Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit
Szenenbild aus dem Dokumentarfilm "Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit" der Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck(© farbfilm verleih)

Hans Block / Moritz Riesewieck [Interview]

Die Regisseure Moritz Riesewieck und Hans Block (© Konrad Waldmann)

In dem Dokumentarfilm Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit (Kinostart: 20. Juni 2024) nehmen sich die beiden Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck des Themas künstliche Intelligenz an. Dabei konzentrieren sie sich auf solche, die mittels gesammeltem Material Abbilder von realen Menschen erschaffen, gerade auch solchen, die bereits verstorben sind. Doch was ist davon zu halten? Wir haben uns mit den beiden im Rahmen des DOK.fest München 2024 über ihre Vorgehensweise und die Gefahren einer solchen Technik unterhalten.

Der Name der Künstlergruppe Laokoon spielt ja auf die Geschichte des Trojanischen Krieges und ihr habt mehrfach in Interviews gesagt, dass Technologie ein trojanisches Pferd sein kann. Inwiefern trifft dies auch auf Künstliche Intelligenz zu?

Hans Block: Künstliche Intelligenz wird selbst von ihren Schöpfern immer wieder als eine Blackbox bezeichnet und damit wären wir ja schon sehr nahe am Trojanischen Pferd. Der Unterschied ist, dass die Trojaner bekanntlich unterschätzten, was dieses Geschenk verbirgt, während es bei Künstlicher Intelligenz sich so verhält, dass viele Menschen bestimmte Ideen, was sie leisten kann, auf sie projizieren. Genau das ist aber nicht der Fall, wie selbst hochrangige KI-Forscher und -Entwickler zugeben müssen. Sobald es sich um eine generative KI handelt, macht die ihr Ding, wie man so schön sagt, und entzieht sich damit jeglicher Kontrolle. Dieser Standpunkt zieht zwei Probleme nach sich. Zum einen gibt man die Verantwortung für die Folgen ab und zum anderen verklären sie die KI noch weiter. KI kann tatsächlich irgendwann ein Bewusstsein haben, wird uns prophezeit, wobei die Wahrheit ist, dass KI statistischen Wahrscheinlichkeiten gehorcht. KI wertet Vergangenes aus, da gibt es nichts Magisches und ein Wunder ist es schon einmal gar nicht.

Moritz Riesewieck: Jetzt sind wir in einer Situation, in der Firmen in KI investieren und erwarten, dass sie auch auf Neues reagieren kann. Ein Mensch ist das Produkt vieler Erfahrungen innerhalb seines sozialen Umfeld, doch bei einer KI hat jemand zu Beginn eine Entscheidung getroffen, wohin sich diese entwickeln soll. Wenn dies nach einem Zufallsprinzip stattfand, hat dies nichts mit menschlicher Entwicklung zu tun. Das ist spätestens der Moment, wenn man KI kritisch betrachten sollte. KI ist und bleibt ein Taschenspielertrick. In unseren Filmen und die Projekte, die wir bei Laokoon betreuen, wollen wir diese Tricks enttarnen. Genauso wie gefährliche Mythen, die einen in die Irre führen.

Ich kann mir vorstellen, dass speziell Facebook und andere soziale Medien sicherlich sehr kritisch auf The Cleaners reagiert haben und vielleicht eine ähnliche Reaktion auch bei Eternal You kommen wird, wenn man bedenkt, dass Tech-Riesen wie Google und Amazon schon ihre Fühler nach diese Technologie ausgestreckt haben. 

Moritz Riesewieck: Bei The Cleaners war es so, dass der Film tatsächlich auf dem Facebook Campus gescreent wurde und auch im EU-Parlament. Wir haben durch unsere Arbeit einen Beitrag zur Regulierung von Social Media gemacht, was uns beiden sehr wichtig ist. Im Falle von Eternal You ist es noch zu früh, da was zu sagen. Abgesehen von ChatGPT und Open AI-Gründer Sam Altman haben wir uns in erster Linie auf eine Reihe von Start-Ups konzentriert, wobei sich der Gründer von Project December, den wir interviewt haben, bereits vehement verteidigt hat nach dem Screening. Er meinte, die Menschen würden doch wissen, dass es nicht ihre verstorbenen Angehörigen seien, mit denen sie sich teilweise jeden Tag und über mehrere Stunden unterhalten. Wenn sie doch daran glauben würden, dann sei das ihre Unzulänglichkeit oder Naivität. Dem widersprechen wir natürlich vehement. Das sind extrem vulnerable Menschen, die sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden. Da kann man nicht die Erklärung anwenden, es sei wie bei einer Küchenmaschine, bei der man sich vorher im Klaren sein müsse, wie sie funktioniert. Diese Analogie funktioniert nicht, denn in dem Moment, in dem ich mit einem verstorbenen Angehörigen spreche oder dies simuliert wird, bin ich in einer sehr emotionalen Stimmung. Wenn die KI uns dann etwas anbietet, was uns an diesen Menschen erinnert – sei es eine bestimmte Formulierung, eine bestimmte Art von Humor oder eine Form der Anteilnahme – nehmen wir dies an und viele meinen dann, die Verstorbenen wiederzuerkennen. Dann schaltet die Vernunft beim Menschen aus und man erkennt nicht, dass es sich bei der Äußerung der KI um ein Destillat aus den verschiedenen Daten handelt, die sie vorher bekommen hat.

