Die Welt hat sich stark verändert: Die Menschen sind verschwunden, deren Gebäude zerfallen zunehmend. Aber auch die Tierwelt hat mit dieser veränderten Situation zu kämpfen. Als eine Katze unterwegs ist, auf der Suche nach Nahrung, trifft sie auf eine Gruppe von Hunden, denen sie einen Fisch stibitzt – und im Anschluss kreuz und quer verfolgt wird. Dabei haben sie bald ganz andere Probleme, als der Wasserspiegel plötzlich kräftig steigt und selbst die bislang trockenen Gebiete keinen Schutz mehr bieten. Als die Katze und einer der Hunde gemeinsam mit einem Boot fliehen, treffen sie nach und nach auf weitere Tiere. Wenn sie heil aus der Sache herauskommen möchten, bleibt ihnen nichts anderes übrig als zusammenzuhalten …
Kooperatives Animationsabenteuer
Animationsfilme sind zumindest bei den größeren Studios richtige Ereignisse. Jahrelang wird dann an den Werken gearbeitet, teilweise sind es mehrere Hundert Leute. Die Budgets sind inzwischen auch nicht bedeutend geringer als bei Hollywoodproduktionen. Manche Filme kosten inzwischen bereits mehr als 200 Millionen US-Dollar. Aber es geht auch anders, wie das Beispiel Gints Zilbalodis zeigt. Als 2019 sein erster Langfilm Away – Vom Finden des Glücks erschien, war der über weite Strecken ein reines Solowerk. Der lettische Filmemacher inszenierte und schrieb das Drehbuch, komponierte die Musik und machte auch die Animation ganz allein. Und doch konnte sich das leicht surreale Abenteuer sehen lassen, erzeugte eine ganz eigene Atmosphäre und wurde hierfür mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Entsprechend groß war die Neugierde, wie es bei seinem zweiten Langfilm Flow weitergehen würde.
Auf den ersten Blick sind sich die beiden Werke sehr ähnliche. Erneut geht es darum, wie Figuren durch eine Welt streifen, die fast völlig leer ist. Erneut verzichtet Zilbalodis auf jegliche Dialoge. Anders als etwa bei Disney-Zeichentrickfilmen, wo Tiere sehr vermenschlicht werden, sind diese hier nach wie vor Tiere und verhalten sich wie solche. Dass aus dem einzelnen Menschen, der bei Away nach der Bruchlandung umherirrte, Katze, Hund und sonstige Vertreter der Fauna wurden, ist der erste größere Unterschied zwischen den beiden Werken. Der zweite ist, dass die einzelnen Figuren hier zusammenarbeiten müssen. Ging es beim letzten Mal noch darum, sich allein durchzuschlagen, was mit dem Gefühl von Einsamkeit einherging, da ist Flow vom Gedanken einer Kooperation geprägt. Und das auch hinter den Kulissen, wenn sich Zilbalodis bei mehreren Punkten wie Musik und Drehbuch Hilfe von anderen holte.
Atmosphärisch und wundersam
Der Film ist dann auch eine Aufforderung zu mehr Miteinander. Das ist jedoch so ziemlich das Einzige, was er recht deutlich ausformuliert. Wie schon bei Away verzichtet der Filmemacher darauf, Kontexte oder Erklärungen zu liefern. Was beispielsweise mit den Menschen geschehen ist, das bleibt völlig offen. Schon vor der großen Flut scheinen alle verschwunden zu sein. Auch die Gründe für die Flut werden nicht genannt: Sie ist urplötzlich da. Ob sie das Ergebnis eines menschengemachten Klimawandels ist oder doch eine zufällige Naturkatastrophe? Das Publikum erfährt es nicht. Auch eine spätere Stelle in Flow wird Fragen aufwerfen, wenn die Geschichte auf einmal in eine spirituelle Richtung geht und das Mystische noch stärker betont wird. Wer gerne rätselt, bekommt bei diesen Szenen bzw. allgemein einiges zu tun.
Man kann sich aber auch allgemein nur unterhalten lassen. So führt das Miteinander der Tiere immer mal wieder zu komischen Situationen, ohne deswegen gleich zu einem Slapstick à la Pets zu werden. Andere Momente gehen zu Herzen oder sorgen für Spannung, wenn die Figuren diverse Gefahren überwinden müssen. Das kann zuweilen überraschend düster werden. Vor allem aber ist das Animationsabenteuer, das 2024 bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere feierte, wieder sehr atmosphärisch geworden. Gerade das Gefühl, durch eine verlassene Welt zu reisen, an den Überbleibseln der Menschheit dabei, bringt eine ganz eigene Stimmung mit sich. Optisch Flow hält die Waage aus realistischen und stilisierten Elementen, ist weniger comichaft als der Vorgänger, aber doch noch eigen genug, um in der Flut an computergenerierten Animationsfilmen hervorzustechen. Einziger Wermutstropfen ist, dass es im Anschluss wohl wieder einige Jahre dauern wird, bevor es einen weiteren Film von Gints Zilbalodis geben wird. Bis dahin lädt er aber auf eine wundersame Reise an, die sein ohnehin schon beeindruckendes Debüt noch einmal übertrifft.
OT: „Flow“
Land: Lettland, Frankreich, Belgien
Jahr: 2024
Regie: Gints Zilbalodis
Drehbuch: Matiss Kaza, Gints Zilbalodis
Musik: Gurwal Coïc-Gallas, Gints Zilbalodis
Cannes 2024
Annecy 2024
Toronto International Film Festival 2024
Zurich Film Festival 2024
Animation Is Film Festival 2024
Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg 2024
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