Als Anwalt ist François Schaar (Daniel Auteuil) gefragt, steht immer wieder suchen die Medien die Nähe zu ihm. Vor allem sein aktueller Fall, bei dem er zwei Mädchen vertritt, die Opfer eines Sexualverbrechens wurden, verschafft ihm wieder jede Menge Aufmerksamkeit. Doch es ist eine andere Geschichte, die sein Leben ins Wanken bringt. Eine lang zurückliegende Geschichte. Seine Frau Astrid (Emmanuelle Devos) hat dazu geschwiegen, um die Familie zusammenzuhalten. Aber ausgerechnet Sohn Raphaël (Matthieu Galoux) fängt an Fragen zu stellen und sorgt für einen Konflikt, bei dem kein Schweigen mehr möglich ist …
Inspiriert von einem wahren Verbrechen
An neuen True-Crime-Produktionen mangelt es nicht gerade. Ob es nun von einem Ensemble gespielte Fassungen sind oder dokumentarische, als Film oder Serie – ständig werden neue Titel veröffentlicht. Vor allem Netflix ist bekanntlich sehr dafür offen, mit vergangenen Verbrechen ein Publikum anlocken zu wollen. Mit Ein Schweigen kommt nun auch mal wieder ein Spielfilm in die deutschen Kinos, der auf einem solchen zurückliegenden Verbrechen basiert. Dabei handelt es sich zwar um keine direkte Adaption der Ereignisse. Die europäische Coproduktion ließ sich jedoch von der sogenannten Hissel-Affäre inspirieren, bei der ein renommierter, bekannter Anwalt auf einmal selbst ins Kreuzfeuer geriet und verborgene Seiten ans Licht kamen.
Dass hier etwas im Argen liegt, ist dabei kein Geheimnis. Von Anfang an streut Regisseur und Co-Autor Joachim Lafosse Hinweise, dass in der Familie einiges kaputt ist. Die Risse sind offensichtlich. Nur was genau dahintersteckt, das wird erst nach und nach enthüllt. Das ist alles recht ominös: Wer nicht die Hintergründe kennt, kann hier zunächst nur mutmaßen, was Sache ist, zumal die Erzählung nicht linear erfolgt. Dennoch ist Ein Schweigen kein Krimi, bei dem das Publikum groß raten und über das Vergangene nachdenken soll. Die Spurensuche ist spartanisch. Die Polizei ist zwar da und geht einem Fall nach, bekommt in den rund 100 Minuten aber wenig zu tun. Es kommt keine Spannung in dem Sinn auf, wie man sie von einem Genrevertreter vielleicht erwarten würde, wenn sich die Ereignisse zuspitzen.
Unterkühlt und nachdenklich
Ein Manko ist das aber nicht unbedingt. Lafosse, der sich mit Filmen wie Die Ökonomie der Liebe (2016) oder Die Ruhelosen (2021) als genauer Beobachter zwischenmenschlicher Dynamiken etabliert hat, ist erneut in erster Linie an den Figuren interessiert. Was macht es mit der Familie, wenn die alte Geschichte ausgepackt wird? Und wie viel lässt man selbst zu, nur um einen äußerlichen Frieden zu bewahren? Auch wenn der Anwalt derjenige ist, um den sich alles dreht, ist er über weite Strecken doch nur eine Nebenfigur. Vielmehr befasst sich das Drama mit der Ehefrau, die sich ihrer eigenen Verantwortung stellen muss, sowie dem Sohn, der in dem aufkommenden Sturm seine eigene Position zu suchen versucht. Einfach ist das nicht, da er als einziger keine Ahnung hat, worum es überhaupt geht.
Der Film, der auf dem San Sebastian Film Festival 2023 Premiere feierte, ist daher in mehrfacher Hinsicht tragisch: Es gibt direkte Opfer und indirekte Opfer. Und es gibt eben diese Grauzonen, bei denen nicht klar ist, ab wann jemand ein Täter ist. Antworten darauf geben Lafosse und sein Co-Autor Thomas Van Zuylen (Omen), da es ihnen mehr um die Fragen geht. Darum auch, Diskussionen anzustoßen. Das macht Ein Schweigen zu einem schwierigen und zugleich lohnenswerten Film, der mehr zu bieten hat als viele dieser True-Crime-Produktionen, die auf Nervenkitzel oder Sensationsgier abzielen. Dafür ist das hier viel zu ruhig und distanziert, ein betont unterkühltes Drama, das nach und nach alles seziert und das Publikum mit diesen Häppchen alleine lässt.
OT: „Un Silence“
Land: Belgien, Frankreich, Luxemburg
Jahr: 2023
Regie: Joachim Lafosse
Drehbuch: Joachim Lafosse, Thomas Van Zuylen
Musik: Ólafur Arnalds
Kamera: Jean-François Hensgens
Besetzung: Daniel Auteuil, Emmanuelle Devos, Matthieu Galoux
San Sebastian Film Festival 2023
Französische Filmtage Tübingen Stuttgart 2023
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