© ANNECY FESTIVAL/B. Aguirre

Chris Renaud [Interview]

Deutsche Version

Die Co-Regisseure Patrick Delage und Chris Renaud (© ANNECY FESTIVAL/F. Murarotto)

Ehre, wem Ehre gebührt: Mit einem Einspielergebnis von bislang 4,6 Milliarden US-Dollar ist Ich – Einfach unverbesserlich das erfolgreichste Animationsfranchise aller Zeiten und gehört zu den erfolgreichsten Filmfranchises überhaupt. Daran haben auch die Minions ihren Anteil, die sowohl bei den drei Hauptfilmen wie auch den beiden Spin-offs kräftig mitmischten. Nun gibt es ein Wiedersehen mit der gelben Chaostruppe, Ich – Einfach unverbesserlich 4 (Kinostart: 11. Juli 2024) führt die Geschichte um den ehemaligen Superverbrecher Gru und dessen Schergen fort. Dabei gibt es eine Reihe von neuen Herausforderungen, wenn die Familie Nachwuchs erhält und sich zudem eine neue Identität zulegen muss, um einem aus dem Gefängnis geflohenen Feind zu entkommen.

Eine freudige Wiederkehr ist hingegen die von Chris Renaud. Dieser hatte bereits die ersten beiden Filme inszeniert und führte nun zusammen mit Patrick Delage auch bei dem neuen Werk Regie. Wir haben den Filmemacher auf dem Annecy Film Festival 2024 getroffen, wo Ich – Einfach unverbesserlich 4 als Sonderveranstaltung gezeigt wurde, und redeten mit ihm über die Arbeit an dem Franchise, nostalgische Gefühle und die Besonderheit der Filme.

Du hast damals bei den ersten beiden Teilen von Ich – einfach unverbesserlich Regie geführt und die übrigen Filme anderen überlassen. Warum bist du für den vierten Teil zurückgekehrt?

Es war für mich eine Chance, noch einmal zu den Figuren zurückzukehren, die so viel für mich und meine Karriere bedeuteten. Wir hatten ein witziges Drehbuch von Mike White. Ich weiß noch, dass ich viel beim Lesen gelacht habe. Das war eine großartige Grundlage, aber noch kein Ich – einfach unverbesserlich Film. Anstatt etwas komplett Neues zu machen, hatten wir etwas, bei dem wir wussten, dass es gut und vielversprechend ist. Das waren die beiden Gründe: Wir hatten schon eine Geschichte, auf der wir aufbauen konnten, und es fühlte sich nach einer guten Gelegenheit an, noch einmal zurückzukehren und diese Welt neu zu besuchen.

Und wie lange hat es dann gedauert von dem ersten Entwurf, bis ihr euren Film hattet?

Lange. Das lag aber auch an COVID. Ich denke, dass wir das Drehbuch so 2019 hatten, als ich dabei war Pets 2 zu beenden. Nach dem großen Erfolg von Ich – Einfach unverbesserlich 3 wurde schnell über Ideen für einen vierten Film gesprochen, das war 2017. Aber dann kam COVID, wodurch sich auch Minions: Auf der Suche nach dem Mini-Boss verzögert hat. Die aktive Phase dürften so drei Jahre gewesen sein.

Das ist nicht lang für einen Animationsfilm.

Tatsächlich ist das für uns sogar etwas länger als gewöhnlich. Aber das hängt vom Film ab, manche haben längere Produktionszeiten, andere kürzere.

Hier dürfte es wahrscheinlich leichter gewesen sein, weil ihr schon eine Grundlage hattet. Ihr musstet also nicht komplett von vorne anfangen.

Jein. Manchmal sind Fortsetzungen sogar schwieriger, weil du schon so viel gemacht hast und neue Antworten suchen musst. Das gilt besonders für die Minions, weil wir nicht nur die Ich – Einfach unverbesserlich Filme haben, sondern auch die Minions Filme und die Kurzfilme. Da kommt es schon vor, dass wir über eine Idee sprechen und merken, dass wir das schon mal getan haben. Neue Lösungen zu finden, kann da schon knifflig werden.

Hast du denn das Gefühl, durch diese Grundlage eingeschränkt zu sein?