Hans Block: Hinzu kommt noch ein anderer Faktor. Wenn die KI dann eine irritierende oder verstörende Äußerung von sich gibt, schalte ich nicht ab oder kann mich distanzieren. Ich will in dem Moment mehr wissen und eine Erklärung haben, warum der „Mensch“, der doch vorhin noch wie mein Onkel, meine Tante oder mein Vater geklungen hat, so etwas von sich gibt. Dann bleibe ich vor dem Bildschirm sitzen und chatte fleißig weiter, manchmal über Monate hinweg. Die Folgen sind offensichtlich. Zum einen reißt dies Menschen aus ihrem Alltag heraus, weil sie nun viel Zeit in diese Chats investieren und sich immer mehr isolieren. Darüber hinaus stoppt dies auch den Prozess der Akzeptanz, dass dieser Mensch gestorben ist und nicht mehr wiederkommen wird. KI ist ein Experiment am offenen Herzen, für das derzeit niemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.

Wie findet ihr eigentlich eure Themen? Geht es dabei um die Aktualität oder mehr um persönliches Interesse? 

Hans Block: Die Idee zu Eternal You kam uns 2018. Damals stießen wir auf eine Homepage, die Menschen mit der Frage neugierig machte, wer unsterblich sein wolle. Hinter der Webseite steckt ein Fellow des Massachusetts Institute of Technology, also jemand von einer renommierten Einrichtung. Die Spur führte weiter nach Rumänien, wo wir den Programmierer der Homepage fanden, der uns sagte, er hätte für sein Angebot schon etwa 30.000 Menschen auf einer Warteliste. Seine Idee war sehr simpel und ähnelt vielen anderen Start-Ups heute, denn er wollte die KI Informationen auswerten lassen, diese Muster erkennen lassen und den Nutzern darauf basierend ein Angebot machen. 2018 war die Technologie noch nicht so weit wie sie heute ist. Inzwischen geht da schon sehr viel mehr, wie man an Programmen wie beispielsweise ChatGPT sehen kann.

Moritz Riesewieck: Zum einen war es unsere Neugier, die uns antrieb, zu diesem Thema mehr zu recherchieren, doch ebenso ein gesellschaftliches Interesse. Wir erleben schon seit vielen Jahren das Verschwinden der Religion aus vielen Lebensbereichen der Menschen. Gleichzeitig merken viele Menschen, dass dies eine Leerstelle hinterlässt, die besonders dann spürbar wird, wenn zum Beispiel jemand aus der Familie stirbt. Wenn da für mich kein Trost und keinerlei Heilerzählung da ist, ist das schon sehr traurig und erschütternd. Nur weil sich Menschen reihenweise von Religion und Kirche abgewandt haben, heißt dies ja nicht, dass sie nun alle wissen, wie man damit umgeht, dass ein geliebter Mensch von einem Tag auf den nächsten nicht mehr da ist.  Diese Entwicklung hat Folgen. Wir erleben das Fehlen einer kollektiven Trauer und einer Trauerkultur. Darüber bemerken wie eine Einsamkeitskrise, denn viele Leute finden überhaupt keine anderen Menschen, die ihnen bei der Überwindung ihrer Trauer helfen könnten. Rituale fehlen und es gibt einfach sehr wenig, was einem Trost spendet.

Hans Block: Hier kommen die Tech-Unternehmen ins Spiel, weil sie eine neue Heilerzählung liefern. Die KI, so versprechen sie, ist objektiv und hat doch all diese Daten, aus denen sie etwas herausdestillieren kann. Vielleicht ist es nicht genau der Verstorbene, der mit einem chattet, aber vielleicht ist es die Essenz dieses Menschen. In unserem Buch Die digitale Seele: Unsterblich werden im Zeitalter Künstlicher Intelligenz verfolgen wir diesen Gedanken noch weiter. Was hier gerade stattfindet, ist nichts weniger als eine Renaissance des Konzepts der menschlichen Seele.

In Eternal You habt ihr auch Beispiele von Menschen, die KIs nutzen, um mit ihren Verstorbenen zu chatten. Wie habt ihr diese Leute gefunden? 

