Vor nicht allzu langer Zeit war Farid (Mirsaeed Molavian) Filmemacher, doch ein folgenschweres Ereignis hat dazu geführt, dass er den Glauben an die Kunst verloren hat und nun unter dem Spitznamen Achilles als Aushilfe in einer Prothesenabteilung eines Teheraner Krankenhauses arbeitet. Eines Abends erreicht ihn ein Notruf aus der Psychiatrie, denn eine Patientin, Hedieh (Behdokht Valian), hat sich die Hand verletzt, als sie gegen die Wände ihres Zimmers schlug. Sie fleht Farid um Hilfe an, da sie meint, die Wände ihres Zimmers würden unentwegt mit ihr reden wollen und sie habe lediglich versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Er hilft ihr und schaut in ihrer Krankenakte nach mehr Informationen zu Hedieh nach, jedoch gibt es auffallend wenige Angaben über die Frau. Schließlich erfährt er, dass es sich bei um eine politische Gefangene handelt – keine Seltenheit im Krankenhaus, wie man ihm versichert – und er beschließt, Hedieh bei der Flucht zu helfen. Damit bringt er sich und seine Familie jedoch ins Fadenkreuz der Behörden.
Die Risse in der Wand
Achilles ist der erste Spielfilm des iranischen Regisseurs und Drehbuchschreibers Farhad Delaram. Wie viele Kulturschaffende im Iran verfolgte auch er die Proteste in seinem Land, die sich gegen das repressive politische Regime richteten und war ebenso schockiert, als diese von den Behörden des Landes blutig niedergeschlagen wurden. Noch mehr als dieses Ereignisse fragte er sich immer mehr nach den Folgen des politischen Aktivismus, ob dieser überhaupt etwas bewegen könne. Diese Überlegungen bildeten den Beginn der Geschichte zu Achilles, der aktuell auf dem Iranischen Filmfest München zu sehen ist, mit dem Delaram in erster Linie betonen möchte, dass Aktivismus und Proteste die Achillesferse eines System sein können und die tiefen sozialen und politischen Risse einer Nation widerspiegeln.
Idealistisch betrachtet kann Kunst natürlich etwas erreichen, doch Farid/Achilles hat diesen Glauben schon lange verloren. Was genau passiert ist, weiß der Zuschauer nicht, doch anhand seiner Körpersprache, seiner Mimik und seinem Umgang mit anderen Personen, darunter unter anderem seine Frau Sana (Neda Aghighi) verdeutlichen, wie tief das emotionale Loch sein muss, in dem sich der Protagonist befindet. Noch nicht einmal nach Haus zurück will er, er übernachtet lieber in seinem Auto, was er ganz am Rande der Stadt parkt, so als wolle er seine selbstgewählte Isolation auch geografisch hervorheben. Farhad Delaram erzählt von Menschen in einer tiefen Sinnkrise, ähnlich der Hauptfigur aus Knut Hamsuns Hunger, was Farid während seiner Nachtschicht im Krankenhaus liest. Entsprechend grau ist auch die Welt um ihn herum, sodass er nur noch zwei Auswege sieht: entweder die Flucht aus dem Land oder auf ewig zu schweigen. Delaram erzählt weiter davon, wie man wieder dahin finden kann, warum man kämpft und wofür, er berichtet von einer Reise zurück zum Fundament, nämlich den Menschen und damit den Rissen in der Wand.
Etwas bewegen in der Welt
Wenn Achilles sich von Drama zum Roadmovie entwickelt, kommt es zu einer Reise der Erfahrung für beide Hauptfiguren. Sowohl Mirsaeed Molavian als auch Behdokht Valian spielen Figuren, die den Sinn im Kampf und ihrem Schaffen nicht mehr sehen und einen hohen Preis für ihren Einsatz zahlen mussten. Es ist eine Annäherung, aber keine Romanze, die Delaram erzählt, dafür aber eine Reise zum Ursprung hin. Mehr und beginnt sich der Film zu öffnen, wird heller und freundlicher, sodass am Ende nicht mehr die Frage nach dem Kampf steht, sondern vielmehr nach dem Grund. Das Zusammenspiel der beiden Darsteller zeigt sensibel die Entwicklung von Farid und Hedieh, die wieder zu sich finden müssen und abschließen müssen mit etwas in ihrer Vergangenheit, weswegen sie zunächst in einer Form der Isolation flohen.
OT: „Ashil“
Land: Iran, Frankreich, Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Farhad Delaram
Drehbuch: Farhad Delaram
Musik: Mehrdad Jafari Raad
Kamera: Mohammad Reza Jahanpanah
Besetzung: Mirsaeed Molavian, Behdokht Valian, Roya Afshar, Neda Aghighi, Firouz Agheli, Hossein Moshali
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