Führer und Verführer
© Zeitsprung, SWR, Wild Bunch, Foto: Stephan Pick

Führer und Verführer

Inhalt / Kritik

Herbst 1938: Propagandaminister Joseph Goebbels (Robert Stadlober) steckt in der tiefsten Krise seines Lebens, politisch wie privat. Der „Führer“ Adolf Hitler (Fritz Karl) hat ihm gerade verboten, seine tschechische Geliebte Lida Baarova (Katia Fellin) wiederzusehen, mit der er eigentlich zusammenleben wollte. Stattdessen muss er die Ehe mit Magda Goebbels (Franziska Weisz) fortführen. Zudem ist sein Wunschtraum in weite Ferne gerückt, der zweite Mann im Staate zu werden. Denn Hitler will nach dem „Anschluss“ Österreichs und der Annexion des Sudetenlandes den offenen Krieg, obwohl die Deutschen, auch begünstigt durch Goebbels Propaganda, auf Frieden eingestimmt sind. In den dunklen Stunden der depressiven Phase rafft sich der große Volksverführer zu einer fatalen Offensive auf: Er will die Deutschen mit ebenso perfiden wie perfektionierten Desinformationen hinter Hitlers Kriege bringen.

Der „echte“ Hitler

Regisseur Joachim A. Lang nimmt die Jahre bis zum Untergang 1945 als Paradebeispiel, um die auch heute wieder grassierenden Mechanismen der „Fake News“-Manipulationen zu analysieren. Genauer gesagt: um sie haarklein bis in die dünnsten Verästelungen aufzuspüren, fast wie unter einem Mikroskop. Zu Beginn erklingt nur eine Stimme aus dem Off, die Leinwand bleibt vorerst schwarz. Ein Mann sinniert im jovialen Plauderton über die Kampffähigkeit von Panzern im Winter. Dann eine Schrifttafel: Kennen Sie diese Stimme? Es ist die von Adolf Hitler, aufgenommen in der einzigen privaten Tonbandaufnahme, die es vom „Führer“ gibt, wenn er nicht im Radio oder vor Menschenmassen sprach. Der Kontrast ist frappierend: hier die normale Konversation eines entspannten Menschen, dort die öffentliche Kunstfigur eines geifernden, übererregten, demagogischen Einpeitschers. Von vornherein ist damit klar, worauf Regisseur Lang mit seiner semifiktionalen Lehrstunde hinauswill: Was wir von Goebbels und Hitler wissen, ist eine Täuschung zu Propagandazwecken. Wenn man wissen will, wie sie ihre Politik gegenüber dem Volk durchgesetzt haben, muss man hinter die Kulissen blicken und sich die genaue Planung von Übertreibungen, Falschmeldungen und durchinszenierten Massenveranstaltungen anschauen.

Darin liegt das große Verdienst des Films: Dank ihm erfahren wir in jeder historisch belegbaren Einzelheit, wie Goebbels vorging, um die Vernichtung der Juden und die Notwendigkeit des Krieges in den Köpfen der Untertanen zu verankern. Es sind dieselben Mechanismen, wie sie heute von Rechtspopulisten, Diktatoren und sogar einigen Regierungen innerhalb der EU weiterhin angewandt werden. Etwa die möglichst lückenlose Herrschaft über Presse und Medien. Viele werden sich erinnern, welche Debatte das öffentliche Zittern von Kanzlerin Angela Merkel lostrat. Hitler zitterte auch, das wurde von einem Kameramann der Wochenschau festgehalten. Aber dieses Bild erreichte niemals die Öffentlichkeit, denn Goebbels ließ sich sämtliches Material vorlegen, was in diesen Nachrichtenbildern, die in den damals vollen Kinos vor dem Film gezeigt wurden, zu sehen sein sollte. Und dann hieß es ganz einfach, im Kommandoton der Empörung: „Der Führer zittert nicht“. Und: „Was wahr ist, bestimme ich“.

