Es vergeht fast kein Monat, in dem nicht das Ende physischer Medien wie der CD, der DVD oder der Blu-ray ausgesprochen wird. Spätestens seit der Zeit der Pandemie, in der viele Streaming-Anbieter Hochkonjunktur hatten, kommt das Thema immer wieder auf, was noch bestärkt wird durch die nach wie vor sinkenden Verkaufszahlen von Bild- und Tonträgern. Allerdings wird dabei ignoriert, dass es gerade Sammlern nicht immer um den reinen Besitz geht, wenn sie Musik und Filme um sich scharen und immer wieder klagen, dass sie keinen Platz mehr haben. Der Sammler oder die Sammlerin trägt einen entscheidenden Beitrag zur Erhaltung von Medien, Musik und Filmen bei, die ansonsten vielleicht verloren gehen.
Man kann dies belächeln, aber wenn man hört, wie diverse Streaminganbieter mittlerweile Werbung bei Filmen schalten oder diese gar zensieren oder anderweitig bearbeiten wollen, steht jemand mit einer Sammlung gar nicht so schlecht dar. Innerhalb eines politischen Regimes, was aktiv Zensur betreibt und sogar Medien vernichtet, wenn diese nicht der herrschenden Ideologie entsprechen, erhält das Sammeln noch einen ganz anderen Stellenwert, von dem Ehsan Khoshbakhts Dokumentation Celluloid Underground zu berichten weiß.
Der Film, der gerade auf dem Iranischen Filmfest München gezeigt wird, ist zugleich die Geschichte des Regisseurs, der durch Zufall auf einen Sammler stieß, dessen Leidenschaft ihm bereits mehr als einmal Probleme mit dem politischen System des Iran beschert hat. Celluloid Underground beginnt bei Khoshbakhts Zeit als Student, als er seine Leidenschaft für Filme und das Filmemachen entdeckte. Die Universität war bis zu einem gewissen Zeitpunkt Ort vieler Filmclubs und Diskussionsgruppen über Filme, was von einem Tag auf den nächsten vom politischen Regime des Landes verboten wurde.
Khoshbakht wollte nicht akzeptieren, dass dies das Ende sein sollte und begann seinen eigenen Filmklub, der im Untergrund agierte und mit dessen Hilfe er inoffiziell und unter großer Geheimhaltung weiterhin Filme zeigte, iranische wie auch internationale Produktionen. Dabei machte er Bekanntschaft mit Ahmad Jurghanian, einem unscheinbaren Mann, der ihm scheinbar immer aushelfen konnte, wenn er einen bestimmten Film suchte. Als sein neuer Bekannter Khoshbakht etwas mehr traute, lud er ihn zu sich nach Hause ein, wo der damalige Student Zugang erhielt zu einer unglaublichen Filmsammlung von Filmrollen und Postern, die Jurghanian unter Einsatz seines Lebens in mehreren Verstecken gelagert hatte.
Kranke Menschen
Einem berühmten Zitat des französischen Regisseurs François Truffaut zufolge sind Filmliebhaber kranke Menschen. In gewisser Weise trifft dies auf die beiden Personen zu, die das Publikum in Celluloid Underground kennenlernt. Beide sind vom Kino besessen und erkennen die Macht des Bildes an, vor allem die zersetzende Kraft eines Narrativs, was eventuell der herrschenden Ideologie nicht genehm ist. In den scheinbar unzähligen Verstecken Jurghanians, von denen wir im Film nur einen kleinen Ausschnitt sehen, finden sich ganze Türme von Filmrollen und viele Poster, die er vor der Vernichtung retten konnte. Wenn man Truffauts Metapher weiterdenkt, ist er wirklich krank, denn ihn hat die Kraft des Kinos angesteckt, und nun ist er zu einem ihrer Bewahrer geworden.
Dass diese Aufgabe nicht ganz ungefährlich ist, erfahren wir in den Gesprächen, die der Regisseur mit ihm führt sowie dem letzten Teil, als sich Khoshbakht bereits ins Exil abgesetzt hat. Stundenlange Befragungen, teils sogar begleitet von psychologischer oder körperlicher Folter hat Jurghanian erfahren, doch hat die Angst nicht so sehr von ihm Besitz ergriffen, dass er seine Aufgabe, Kinorollen zu sammeln und zu bewahren, aufgeben könnte. Man kann nicht anders, als beeindruckt zu sein von diesem Mann und der Aufgabe, die er sich gestellt hat, sowie seinem unerschütterlichen Glauben an eine Zeit, in der all diese Schätze wieder ungehindert in Lichtspielhäusern gezeigt werden können.
Interessant ist an Celluloid Underground, dass sich Khoshbakht nicht darauf beschränkt, seine Geschichte und die Jurghanians zu erzählen. Parallel zu dieser erzählt er von der seines Heimatlandes, genauer gesagt des Kulturbetriebs, wie dieser aufblühte und sich entwickelte und schließlich Ende der 70er Jahre im Zuge der Revolution nach und nach zum Erliegen kam. Der Blick auf die Filmsammlung Jurghanians ist zugleich ein Blick auf die Vergangenheit und zugleich die Hoffnung, dass diese Zeit einmal wiederkehren wird.
OT: „Celluloid Underground“
Land: Iran, UK
Jahr: 2023
Regie: Ehsan Khoshbakht
Musik: Ekkehard Völk
Kamera: Ehsan Khoshbakht, Granace Javalle, Majed Neisi, Andrew Panatti, Niyaz Saghari
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