Nein, derzeit fühle ich mich noch nicht eingeschränkt. Das Gute an dieser Welt und den Figuren ist, dass du überhaupt Fortsetzungen machen kannst, da der Kern von Ich – Einfach unverbesserlich natürlich die Komödie ist, aber auch die Idee Karriere gegen Familie. Die Herausforderung ist, etwas Neues dazu zu machen. Was ist das neue Problem der Familie oder eine neue Dynamik? Wer ist der neue Schurke, dem sich Gru stellen muss? Das ist fast wie in einem James Bond Film nur eben mit diesem zusätzlichen Problem der Familie. Hier hatten wir die Idee mit dem Zeugenschutzprogramm und dass sie ihr Zuhause zurücklassen müssen. Dann haben wir das Baby und den Schurken, der ein Mitschüler an der High School war, mit dem Gru nicht klarkam. Als wir diese zwei Ideen zusammengebracht hatten, hatten wir das Gefühl: Okay, wir haben eine Geschichte zu erzählen. Weil die Figuren menschlich sind und prinzipiell Teil unserer Welt, kannst du viel erzählen, mit dem sich das Publikum identifizieren kann. Mehr als bei Geschichten mit Tieren oder mystischen Figuren.

Und wie war es für dich, zu diesen Figuren zurückzukehren nach einer so langen Zeit?

Es war interessant. Ich hatte meine eigenen Ideen, die ich ausprobieren wollte, gerade bei den Minions. Wir haben deshalb die Mega Minions. Und doch sind sie immer noch so wie immer, hauen sich gegenseitig eine runter. Du musst schließlich das bringen, was sie für das Publikum so interessant macht. Dann haben wir Gru, der inzwischen wirklich ein guter Mensch geworden ist. Es ist interessant zu sehen, wie er sich im Vergleich zum ersten Film geändert hat. Wir haben darüber nachgedacht, Gru wieder so auftreten zu lassen, wie er damals gewesen ist. Aber die Figuren haben sich so sehr verändert, dass es nicht wirklich gepasst hat. Ein gutes Beispiel ist Grus Interaktion mit dem neuen Nachbar, der schon ein Arsch ist. Wir haben da überlegt, ob Gru nicht ein Arsch sein sollte, so wie er es damals gegenüber seinem Nachbarn war im ersten Film. Aber aus Sicht der Figur und auch der Geschichte war es notwendig, dass Gru versucht sich anzupassen und nicht weiter aufzufallen. Denn wenn er Probleme verursacht, dann laufen sie Gefahr entdeckt zu werden. Außerdem war es nett für die Figur, dass ein Teil der Umzugsgeschichte darin besteht, die Familie und ihre Verletzlichkeit zu zeigen. Die Schwierigkeiten, sich anzupassen. Das bringt Drama und Komödie mit sich. Nachdem wir herumprobiert haben, war uns daher klar, dass Gru nicht mehr so funktionieren würde in diesem Szenario. Wir haben versucht, neue Schichten und Facetten zu finden während wir dem treu geblieben sind, der Gru ist.

Ich einfach unverbesserlich 4 Despicable Me 4
Zeit für einen Neuanfang: In „Ich – Einfach unverbesserlich 4“ muss die Familie eine neue Identität annehmen. (© Universal Pictures)

Du meintest, dass Gru sich verändert hat. Tatsächlich hat sich sehr viel getan seit dem ersten Film. Denkst du, dass Gru jemand anderes geworden oder wurde er zu sich selbst in dieser langen Zeit?

Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass er zu sich selbst wurde. Im ersten Film gibt es dieses Satz, dass verletzte Menschen andere verletzen. Du siehst, dass Gru verletzt ist, und das Verhältnis zu seiner Mutter. Wir haben hier und da Teile aus seiner Vorgeschichte gesehen. Er hatte es nicht einfach. Er war ein unbeholfenes Kind, hatte vielleicht nicht so viele Freunde an der Schule. Es gab also immer diese Verletzlichkeit in ihm, auf jeden Fall im ersten Film. Es machte Spaß zuzusehen, wenn er sich verhält, wie wir es manchmal vielleicht selbst gern tun würden, etwa wenn er Ballons von Kindern zum Platzen bringt. Das war schon irgendwie böse, aber unterhaltsam. Inzwischen ist er aber ein Ehemann und Vater. Er liebt seine Familie und er hat einen Halt gefunden, den er so vorher nicht hatte, was es ihm ermöglicht, der Mensch zu werden, der er sein wollte. Das ändert die Tonalität und vielleicht auch die Möglichkeiten eines Humors. Aber es fühlt sich sehr natürlich an, dass die Figur jetzt da ist, wo sie ist, im Vergleich zu dem, wie er angefangen hat.

