Pigen med nålen The Girl with the Needle
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The Girl with the Needle

Pigen med nålen The Girl with the Needle
„The Girl with the Needle“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Karoline (Vic Carmen Sonne) ist eine junge, mittellose Näherin in Kopenhagen Anfang des 20. Jahrhunderts. Nachdem ihr Ehemann im Krieg verschollen ist, beginnt sie eine kurze Liaison mit ihrem Chef, die sogar zu einer Schwangerschaft führt. Als dieser sie jedoch verstößt und entlässt, sieht Karoline keinen anderen Ausweg mehr, als ihr ungeborenes Kind mit einer Nadel abzutreiben. Dies wird allerdings von Dagmar (Trine Dyrholm) beobachtet, die nicht nur die Abtreibung verhindert, sondern auch anbietet, das Kind nach der Geburt an eine wohlhabende Familie zu vermitteln. Obwohl diese Form der Adoption illegal ist, willigt Karoline ein. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine Freundschaft. Diese Bindung wird jedoch auf die Probe gestellt, als Karoline eine schreckliche Entdeckung macht.

Schwarz und Weiß, Gut oder Böse

Die Eröffnungsszene von Magnus von Horns Sozialdrama The Girl with the Needle gibt bereits einen Vorgeschmack auf die düstere Thematik, die folgen soll. Zahlreiche Gesichter, die sich bei disruptiver Musik zu einer einzigen, entstellten Fratze vermischen, bilden eine Metapher für die versteckten Abgründe der dänischen Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese Metapher greift von Horn erneut auf, als der verschollene und tot geglaubte Ehemann der Protagonistin aus dem Krieg zurückkehrt, sein entstelltes Gesicht hinter einer Maske versteckt.

Von Horns Entscheidung, The Girl with the Needle komplett in Schwarz-Weiß zu inszenieren, passt nicht nur historisch in die Zeit des Films. Sie schafft auch nebenbei ein interessantes Paradoxon, da es schwerer fällt als gedacht, die Handlungen der Figuren klar in böse oder gut, also in schwarz oder weiß, einzuordnen. Gleich zu Beginn des Films schickt Karoline ihren aus dem Krieg zurückgekehrten, entstellten Ehemann weg, um eine Beziehung mit dem attraktiven und reichen Besitzer ihrer Näherei einzugehen. Was zuerst kalt und herzlos erscheinen mag, ist aus der Perspektive der verzweifelten, mittellosen und schwangeren Karoline durchaus nachvollziehbar. Als diese Beziehung jedoch scheitert, sieht sich Karoline gezwungen, ihr ungeborenes Kind abzutreiben. Wieder eine Entscheidung, die sich leicht verurteilen ließe, wären da nicht die Lebensumstände von Karoline. Selbst die Beweggründe von Dagmar in der zweiten Hälfte des Films lassen sich nicht so einfach als rein böse verurteilen, wie es eigentlich sein sollte.

Komplexe Figurenkonstellation

Abseits der filmischen Inszenierung trifft Magnus von Horn (Sweat) eine weitere interessante Entscheidung. Der Kern von The Girl with the Needle orientiert sich lose an der wahren Geschichte der dänischen Serienmörderin Dagmar Overby. Diese gründete, wie auch im Film gezeigt, Anfang des 20. Jahrhunderts eine illegale Adoptionsagentur in Dänemark. Allerdings gab sie lediglich vor, ungewollte Kinder an wohlhabende Familien zu vermitteln, während sie diese in Wahrheit tötete. Diese Thematik greift Von Horn jedoch erst in der zweiten Hälfte des Films wirklich auf, nachdem Karoline Dagmars Hilfe in Anspruch nimmt und kurze Zeit später anfängt, für sie zu arbeiten.

Im ersten Teil des Films liegt der Fokus alleine auf Karoline und ihren Schwierigkeiten in der patriarchalischen Gesellschaft zu überleben. Dementsprechend wird Karoline als Hauptfigur etabliert und ihre Geschichte wirkungsvoll genutzt, um ein Bild der vorherrschenden Situation für Frauen zu zeichnen, ohne dass die „thematische“ Hauptfigur überhaupt vorgestellt wird. Dennoch ist auch Dagmars Charakter vielschichtiger, als er zuerst scheint. Vor allem die Liebe zu ihrer vermeintlichen Tochter Erene (Ava Knox Martin) und ihre Abhängigkeit von Ether zeigen, dass auch an Dagmar ihre makabre „Arbeit“ nicht spurlos vorübergeht und sie mehr ist als eine kalte, herzlose Psychopathin.

Letztendlich liefern beide Hauptdarstellerinnen eine einwandfreie Leistung ab und geben den Zuschauern durch ihre Darstellung der Vielschichtigkeit ihrer Charaktere die unangenehme Aufgabe einer moralischen Einordnung mit auf den Weg. Bei einer Laufzeit von fast zwei Stunden hat man jedoch ein wenig zu viel Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen.

Credits

OT: „Pigen med nålen“
Land: Dänemark, Polen, Schweden
Jahr: 2024
Regie: Magnus von Horn
Drehbuch: Line Langebek Knudsen, Magnus von Horn
Musik: Frederikke Hoffmeier
Kamera: Michal Dymek
Besetzung: Vic Carmen Sonne, Trine Dyrholm, Besir Zeciri, Ava Knox Martin, Joachim Fjelstrup, Tessa Hoder, Ari Alexander

Bilder

Trailer

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The Girl with the Needle
fazit
Magnus von Horns cineastisch ansprechende Inszenierung von „The Girl with the Needle“ kann und will nicht über den düsteren Kern hinwegtäuschen. Kinogänger, die mit der zugrundeliegenden Thematik und Dagmar Overby vertraut sind, können handlungstechnisch keine Überraschungen erwarten, erleben aber trotzdem ein interessantes, wenn auch etwas langes Sozialdrama über die Rolle der Frau im Dänemark des 20. Jahrhunderts.
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