Eigentlich führen Psychoanalytiker Giovanni (Nanni Moretti) und die Galeristin Paola (Laura Morante) mit Tochter Irene (Jasmine Trinca) und Sohn Andrea ein unbeschwertes Familienleben. Das ändert sich jedoch eines Tages, als die Schule sich bei ihnen meldet und Andrea beschuldigt wird, gemeinsam mit einem Freund ein wertvolles Fossil gestohlen zu haben. Zwar streiten die beiden alles ab, der einzige Beweis ist eine Zeugenaussage. Dennoch werden sie für eine Woche suspendiert. Seither hängt der Haussegen bei der Familie schief. Dabei steht ihr die eigentliche Herausforderung erst noch bevor. Als Giovanni und Andrea sich eines Tages zum Joggen verabreden, muss der Therapeut kurzfristig noch einmal los, um sich um den Patienten Tommaso (Stefano Accorsi) zu kümmern – eine Entscheidung, die er bald bereuen wird …
Eine Familie droht zu zerbrechen
Dass im Filmgeschäft Leute sowohl schauspielerisch tätig sind wie auch auf dem Regiestuhl Platz nehmen, ist keine Seltenheit. Viele Schauspieler und Schauspielerinnen versuchen sich irgendwann daran, auch einmal eigene Geschichten zu erzählen, und übernehmen dann gern selbst die Hauptrolle. Kaum jemand tut das aber derart konsequent wie der Italiener Nanni Moretti, dessen Filmografie überwiegend aus von ihm inszenierten Werken besteht, bei denen er selbst vor der Kamera stand. Unter anderem entstanden so in den letzten Jahren Mia Madre (2015) und Drei Etagen (2021). Und auch bei seinem wohl größten Triumph Das Zimmer meines Sohnes aus dem Jahr 2001 übernahm er die Doppelfunktion und wurde dafür mit einer Reihe von Preisen belohnt, darunter der Goldenen Palme in Cannes.
Ob diese hohen Auszeichnungen gerechtfertigt sind, darüber lässt sich wie immer streiten. Sehenswert ist das Drama aber allemal. Moretti entwirft hier das Bild einer Familie, die nach außen hin ein harmonisches Leben führt. Ein Bild, das jedoch zunehmend Risse bekommt. Anfangs sieht es so aus, als wäre die Sache mit dem Diebstahl in Das Zimmer meines Sohnes Anlass für eine Demontage der Familie, wenn dabei Konflikte an die Oberfläche kommen. Stattdessen wandelt sich das Werk nach rund einem Drittel in ein Trauerdrama, bei dem es darum geht, wie die Übrigen mit dem Verlust klarkommen. Anders als Poison – Eine Liebesgeschichte, welches von den langfristigen Folgen erzählt, als ein am Schmerz zerbrochenes Paar sich wiederbegegnet, sehen wir hier zu, wie alles auseinanderbricht.
Bewegend ohne Kitsch
Im Mittelpunkt steht dabei der von Moretti selbst gespielte Therapeut, der zuvor immer für andere ein offenes Ohr hatte, nun aber an seine Grenzen stößt. Immer wieder kommt es zu Konflikten mit seinen Patienten, er verliert die Kontrolle, kann sich kaum konzentrieren. Interessanter aber noch ist, was innerhalb der Familie vorgeht. Das Ehepaar entfremdet sich bei dem Versuch, irgendwie mit der Situation klarzukommen. Die Tochter wiederum fühlt sich vernachlässigt, wird in der Trauer der Eltern zunehmend übersehen. Das Zimmer meines Sohnes zeigt die Individualität solcher schmerzhaften Erfahrungen auf. Eigentlich sollte der gemeinsam erlittene Verlust die übrigen zusammenschweißen. Stattdessen laufen sie Gefahr, alles zu verlieren.
Das ist alles gut gespielt, mit dem nötigen Feingefühl auch. Es gelingt dem Filmemacher, bewegende Szenen aufzuzeigen, ohne sich dabei dem Kitsch hinzugeben. Etwas enttäuschend ist dabei der Part, der Das Zimmer meines Sohnes seinen Titel gegeben hat. Die Idee, über Andreas Urlaubsflirt Arianna (Sofia Vigliar) wieder eine Verbindung zu dem Verstorbenen aufzubauen, ist schön und interessant. Es wird aber nicht so viel draus gemacht, der Film endet auch etwas überhastet. Das ist etwas schade. Aber selbst mit diesem Manko handelt es sich um ein lohnenswertes Drama, das sich mit Schmerz und Heilung auseinandersetzt, mit der Frage, wie und ob es nach einem so schwierigen Verlust weitergehen kann. Das Ergebnis ist universell genug, um dabei mitfühlen zu können, während das Publikum sich fragen darf, wie es selbst in dieser Situation reagieren würde.
OT: „La stanza del figlio“
IT: „The Son’s Room“
Land: Italien, Frankreich
Jahr: 2001
Regie: Nanni Moretti
Drehbuch: Linda Ferri, Nanni Moretti, Heidrun Schleef
Musik: Nicola Piovani
Kamera: Giuseppe Lanci
Besetzung: Nanni Moretti, Laura Morante, Jasmine Trinca, Giuseppe Sanfelice, Sofia Vigliar, Stefano Accorsi
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Cannes | 2001 | Goldene Palme | Sieg | |
César | 2002 | Bester fremdsprachiger Film | nominiert | |
Europäischer Filmpreis | 2001 | Bester Film | nominiert | |
Beste Hauptdarstellerin | Laura Morante | nominiert |
Amazon (DVD „Nani Moretti Collection“)
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