Moritz Riesewieck: Das ist immer ein hochsensibles Thema und dabei macht es sich bezahlt, dass wir immer zusammen unterwegs sind. Wir geben einander Feedback, spiegeln einander, wie wir gerade mit Hinterbliebenen sprechen. Wir haben uns teils auch gegen Geschichten entschieden, weil wir dachten, dass den Betroffenen in ihrer derzeitigen emotionalen Lage nicht klar ist, worauf sie sich da einlassen. Diese Avatare geben unter Umständen sehr Privates von den Verstorbenen kund, was ja auch nicht unbedingt jeder wissen möchte, aber man, wie schon gesagt, bei einer KI schlecht kontrollieren kann. Das ist eine der zentralen Fragen von Eternal You: Wer entscheidet eigentlich, was von einem Menschen in Erinnerung bleibt? Sind es die Hinterbliebenen, sind es die Firmen oder ist es gar die KI selbst? In diesem Fall waren es auch wir, die entscheiden mussten, ob wir etwas mit in den Film nehmen wollten. Sich dieser Verantwortung bewusst zu sein und darauf aufbauend eine Entscheidung für oder gegen eine Geschichte zu treffen, ist eine bisweilen sehr schwierige Herausforderung.

Diese Spanne zwischen den Chance von KI auf der einen Seite und der Gefahr, die von ihr ausgeht, auf der anderen Seite spiegelt sich meiner Meinung nach auch in vielen ästhetischen Entscheidungen bei Eternal You, beispielsweise der Filmmusik Gregor Keienburgs und Raffael Seyfrieds. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und was war eure Vorgabe als Filmemacher? 

Hans Block: Wir wollten mit Stimmen arbeiten. Es sollte nicht klar sein für den Zuschauer oder -hörer, ob man es mit einer menschlichen oder einer maschinell erzeugten zu tun hat. Die Musik sollte nicht begleiten oder emotional lenken, sondern eher wie ein Ko-Protagonist sein. Sie verweist auf das zentrale Thema, nämlich, dass man in Zukunft vielleicht nicht mehr unterscheiden kann, ob man es mit einem Menschen am anderen Ende des Bildschirms zu tun hat oder ob man sich mit einer Künstlichen Intelligenz unterhält. Gregor und Raffael haben dieses Konzept wirklich gut umgesetzt. Zugleich spiegelt ihre Musik wider, was wir an emotionaler Wucht miterlebt haben bei unserer Recherche und den Gesprächen für Eternal You.

In Eternal You nehmt ihr sehr viel vorweg, was KI-Technologie in Zukunft politisch, kulturell und wirtschaftlich bedeuten könnte. Gibt es etwas, was ihr euch wünschen würdet, was als Reaktion auf diese Entwicklung stattfinden soll? 

Moritz Riesewieck: Wir haben das Gefühl, dass die EU, gerade was das Thema KI-Regulation angeht, auf einem guten Weg ist, speziell im Vergleich zu beispielsweise den USA. Nach diesen Richtlinien muss sich KI zu erkennen geben und als solche gekennzeichnet sein. Gleichzeitig ist wohl jedem klar, dass die Unternehmen wieder Schlupflöcher suchen werden, um diese zu umgehen. Der Wert einer KI, wie man in Eternal You sieht, liegt darin, dass sie vorgibt, ein Mensch zu sein und er wäre futsch, wenn die andauernd den Nutzer daran erinnert, dass er oder sie gerade mit einer KI chattet. Dann schreibt man in den Nutzungsbedingungen oder auf der Homepage irgendwo hin, dass es sich um eine KI handelt und wenn der Gesetzgeber dann nachfragt, verweist man auf diesen Absatz.

Hans Block: Gesetze sind aber nur eine Seite der Medaille. Überhaupt Gesetze für Menschen zu machen, die nicht immer vernünftig handeln, wie wir eben beschrieben haben, ist so gut wie unmöglich. Gesellschaftlich werden wir uns noch viel stärker mit KIs und was sie bedeuten, auseinandersetzen müssen, denn in Zukunft wird es uns immer schwerer fallen, zwischen einer menschlichen, einer halb-menschlichen und einer nicht-menschlichen Stimme zu unterscheiden. Erst recht bei dieser rasenden Medienrezeption heutzutage und erst recht, wenn wir mit Kopien von Lebenden konfrontiert werden oder mit Programmen, die sich als lebende Menschen ausgeben. Das wird alles sehr unübersichtlich werden, doch wenn wir jetzt die Debatte starten, haben wir als Gesellschaft noch eine Chance, auf diese Entwicklung einzuwirken. Wir müssen entscheiden, wie nah wir KI an uns heranlassen. Wenn wir diese Frage jetzt nicht debattieren, treffen irgendwann die Konzerne die Entscheidung für uns.

Vielen Dank für das tolle und interessante Gespräch. 



(Anzeige)