Interessant dabei ist, dass du jemanden hast, der sich im Lauf der Jahre verändert hat und sich nun wieder ändern muss. Dieses Mal ist es aber keine natürliche Entwicklung. Er ist dazu gezwungen, sich zu ändern. Denkst du, dass es möglich ist, jemand anderes zu werden, nur indem du jemand anderes sein willst?

Nein. Als ich mit 15 umgezogen bin, dachte ich, ich könnte sein, wer immer ich sein will. Ich könnte cool sein oder so. Ich könnte ein Sportler werden, weil ich beim Sport gar nicht schlecht war. Aber da gibt es Grenzen. Ich denke jedoch, dass du dein Verhalten ändern kannst. Du musst vielleicht darüber nachdenken und daran arbeiten. Aber bis zu einem gewissen Grad kannst du dein Erscheinungsbild verbessern und auch die Art und Weise, wie du mit anderen Menschen umgehst.

Welche Rolle spielt dabei die Familie? Denn in deinem Film ist es die Familie, die ihn verändert oder zumindest einen Grund liefert, sich zu ändern.

Stimmt. Bei diesem Film ist es interessant, weil wir das Baby eingeführt haben, das anfangs nicht so wirkt, als würde es seinen Vater mögen. Die Geschichte handelt auch davon, wie es anfängt, seinen Vater in einem anderen Licht zu sehen. Das Baby ist so, wie Gru wahrscheinlich war, als er sechs Monate alt war. Er ist schelmisch, verursacht Ärger. Mit dieser Dynamik anzufangen, gab uns die Möglichkeit, eine Entwicklung zu verfolgen. Und so, wenn das Baby am Ende Gru als einen Actionhelden sieht, der alle rettet, aber auch vorher schon bei dem Einbruch, das ist der Moment, wenn sie sich näherkommen. Zu sehen, wie geschickt Gru ist mit den Sachen, die er in der Babytasche gefunden hat bringt das Baby dazu ihn zu respektieren. Es ist immer nett, wenn du so eine Entwicklung hast im Lauf der Geschichte und am Ende dafür eine Belohnung kommt.

Wir haben davon gesprochen, neue Identitäten anzunehmen. Wenn du für dich selbst eine aussuchen könntest, welche wäre was? Was würde dich interessieren?

Ich fände es interessant, jemand mit Haaren zu sein. (lacht) Aber ernsthaft, ich hätte es geliebt, ein Feldbiologe zu sein. Meine erste Liebe als Künstler war es, Tiere und Vögel und so weiter zu zeichnen. Das wäre eine interessante Alternative gewesen. Vielleicht wähle ich also das, eine Art Amateur Indiana Jones.

Bist du so auf Pets gekommen?

Ich fühlte auf jeden Fall eine starke Verbindung zur Geschichte, weil ich merkte, dass ich – abgesehen von den vier Jahren an der Universität – mein ganzes Leben lang Haustiere hatte. Eine Echse, ein Fisch, eine Katze, ein Hund. Tiere waren also immer ein besonderer Teil meines Lebens.

Du hast vorhin den Einbruch in dem Film erwähnt. Normalerweise sind in Filmen die bösen Leute Antagonisten, bei denen wir nicht mitfiebern sollen. In Heist Filmen ist es das Gegenteil, da sind die Bösen die Protagonisten. Warum sind solche Filme so populär? Warum werden Heist Filme gedreht, bei denen wir schlechte Menschen anfeuern sollen?

Was ich besonders an Filmen mag, ist dass es immer um Blickwinkel geht. Du kannst praktisch für alles und jeden einen Blickwinkel schaffen. Du kannst sagen, dass ein böser Mensch gut ist und du ihn mögen wirst. Das erste Mal, dass ich diesen Gedanken hatte, war bei dem Film Ein ausgekochtes Schlitzohr. Darin spielte Burt Reynolds jemand, der Bier schmuggelte und viel zu schnell fuhr. Und doch warst du er. Für mich war das eine unglaubliche Erfahrung zu erkennen, dass wir auf seiner Seite stehen. Das war völlig die Entscheidung des Filmemachers und wie er die Polizei dargestellt hat. Darin besteht der Trick des Filmemachens, dass du die Welt durch die Perspektive einer Figur zeigst und das Publikum dazu bringst, diese Reise mitzumachen, egal wer diese Figur ist. Das war eine der Ideen hinter Ich – Einfach unverbesserlich: Die Menschen lieben Schurken. Wenn du an Heath Ledgers Joker denkst oder Hannibal Lecter, dann ist es schon bizarr, dass solche Figuren und ansprechen. Oder auch wenn du darüber nachdenkst, was derzeit in den Medien so los ist mit den ganzen True Crime Podcasts. Es ist, als könnten wir nicht genug davon bekommen, auch wenn das eigentlich fürchterlich ist. Ja, da ist diese Faszination für das Makabre. Aber da ist eben auch die Sache mit dem Blickwinkel. Wir erfahren, dass jemand etwas getan hat, aber auch, warum er es getan hat. Du entwickelst fast schon Mitgefühl, auch wenn du kein Mitgefühl haben solltest.

