Seinen letzten Sommer als Junggeselle verbringt der französische Diplomat Jérome (Jean-Claude Brialy) am Lac d’Annecy, wo er mit seiner langjährigen Freundin, der Autorin Aurora (Aurora Cornu), über das Leben, die Kunst und über die Liebe philosophiert. Der einstige Schürzenjäger erklärt, er werde durch die Heirat nicht nur jemand anders werden, denn mit seiner Braut habe er eine Lebensgefährtin gefunden, mit dem er sich ein gemeinsames Leben vorstellen könne. Während eines gemeinsamen Essens meint Aurora, ihre Tochter Laura (Béatrice Romand) habe sich ein wenig in Jérome verliebt, was diesem Grund genug ist, mit der Jugendlichen einen Ausflug in die Berge am nächsten Tag zu unternehmen. Der Diplomat fühlt sich geschmeichelt wegen der Aufmerksamkeit, kann dieser Verliebtheit aber nicht viel abgewinnen. Auf die Probe gestellt wird er jedoch mit dem Eintreffen von Lauras Stiefschwester Claire (Laurence de Monaghan), insbesondere ihres rechten Knies, von dem er sich magisch angezogen fühlt. Das Knie zu berühren, wird zu einer Obsession für ihn, sodass er sich sogar in das Liebesleben der Jugendlichen einmischt.
Individuum und Protagonist
Claires Knie ist der insgesamt fünfte Film aus Éric Rohmers Filmzyklus Sechs moralische Erzählungen, zu dem auch Die Sammlerin und Meine Nacht bei Maud gehören. Rohmers Spezialität ist die Vermischung philosophisch-ethischer Themen und einem traumhaft schönen Setting, meist im Sommer, was der Handlung eine gewisse Leichtigkeit gibt. Seine Helden begeben sich dabei in Abenteuer oder werden zu diesen verleitet, denn es geht darum, moralische Positionen zu prüfen oder essentielle Werte wie Treue, Glauben und Liebe zu diskutieren. Claires Knie ist sicherlich einer der kommerziell erfolgreichsten Filme des Regisseurs und stießt auch seinerzeit auf viel Kritikerlob, was nicht verwundert, denn die bereits genannte Formel hat Rohmer in diesem Film wahrlich perfektioniert.
Wie schon bei Meine Nacht bei Maud ist der Ausgangspunkt der Handlung eine Wette. In diesem Falle geht es jedoch nicht um den Glauben und die daraus resultierende moralische Position des Helden, sondern um seine Behauptung, seine anstehende Heirat verleihe ihm eine gewisse Überlegenheit. Auch seiner Freundin Aurora gegenüber fühlt er sich überlegen, was er durch seine Art zu reden wie auch seine Körpersprache mehr als einmal deutlich macht. Jérome ist einer, der von sich eingenommen ist, zwar nicht gänzlich unsympathisch, aber dennoch unerträglich, was die Widersinnigkeit der Positionen angeht, die er vertritt.
Aurora gelingt ein cleverer Schachzug, indem sie ihren Freund zum Protagonisten ihres neuen Romans macht und ihm so, zumindest will es Jérome so, die Verantwortung für sein Handeln abnimmt. Wie auch der Zuschauer glaubt die ihrem Freund diese neue Treue nicht ganz und stellt sie auf die Probe und beginnt damit eine zunächst leichte Sommerunterhaltung, die spätestens mit dem Eintreffen Claires zu einem moralischen Offenbarungseid für den Diplomaten wird. Rohmer konstruiert etwas, was auch für ein schweres Drama herhalten könnte, gibt diesem aber zugleich eine gewisse Distanz und eine Prise Humor, die sich herleitet aus einem Helden, der seine eigene Verirrung nicht kennt und diese sogar als Überlegenheit missversteht.
Wille und Vergnügen
Rohmer verhandelt in seinen Geschichten immer die großen, universellen Themen. Der Sinn oder Unsinn von Moral ist dabei genauso Kern dieses Films wie auch die Verantwortung des Individuums, was sich zwar selbst von dieser freispricht, aber dennoch mit den Folgen leben muss. Jean-Claude Brialy als Jérome brilliert als ein narzisstisch veranlagter Kopfmensch, der meint, die Handlung zu überblicken, aber selbst nicht weiß, was als Nächstes passieren wird. In einer Umkehr des Satzes aus Goethes Faust, dass der Mensch irrt, so lange er strebt, irrt Jérome zwar, aber, was er sucht, scheint er selbst nicht zu wissen. Die Fixierung auf das Knie einer Jugendlichen ist dabei ein Exempel für den Widerstreit von Wille und Vergnügen, und wie schnell es geht, bis dieser vermeintlich über alles erhabene Mensch einknickt. Rohmer zeigt dies als menschliche Komödie, als einer Verirrung in der Hitze eines Sommers, die schnell wieder vergessen sein wird, wenn einen die Welt abseits des Lac d’Annecy eingeholt hat.
OT: „Le Genou de Claire“
Land: Frankreich
Jahr: 1970
Regie: Éric Rohmer
Drehbuch: Éric Rohmer
Kamera: Néstor Almendros
Besetzung: Jean-Claude Brialy, Aurora Cornu, Béatrice Romand, Laurence de Monaghan, Michèle Montel, Gérard Falconetti, Fabrice Luchini
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Golden Globes | 1972 | Bester fremdsprachiger Film | nominiert |
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)