferfest auf, und nahmen auch etwas von allen Festlichkeiten mit. Don’t Worry About India startet für eine Dokumentation also wirklich erstmal ziemlich bunt und spektakulär, sodass man direkt hängen bleibt.
Persönliche Geschichte
Der Erzähler nimmt uns anschließend mit in die eigene Familiengeschichte. Seine Eltern waren die erste Generation, die im Unabhängigen Indien aufgewachsen ist. Indien hat sich aus der Kolonialherrschaft befreit und wurde zu einem demokratischen Land. 1952 gab es die ersten Wahlen. Bei den Rückblicken werden abwechselnd Familienfotos und Filmmaterial aus früheren Jahren eingeblendet, was die Geschichte neben der eigentlichen Kameraführung noch abrundet. Die Doku ist allgemein auch vom Bild her sehr hell und bunt dargestellt, was sehr angenehm ist. Nach der Highschool zog der Filmemacher mit seiner Familie dann in die USA, damit er und seine Schwester eine gute Ausbildung erhalten. Zu der Zeit war Demokratie in Indien noch heilig.
Als seine Eltern Jahre später nach Indien zurückkehren wollen, scheint sich daran auch nichts geändert zu haben, als der neue Premierminister Narendra Moodi auf der Bildfläche erscheint und die Demokratie noch stark verankert ist. Hier fängt die Geschichte bereits an ein wenig zu wanken. Denn bis hierhin scheint in Indien alles prima zu sein und Moodi wie ein Filmstar gefeiert und verehrt zu werden, was sich dann scheinbar schnell ändert, ohne dass man das richtig mitbekommt. Offenbar wird sich an dieser Stelle nicht getraut näher darauf einzugehen.
Als die Wahlen vor der Tür stehen, beschließt der Filmemacher gerade, seine Familie in Indien zu besuchen und eine Doku zu drehen. Einen Heimatfilm während des Wahlkampfes. Er möchte Mitglieder seiner Familie und deren Angestellten filmen, sie bei ihrer Arbeit, oder in ihrem privaten Alltag begleiten und dabei interviewen. Wobei die Interviews manchmal auch aus einfachen Momentaufnahmen bestehen, in denen entweder nichts gesagt wird oder sie gefragt werden, welche Partei sie wählen möchten.
Das Interview mit Ram, dem Caddy der Familie, bleibt jedoch besonders im Gedächtnis. Es geht um Korruption und die Tatsache, dass sich das vermutlich auch nie ändern wird. Als er gefragt wird, warum, lautet seine Antwort: „Ohne Geld bist du niemand in Indien. Im Leben geht es hier um Klassenunterschiede.“ Die Korruption würde sich nur ändern, wenn Politiker und die Polizei ehrlich wären. Die Reise des Erzählers hat in Delhi begonnen und obwohl es in seinem Film eigentlich um Politik geht, bekommt man auch gleich eine Art Reisevlog vorgelegt. Ein paar sehenswerte Panorama-, Strand- und Naturbilder, die den Film schön abrunden. Weniger schön anzusehen ist manchmal, wenn einzelne Personen wirklich während des Badens gefilmt werden und sich sein Onkel, nur im Lendenschurz gekleidet, wirklich breitbeinig vor die Kamera setzt.
Zwischen Hoffnung und Sorge
Der Filmemacher macht eine Art Roadtrip, während er verschiedene Familienmitglieder oder ehemalige Hausangestellte besucht und eine Art Reise in die Vergangenheit unternimmt, in dem er sich gleichzeitig mit seiner Familiengeschichte auseinandersetzt. Im Heimatdorf seiner Großeltern stellt sich dann zum Beispiel heraus, dass diese eigentlich keine Bauern waren. Als Familie der oberen Kaste hatten sie andere, die für sie arbeiteten. Im Dorf sind es immer noch die Familien der unteren Kaste, die die harte Arbeit leisten, während die obere Kaste den Profit macht. Eine Erkenntnis, die dem Erzähler sehr zu denken gibt. Gerade in diesen Szenen merkt man besonders, wie sehr der Filmemacher mit der Situation in Indien hadert und sich ernsthafte Sorgen, um die Entwicklung seines Heimatlandes macht, „Das neue Indien“.
Spätestens hier, hat man den Eindruck, dass man etwas verpasst haben könnte, da die Stimmung von hochgelobter Demokratie auf einmal zu Kritik und Sorge umschwenkt. Auf einmal ist Schluss mit Offenheit und Vielfalt, denn jetzt soll Indien rein hinduistisch werden. Und Premierminister Moodi, der erst noch als Spitzenkandidat gefeiert wird, am Ende doch das eigene Land und die Demokratie eher zu zerstören scheint. Aber detailliert darauf eingegangen wird hier leider nicht. Viele, vor allem junge Menschen, gehen nach den Wahlen dann aber mutig auf die Straßen und lehnen sich gegen das Regime auf, weil sie ihr vertrautes Indien zurück wollen. Das Indien, wo Vielfalt gerne gesehen ist und Hindus und Moslems friedlich miteinander leben.
OT: „Don’t Worry About India“
Land: Schweiz, Deutschland, Indien
Jahr: 2024
Regie: Nama Filmcollective
Drehbuch: Nama Filmcollective
Musik: Michael Sauter
Kamera: Rasmus Arrildt
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