Ein neues Leben Gadeha: A Second Life
© Landfilm Verleih

Ein neues Leben (2022)

„Ein neues Leben“ // Deutschland-Start: 20. Juni 2024 (Kino)

Inhalt / Kritik

Als Gadeha (Yassine Tormsi) und seine Freunde vor der Polizei fliehen, wird der 12-jährige Junge in einen Autounfall verwickelt und muss ins Krankenhaus. Doch was nun? Seine Familie hat kein Geld, um die Behandlung zu zahlen. Seitdem der Vater vor einigen Jahren abgehauen ist, muss sich seine Mutter (Dorsaf Ouertatani) allein um ihn kümmern. Es reicht hinten und vorne nicht. Zu Gadehas Glück nehmen sich aber Moez (Jamal Laroui) und Malika (Chema Ben Chaabene) seiner an, übernehmen die Kosten für die Operation. Im Anschluss darf er sogar mit seiner Familie zu den beiden ziehen, wo er auch Oussama (Ahmed Zakaria Chiboub) kennenlernt, ihren elfjährigen Sohn, der ebenfalls gerade eine Operation hinter sich gebracht hat. Die beiden freunden sich an. Und doch liegt ein Schatten über dieser Freundschaft …

Spiegel der tunesischen Gesellschaft

So richtig oft kommen tunesische Filme nicht hierher. Auch wenn in dem afrikanischen Land durchaus zahlreiche Titel produziert werden, oft im Rahmen internationaler Coproduktionen, in Deutschland sind diese nur selten anzutreffen, zumindest im Rahmen eines regulären Kinostarts. Meist ist man auf den Besuch von Filmfesten angewiesen. Aber es gibt Ausnahmen. Vor einigen Monaten war da beispielsweise der Dokumentarfilm Olfas Töchter über eine Familie, bei der zwei von vier Töchtern sich der Terrororganisation Islamischer Staat angeschlossen haben. Ganz so heftig wird es bei dem Spielfilm Ein neues Leben nicht. Aber auch hier vermischen sich persönliche Schicksale und gesellschaftliche Missstände zu einem sehenswerten Gesamtpaket, wenn eine Familie zum Spiegel des Landes wird.

Dabei dauert es eine Weile, bis die eigentliche Geschichte klar wird. So sieht es anfangs danach aus, dass Regisseur und Co-Autor Anis Lassoued stärker an einer Art Milieuporträt interessiert ist. Anfangs sehen wir Gadeha und seine Freunde, wie sie durch die Straßen streifen und ein Smartphone klauen. An anderen Stellen sehen wir die Machoallüren der Heranwachsenden, die Frauen als Objekte wahrnehmen. Das wird sich auch später noch einmal spiegeln, da die Mutter des Protagonisten ebenfalls von ihrem Mann unterdrückt wurde. Der Junge weiß davon natürlich nichts, will es vielleicht auch nicht wissen. Ein neues Leben beschreibt ihn als jemanden, der seinen Vater anhimmelt, ein Bild von diesem gebaut hat, was nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmt, an dem er jedoch festhält. Schließlich bietet ihm dieses Orientierung in einer Welt, in der vieles nicht wirklich läuft.

Zwischen Hoffnung und Abgrund

Geschlechterbilder sind jedoch eher ein Nebenaspekt in der Geschichte. Von größerer Relevanz ist in Ein neues Leben die Trennung von Arm und Reich. Wenn Gadehas Familie bei der reicheren einzieht, prallen zwei Welten aufeinander. Das zeigt sich beispielsweise an den Tätigkeiten der Jungen. Während der Protagonist nichts hat, vergnügt sich Oussama mit Bogenschießen. Dabei kommt es zu einer Annäherung. So unterschiedlich die beiden Jungen sind, für einen Moment zumindest werden sie zu einem Symbol dafür, dass sich Gräben überwinden lassen. Dass es vielleicht einen Ausweg gibt. Doch die Wahrheit sieht wie erwartet anders aus. Von Anfang an darf das Publikum misstrauisch sein, was es mit dieser anderen Familie auf sich hat. Später wird sich das Misstrauen bestätigen, die Auflösung bringt die gesellschaftlichen Fehlstellungen vielmehr auf die Spitze.

Die Geschichte selbst ist dabei natürlich schon sehr dramatisch, befasst sich weniger mit einem Alltag als vielmehr einer extremen Situation. Umgesetzt ist das Ganze jedoch recht zurückhaltend. Zwischendurch sind immer wieder Passagen dabei, die geradezu dokumentarisch wirken. Diese profitieren dann auch von dem natürlichen Spiel des Nachwuchsdarstellers Yassine Tormsi, der fast immer im Mittelpunkt steht. Schließlich wird Ein neues Leben durch seine Augen erzählt, das Publikum taucht an seiner Seite in die porträtierte Welt ein. Diese ist hart, an manchen Stellen kaum zu ertragen. Aber es gibt sie, die kurzen Momente des Glücks, die inmitten des täglichen Kampfes Hoffnung auf eine Zukunft machen, so fern diese zuweilen auch wirken mag.

Credits

OT: „Gadeha: A Second Life“
Land: Tunesien
Jahr: 2021
Regie: Anis Lassoued
Drehbuch: Chema Ben Chaabane, Anis Lassoued
Kamera: Amine Messadi, Adonis Nadhem Romdhane, Moez Chaabane
Besetzung: Yassine Tormsi, Ahmed Zakaria Chiboub, Jamel Laroui, Chema Ben Chaabene, Dorsaf Ouertatani, Anissa Lotfi, Lilia Zaidi, Mohamed Margua

Bilder

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Ein neues Leben (2022)
fazit
„Ein neues Leben“ erzählt von einem tunesischen Jungen, der zusammen mit seinem Umfeld zum Spiegel für das ganze Land wird. Das ist sehenswert, auch wenn die Geschichte schon hart ist und schwere Themen wie Geschlechterbilder und die Schere zwischen Arm und Reich angesprochen werden.
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