Eine ethische Frage in dem Zusammenhang: Denkst du, dass es weniger schlimm ist, von schlechten Menschen zu stehlen als von guten Menschen?

Ja! Darum ging es ja bei Robin Hood. Wir sind mit diesem Gedanken aufgewachsen, dass das Stehlen von schlechten Menschen okay ist. Wenn jemand einen Drogendealer ausrauben würde, würde ich vermutlich nicht unbedingt weinen.

Ohne zu viel zu verraten: Die letzte Szene im Film, wenn die ganzen Bösen im Gefängnis zusammenkommen, fühlte sich schon sehr nostalgisch an. War es das für dich, als du an dem Film gearbeitet hast?

Ja. Und das war absolut meine Absicht. Das AVL Gefängnis war die perfekte Location dafür. Als wir erst einmal diese Talentshow hatten als Zeichen für die Rivalität zwischen Gru und Maxime, wussten wir, dass dieser Wettbewerb im Gefängnis unser Weg sein würde. Und ja, für mich fühlte es sich wie die perfekte Gelegenheit an, all diese Figuren zusammenzubringen und all die Filme zu feiern, die wir zusammen gemacht haben, inklusive der beiden Minion Filme. Ich komme ursprünglich aus der Welt der Comicbücher wo du diese Tradition hast, Crossover zwischen Figuren wie Spider-Man und Captain America einzubauen. Wir dachten, dass das Spaß machen könnte.

Aber es ist nicht als Abschluss gedacht? Es fühlte sich nämlich ein bisschen danach an.

Hier verweigere ich mal die Aussage. (lacht) Aber ja, in meinem Kopf war da schon etwas in die Richtung. Das muss aber nichts heißen. Sie machen gerade einen fünften Toy Story Film. Du weißt, was ich meine? Letzten Endes hängt alles davon ab, wie das Publikum das aufnimmt. Aber dieses Gefühl, ob es nun ein Abschluss ist oder diese Nostalgie, die du gemeint hast, das war auf jeden Fall von meiner Seite aus geplant. Und ich denke, dass es Spaß macht. Gestern bei der Vorführung in Annecy, als die Kamera auf Vector und die anderen ging, konntest du spüren, wie das etwas mit dem Publikum gemacht hat, auch später, als wir die Schurken aus den Minions Filmen gezeigt haben. Das war schon cool. Ich habe dabei an meine Zeit zurückgedacht, als ich an Comics gearbeitet habe. Es gab da dieses große Marvel-DC-Crossover mit Batman und Wolverine, an dem ich als Künstler mitgearbeitet habe. Es hatte so viel Spaß gemacht, diese ganzen Figuren aus den unterschiedlichen Welten zusammenzuführen.

Wenn es nicht die Minions sind, womit bist du als nächstes beschäftigt? Was werden deine nächsten Projekte sein?

Ich entwickle gerade mehrere Ideen und schaue, was dabei rauskommt. Das ist eine neue Erfahrung für mich, weil ich die letzten 15, 16 Jahre nur in der Produktion gearbeitet habe, ein Projekt nach dem anderen. Jetzt will ich auch mal eins entwickeln. Das ist eine neue Herausforderung für mich, aufregend, vielleicht auch etwas nervenaufreibend. Aber wir schauen mal, wie es läuft.

Danke für das Gespräch!

Zur Person
Chris Renaud wurde 1966 in Baltimore, Maryland geboren. Nach seinem Studium in Illustration an der Syracuse University, zog er nach New York City, um eine Karriere als Comiczeichner zu machen. Unter anderem arbeitete er für Marvel und DC Comics. Später wechselte er zum Animationsbereich und gab 2006 mit dem Ice Age Kurzfilm Keine Zeit für Nüsse sein Regiedebüt. 2010 erschien mit Ich – Einfach unverbesserlich sein erster Langfilm. Auch später drehte er für das Animationsstudio Illumination Filme, die sehr erfolgreich waren.



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