Hitler und die Nazis: Das Böse vor Gericht

Dokumentationen, die sich eines geschichtlichen Themas annehmen, gibt es auf Netflix nicht gerade wenig. Dabei ist die Bandbreite erfreulich hoch. Kürzlich gab es da etwa Geheimnisse der Neandertaler über unsere ausgestorbenen Verwandten. Ein anderes Beispiel ist Wendepunkt: Die Bombe und der Kalte Krieg, das sehr umfangreich davon berichtete, wie es nach der Atombombe weiterging. Nun versucht sich der Streamingdienst mit Hitler und die Nazis: Das Böse vor Gericht an einem Thema, das gleichermaßen historisch wie aktuell ist. Schließlich sind vor dem Hintergrund einer erstarkenden Rechten die Warnungen groß davor, dass es zu einer Wiederholung der Geschichte kommen könnte.

Die Vergangenheit als Warnung

Tatsächlich finden sich in der Serie zahlreiche Parallelen, die man ohne Weiteres auf die Gegenwart anwenden könnte. Ob es der Fremdenhass ist, die Suche nach Sündenböcken für eigenes Versagen oder die Tendenz, die Vergangenheit umzuschreiben und die Realität zu leugnen, wenn einem etwas nicht passt: Da darf einem manches schon sehr bekannt vorkommen. Das soll es auch. Zwar ist Hitler und die Nazis: Das Böse vor Gericht kein explizier Vergleich zu aktuellen Ereignissen. Vieles ist aber schon naheliegend. Tatsächlich ist die Dokumentation auch mit der Absicht entstanden, die Vergangenheit als Warnung zu nehmen, umso mehr, da das Dritte Reich inzwischen so weit weg erscheint, dass es zunehmend an Schrecken verliert. Das Wissen geht verloren, gerade auch bei einer jüngeren Generation.

Regisseur Joe Berlinger weiß, wie er eine solche anspricht und schockierende Ereignisse für ein breites Publikum aufbereitet. So machte er sich durch diverse True-Crime-Dokumentationen einen Namen, die er ebenfalls für Netflix drehte. Unter anderem gehen Bernie Madoff: Das Monster der Wall Street, Jeffrey Dahmer: Selbstporträt eines Serienmörders und Ermordet: Tatort Times Square auf das Konto des erfahrenen US-Amerikaners. Bei Hitler und die Nazis: Das Böse vor Gericht wendet er die bewährten Techniken erneut an. Unter anderem zielt er darauf ab, vieles etwas emotionaler aufzuziehen, etwa durch zahlreiche nachgestellte Szenen. Ziel ist es, keine trockene Geschichtsstunde zu präsentieren, sondern das Publikum zu packen – deshalb auch der sensationslüsterne Titel.

Umfangreich und nachdenklich

Darüber kann man natürlich die Nase rümpfen und die Frage stellen, ob es angemessen ist, bei diesem Thema auf manipulative Elemente zu setzen. Vor allem, da es inhaltlich ebenfalls um Manipulation geht, wenn Hitler und seine Schergen die Bevölkerung ebenfalls darauf setzen und die Menschen gnadenlos ausnutzte und schlicht anlog. Daraus könnte man eine Grundsatzdebatte ableiten, inwiefern der Zweck die Mittel heiligt. Das soll aber nicht heißen, dass Hitler und die Nazis: Das Böse vor Gericht nur oberflächliche Sensationsgier ist. Tatsächlich ist es sogar beeindruckend, wie viele Informationen und wie viel Material hier zusammengetragen wurden. Diese historischen Aufnahmen werden wie immer mit Interviews verknüpft, der übliche Mix eben.

Natürlich wird dabei nichts wirklich Neues erzählt. Interessant ist es aber schon, wenn wir hier eine Zeitreise starten. Dabei steht in Hitler und die Nazis: Das Böse vor Gericht auch wirklich der Diktator im Mittelpunkt, es wird versucht, seine Laufbahn nachzuzeichnen und dabei auch seine Psychologie herauszuarbeiten. Wir erfahren von seiner Kindheit, seinen künstlerischen Ambitionen, von seinen geplatzten Träumen. Zumindest teilweise wird zu erklären versucht, wie das alles kommen konnte. Es wird also nicht nur nach dem „was“ geschaut, sondern auch nach dem „warum“. Das bleibt ein Stück weit sicher immer Spekulation. Zumindest im Hinblick auf die Bevölkerung ist das aber lohnenswert, um eben auch hier Parallelen zu ziehen. Weshalb haben die Deutschen das alles mitgemacht? Und wie lässt sich verhindern, dass etwas Derartiges erneut geschieht?