Auch die angeblichen Massenaufmärsche waren eine einzige Inszenierung. Goebbels legte genau fest, welche Berufsgruppen herangekarrt wurden, wer wo stand oder saß und wann ein kleines Mädchen dem „Führer“ eine Blume ins vorbeifahrende Auto reichen würde. Allerdings: „Das muss alles ganz spontan und natürlich wirken“. Denn sonst sei der Zweck der Beeinflussung dahin. Die Kunst liege im Kaschieren ihrer Mechanismen. Ähnliches gilt für die Instrumentalisierung durch den Spielfilm. Der berüchtigte Jud Süß (1940) von Veit Harlan verbrämte seine antisemitische Stoßrichtung unter dem Mantel dem Unterhaltung, erwies sich aber als derart wirksam in der Anstachelung des Judenhasses, dass er den Erschießungskommandos vor der Ermordung Millionen Unschuldiger gezeigt wurde. Fast sämtliche anderen Instrumente wirken demgegenüber fast harmlos, da sie heute so massenhaft verbreitet sind: Fremdenhass sowie Weglassen, Zuspitzen, Verdrehen von Fakten, bis hin zu gezielten Erfindungen.

Distanziertes Schauspiel

Vermutlich wird Führer und Verführer nicht dieselben Debatten auslösen wie einst Der Untergang (2004) von Oliver Hirschbiegel, der ebenfalls Hitler und seine obersten Kumpane nicht als bloße Monster oder Karikaturen zeigte, sondern als Menschen aus Fleisch und Blut. Dazu trägt bereits das Brechen der Illusion bei, die Joachim A. Lang durch virtuos montierte Parallelen zwischen Fiktion und Archivmaterial erzeugt, und mehr noch durch eingeblendete Interviews mit Holocaust-Überlebenden wie Margot Friedländer oder Charlotte Knobloch. Auch den Schauspielern widerstrebt es, in die Seelen ihrer Figuren vorzudringen, allen voran Robert Stadlober, der Goebbels als fragilen und eitlen Menschen zeichnet. Die Distanz geht bei Stadlober aber so weit, dass sein Spiel merkwürdig hölzern und bemüht wirkt – Schwächen, die man von ihm eigentlich noch nie gesehen hat.

Der Film beschränkt sich überdies nicht auf das Sezieren der Manipulationstechniken, sondern zeigt mit voller Wucht die Gräuel und die extreme Menschenverachtung der Nazi-Täter. Vermutlich verfolgt er auch damit die Absicht, dass sich ja niemand mit diesen Leuten identifizieren möge. Aber er erreicht in diesem Punkt das Gegenteil seiner aufklärerischen Absicht. Zum einen steht die Hitler-Clique dadurch dann doch einzigartig in der Geschichte da, nicht zu vergleichen mit den Taten heutiger Rechtspopulisten, die man doch eigentlich entlarven wollte. Und zum zweiten erscheint die Mordlust Hitlers als dessen Privatidee, mit der er sogar seinen engen Vertrauten Goebbels überraschte. Dass die Masse der Menschen den Krieg und die Judenvernichtung erst ermöglichte, gerät damit wider Willen aus dem Blickfeld.

Credits

OT: „Führer und Verführer“
Land: Deutschland, Slowakei
Jahr: 2023
Regie: Joachim A. Lang
Drehbuch: Joachim A. Lang
Musik: Michael Klaukien
Kamera: Klaus Fuxjäger
Besetzung: Robert Stadlober, Fritz Karl, Franziska Weisz, Dominik Maringer, Moritz Führmann, Till Firit, Christoph Franken, Michael Glantschnig, Katia Fellin, Oliver Fleischer

Bilder

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Führer und Verführer
fazit
„Führer und Verführer“ entlarvt die Mechanismen, mit denen Joseph Goebbels die Menschen dazu brachte, Hitlers Kriegs- und Vernichtungspolitik trotz anfänglichem Widerstreben zu unterstützen. Der massive Einsatz von Archivmaterial über die Nazi-Gräuel konterkariert jedoch die nahliegenden Vergleiche mit heutigen Rechtspopulisten.
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